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Nachruf auf Jürgen Nöldner Der Mann, der das schnellste Tor für die DDR schoss

Jürgen Nöldner war ein begnadeter Torjäger, später als Journalist einer der besten Kenner des Ostfußballs. Mit 81 Jahren ist er gestorben, er reiht sich ein unter die Großen des DDR-Fußballs.
Jürgen Nöldner

Jürgen Nöldner

Foto: Werner Schulze / IMAGO

Er war ein Linksfuß, wie es in der DDR nicht viele gab. Aber das Tor, das Jürgen Nöldner bleibenden statistischen Wert eingebracht hat, erzielte er mit rechts.

Man zählte 1965 noch nicht die Sekunden, so wie das heute garantiert der Fall gewesen wäre. Aber klar ist: Das Tor von Nöldner im WM-Qualifikationsspiel gegen Österreich vom 31. Oktober 1965 fiel in der ersten Minute – und war und blieb damit das früheste Tor, das ein DDR-Nationalspieler je erzielte.

Nöldner auf diese eine Aktion zu beschränken, wäre allerdings fast ein Sündenfall, angesichts eines so vollen Lebens, das der Berliner 81 Jahre lang geführt hat. Am Montag ist er gestorben.

Sein Vater wurde von den Nazis ermordet

Eigentlich muss man sogar schon vor Nöldners Geburt anfangen, wenn man seine Geschichte erzähl. Sein Vater Erwin war im Widerstand gegen die NS-Diktatur aktiv, er hatte sich der Gruppe um den Kommunisten Anton Saefkow angeschlossen, die 1944 von der Gestapo aufgespürt wurde.

Erwin Nöldner wurde zum Tode verurteilt und im September 1944 hingerichtet, da war der kleine Jürgen gerade drei Jahre alt. Heute halten die Nöldnerstraße und der Nöldnerplatz in Berlin die Erinnerung an den Widerstandskämpfer Nöldner wach.

Nach dem Krieg stürzte sich der vaterlose Jürgen Nöldner in den Fußball, und wenn man genauer ist, muss man sagen: in den Fußball in Berlin-Lichtenberg. Der Bezirk im Osten der Stadt ist von Anfang bis Ende des Lebens seine Heimat gewesen, hier ging er nicht weg, auch wenn die DDR-Funktionäre das so gerne gewollt hätten.

Jürgen Nöldner war später Sport- und Fußballjournalist

Jürgen Nöldner war später Sport- und Fußballjournalist

Foto: Camera 4 / IMAGO

In Treue zum ASK Vorwärts

Denn der Klub, bei dem er seine Wurzeln schlagen sollte, der ASK Vorwärts, wurde 1971 von den Sportfunktionären von Berlin nach Frankfurt/Oder versetzt, das war Teil der großen Neuordnung des DDR-Fußballs, den die SED damals vornahm.

Nöldner war da schon ein Star, er sollte das Gesicht des umgesiedelten Klubs in Frankfurt/Oder werden, aber da hatten die Apparatschiks ihre Rechnung ohne ihn, der selbst SED-Mitglied war, gemacht.

Der Spieler, damals schon mit 30 Länderspielen für die DDR dekoriert, Olympiadritter 1964 in Tokio, in mehr als 200 Partien in der DDR-Oberliga erfahren, er machte das nur ein paar Monate mit – dann beendete er kurzerhand seine Fußballerlaufbahn. Mit 31 Jahren und eigentlich noch bestens im Saft.

Fünfmal wurde er DDR-Meister

So verpasste er die besten Jahre des DDR-Fußballs ab 1972, die Olympischen Spiele in München, die WM-Teilnahme 1974 in Westdeutschland. Sein Name fehlt daher oft, wenn es um die Großen des Ostfußballs geht: Dixie Dörner, Jürgen Sparwasser, Joachim Streich. Normalerweise müsste man Nöldner einfach dort einreihen.

88 Ligatore, 16 Treffer in der Nationalmannschaft, der linke Fuß von Nöldner hatte eine eingebaute Torgarantie. Fünfmal wurde er Meister mit dem Armeesportklub, einmal Pokalsieger, das entscheidende Tor 1970 im Finale gegen Lok Leipzig machte in der 86. Minute, na klar, Nöldner.

Kuppe, so war sein Spitzname, selbst der »Kicker« konnte nicht rausfinden, woher der Name genau stammte. Irgendwann ist er an Nöldner hängen geblieben. Er war eben Kuppe Nöldner, die Sechziger- und die Siebzigerjahre, es war auch die Zeit der wunderbaren Spitznamen im Fußball, von Katsche über Ente und Emma bis zum Terrier.

Von den Zeitungen wurde er manchmal aber auch »Puskas des Ostens« genannt, ein wenig kurios, weil auch der Major und Linksfuß aus Ungarn schließlich aus Osteuropa stammte und erst später sein Geld im Westen bei Real Madrid verdiente. Die »Bild«-Zeitung verstieg sich auch mal zum »Fritz Walter des Ostens«, es sind diese Vergleiche, die der DDR-Fußball immer wieder über sich ergehen lassen musste.

Auch Nöldner war davon nicht begeistert – obwohl nur wenige es besser wussten, wie die Medien arbeiteten. Denn Nöldner blieb nach seiner Laufbahn dem Fußball zwar treu, aber er wechselte sozusagen auf die andere Seite des Schreibtisches.

Er wurde für Jahrzehnte ein renommierter Sport- und Fußballjournalist. Zunächst arbeitete er zu DDR-Zeiten für das Sportecho und die legendäre fuwo, die Fußballwoche. Nach dem Fall der Mauer wechselte er zum »Kicker« und wurde später Berliner Bürochef des Fußballmagazins.

Der »Kicker« hat in seinem wärmenden Nachruf über den ehemaligen Kollegen geschrieben: »Er war eine treue Seele und eine ehrliche Haut, als Fußballer begnadet, als Mensch bescheiden.« Das liest man über Fußballer von damals häufiger, über die von heute nicht so sehr.

Die Partie gegen Österreich mit dem schnellsten DDR-Tor endete 1:0. Alles andere wäre auch unangemessen gewesen.

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