Wo andere die Natur besangen, hörte sie nur schiefe Töne

Manche Dichter schwärmen gerne, und am liebsten von Feld und Wiese und Wald. Die Lyrikerin Barbara Köhler blieb da, ganz bewusst, ziemlich nüchtern. Ein Nachruf.

Paul Jandl
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Die Schriftstellerin Barbara Köhler im Jahr 2007 .

Die Schriftstellerin Barbara Köhler im Jahr 2007 .

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1991 erschien ihr erster Gedichtband. Er hiess «Deutsches Roulette» und kam zu einer Zeit, als das rien ne va plus der DDR noch frisch war. Frisch genug jedenfalls, um das Lyrikdebüt Barbara Köhlers wie ein nachträgliches Orakel zu lesen. 1959 in Burgstädt in Sachsen geboren, hat die deutsche Dichterin über ihre Heimat geschrieben und über die Elbe, über «verseuchte Metaphern» und einen weiten Himmel, der die Welt bisweilen nur noch enger macht: «Ich harre aus im Land und geh ihm fremd.»

Dass solche Zeilen oft und gerne zitiert wurden, wenn es darum ging, Barbara Köhlers Werk biografisch einzuhegen und damit auch kleinzukriegen, war Schicksal einer Autorin, die mit dem Schreiben das Weite suchte. Die sich später nie an Landesgrenzen hielt, wenn es um Stoffe ging. So wie sie quer durch Europa reiste, um diese Reisen in Gedichten, Prosa und Essays zu Schrift zu machen, so unternahm sie auch Expeditionen in die Tiefen der Literatur.

Die Figuren Ophelia und Penelope und Diotima wurden in einem Schattenkabinett lebendig, durch das Licht auf die Gegenwart geworfen werden sollte. Barbara Köhlers feministischer Ansatz kam direkt aus der Sprache. Dorther, wo das Wort «Aufgabe» so schillernd vor uns steht. Eine Aufgabe kann ein Projekt sein, aber gleichzeitig auch ein Symbol des Scheiterns. Wenn man etwas aufgibt, das nicht mehr zu retten ist.

Ein «er» ist immer alleine

«Aufgabe» heisst ein Gedicht Köhlers: «Die Ordnung der Sätze / Hat Zukunft: sie wird /Gewesen sein Üben Sie / Die Möglichkeiten der / Ersten Person Einzahl / Als wäre das nur eine / Frage der Grammatik & / Würde ein Konjunktiv.» Das «sie» kann sich auflösen in der Gesellschaft. Es kann in der Menge des Plurals verschwinden, während das «er» immer im Singular bleibt.

Solcherart die Grammatik durchzuspielen und sie nach dem Politischen abzuklopfen, war immer Teil des Schreibens von Barbara Köhler. Durch das Spiel mit Mehrdeutigkeiten und Enjambements, mit Reimen und Brüchen in den Gedichtzeilen hat sie Widersprüche kenntlich gemacht und ist dabei immer bei der Rede des Alltags geblieben: «Ich habe das Sagen nicht. Ich lasse es / mir gesagt sein mir gefallen Wendungen / die verwandeln die EinRichtung zwischen / verrückten Wänden in ungehörige Räume.»

Blick ohne Pathos

In ihren Arbeiten hat Barbara Köhler die Grenzen zu anderen Medien ebenso lustvoll überschritten, wie sie diese Überschreitungen thematisiert hat. Der frühe Gedichtband «Blue Box» überträgt visuelle Überblendungen in sprachliche. Im Buch «Istanbul, zusehends» wird die türkische Stadt zu einer flirrenden Augenlandschaft. Köhlers «36 Ansichten des Berges Gorwetsch» wiederum machen das Kristalline der Natur flüssig und verfestigen das Fliessen der Zeit. Es ist ein pathosfreier Blick, weil Barbara Köhler Naturpoesie für einen Sehfehler hält. Für den grünen Star der Lyrik.

Nicht ganz ohne Pathos war die Aktion, mit der die Autorin vor zwei Jahren ins Licht einer grösseren Öffentlichkeit gelangt ist. Als Eugen Gomringers Gedicht an der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule in Verdacht geraten war, frauenfeindlich zu sein, wurde Barbara Köhler mit der Aufgabe betraut, die Feuermauer mit Eigenem zu verschönern.

Und da ist es wieder, das «sie»: «STEHEN SIE VOR IHNEN / IN IHRER SPRACHE // WÜNSCHEN SIE IHNEN / BON DIA GOOD LUCK.» Ein lyrischer Vorschlag zur Güte. Das übrige weitläufige Werk Barbara Köhlers sollte man dazu noch nachschlagen. Die deutsche Dichterin und Installationskünstlerin ist am Freitag nach längerer Krankheit gestorben.

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