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Zum Tode von Ute Grass Die erste und strengste Kritikerin seiner Werke

Wo er war, war auch sie: Ute Grass hat ihren Mann, den Nobelpreisträger Günter Grass, mit ihren literarischen Leidenschaften angesteckt.
Ute Grass mit Ehemann Günter Grass im Jahr 2006

Ute Grass mit Ehemann Günter Grass im Jahr 2006

Foto: Metodi Popow / imago

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Die Welt kannte sie vor allem tanzend. Größer als ihr Mann, mit langen, nach hinten geworfenen Haaren, führte sie den berühmten Schnauzbart an ihrer Seite bei offiziellen Anlässen immer wieder über das Parkett. Ute Grass, 1936 als Ute Grunert auf Hiddensee geboren, war seit 1979 mit dem Schriftsteller Günter Grass verheiratet. Sie war ausgebildete Organistin, arbeitete als Lehrerin, und sie war Mutter zweier Kinder aus ihrer ersten Ehe, die der Patriarch sogleich in sein großes Grass-Familienreich aufnahm: »Wir haben acht Kinder« hieß es ab sofort.

Als Lehrerin hat Ute Grass nach der Heirat nicht mehr gearbeitet. Sie war sein »Utchen« – so nannte der »Blechtrommel«-Autor sie nun. Sie war Großschriftsteller-Ehefrau, begleitete ihren berühmten Mann überallhin, zum monatelangen Rechercheaufenthalt in Indien, zur Nobelpreisverleihung in Stockholm. Wo er war, war auch sie. Aber dieses »Utchen« blieb eine selbstbewusste, eigenständige Frau, die ihren Macho-Mann, wenn der meinte, sein freies Liebesleben weiter heiter ausleben zu können, in die Schranken wies.

Sie hat ihn mit ihren literarischen Leidenschaften angesteckt, Fontane war ihr Lieblingsautor, dessen Wiedergänger machte Grass zum Helden seines Romans »Ein weites Feld«. Sie war die erste und strengste Kritikerin seiner Werke. Wenn sie einen Einwand hatte, wurde er stumm. Und arbeitete um.

Auf manchen Bildern sieht man sie im Publikum, wenn er oben am Mikrofon wieder mal die Welt erklärte. Sie schaut mit all den anderen im Saal zu ihm herauf. Aber ein bisschen, so scheint es, fehlt ihr dabei der letzte Ernst. Aus all den großen Worten auf der Bühne, aus der ganzen hohlen Würde öffentlicher Auftritte, entweicht ein wenig Luft, wenn sie dabei ist. Das schadete dem großen Mann nicht wirklich. Es machte ihn eher lebendiger. Den Auftritt wirkungsvoller.

Ein wenig Angst hatte er schon, vor ihrem Röntgenblick und ihrem geheimen Wissen über ihn und die Welt. Ein kleines Gedicht von ihm über sie geht so: »Utes Kissen / auf das sie ihr Ohr legt, / ist – was gut für den Nacken sein soll – / mit Hirse gefüllt, / darf mit auf Reisen / und weiß mehr, als ich ahne.«

Ute Grass vermittelte nie den Eindruck, dass sie ihrem Mann das grelle Licht der Scheinwerfer missgönnt hätte. Im Gegenteil. Wenn sie mit ihm in diesen Lichtkegeln stand, dann schien es immer so, als verändere sie dieses Licht überhaupt nicht. Während er neben ihr stets in Pose stand. Immer auch der Nobelpreisträger-Darsteller.

Probe liegen im Sarg

In seinem letzten Buch, »Vonne Endlichkait«, schreibt Günter Grass von seiner Angst, dass sie vor ihm sterben könnte. Die Vorstellung war für ihn ein Graus. Es ist anders gekommen. 2015 ist Günter Grass gestorben. Sein letztes Buch erschien nach seinem Tod. Ute Grass war bei der Präsentation in Göttingen dabei. Blonde, schulterlange Haare, groß, hell buntes Tuch um den Hals, stand sie leise am Rand und schaute zu.

In dem Buch hat ihr Mann auch geschrieben, wie sie beide sich auf den Tod vorbereitet haben. Wie sie sich von einem Tischler zwei Särge anfertigen ließen und wie sie beide nebeneinander darin Probe lagen. Ute Grass, so hat ihr Mann es beschrieben, bedauerte, nachdem sie den Kisten wieder entstiegen waren, kein Foto ihres Mannes darin gemacht zu haben. »Du sahst so zufrieden aus.« An der Seite sollten acht Griffe aus festem Leinen befestigt werden, »entsprechend der Zahl unserer Kinder«, die die Särge zum Grab tragen sollten. Am 24. April ist Ute Grass jetzt in Berlin gestorben. Sie wurde 85 Jahre alt.