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Ökologischer Fußabdruck

EU stoppt irreführende Werbung mit Klimaneutralität im Supermarkt

Klimaneutrale Kartoffelpuffer
Norbert Lehmann, agrarheute Redakteur
Norbert Lehmann, agrarheute
am Donnerstag, 23.03.2023 - 05:15 (1 Kommentar)

Immer mehr Lebensmittel und Verbraucherprodukte werden im Einzelhandel als "klimaneutral" gelabelt. Doch oft sind die Angaben ohne Substanz. Die EU will das jetzt durch einen einheitlichen Rechtsrahmen mit Mindeststandards ändern.

EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius

CO2-neutrale Milch, klimaneutrales Schweinefleisch, ja sogar klimafreundliches Hundefutter: Die Liste der als besonders klimaschonend angepriesenen Produkte im Einzelhandel wird immer länger. Häufig sind die Umweltaussagen der Hersteller aber irreführend oder bloße Grünfärberei (Greenwashing).

Die EU-Kommission hat darum gestern (22.3.) gemeinsame Kriterien für zuverlässige und vergleichbare Umweltaussagen in der Werbung (Green Claims) vorgeschlagen. Mit der Green-Claims-Richtlinie wird auch eine Regelung für EU-weit einheitliche Umweltzeichen vorgesehen.

„Die (…) Vorschläge werden Unternehmen und Verbraucher vor schädlichen Greenwashing-Praktiken schützen und dem Wildwuchs von Zeichen und Siegeln Einhalt gebieten“, versprach EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius bei der Vorstellung des Pakets in Brüssels.

Mehr als die Hälfte der Werbeaussagen zum Klimaschutz sind haltlos

Die EU-Kommission hat die Zuverlässigkeit von Angaben wie „CO2-neutral“ oder „bienenfreundlich“ im Jahr 2020 untersuchen lassen. Das Ergebnis: 53 Prozent der überprüften Umweltaussagen waren vage, irreführend und unfundiert. Für 40 Prozent der Green Claims fand sich kein Beleg.

Das Problem ist, für freiwillige Umweltaussagen gibt es keine gemeinsamen Vorschriften. Es gibt keinen einheitlichen Mindeststandard, an dem sich die Informationen messen lassen müssen. Künftig sollen die Angaben unabhängig überprüft und anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse belegt werden müssen.

Klimawerbung: Fast alle Hersteller und Händler machen es

Erst vor wenigen Tagen hatte die niederländische Stiftung „Changing Markets“ eine Bewertung zahlreicher Werbeaussagen zum Klimaschutz veröffentlicht. In über 50 Fällen wirft die Stiftung namhaften Herstellern und Händlern wie Aldi, Lidl, Arla, Cargill, Danish Crown, Danone, Fonterra, JBS, Nestlé, Tyson Foods und Unilever massives Greenwashing ihrer Produkte vor.

Vor allem in der Milchindustrie und der Fleischwirtschaft fand die Stiftung zahlreiche Beispiel für Grünfärberei mit angeblicher Klimaneutralität. In den meisten Fällen geht es um umstrittene Kohlenstoff-Kompensationen, häufig in Zusammenarbeit mit dem Zertifizierer ClimatePartner.

Molkerei Arla verliert Prozess um CO2-neutrale Milch in Schweden

Ein von der Stiftung angeführtes Beispiel betrifft die Discounter Aldi Nord und Süd. Die Verbraucherorganisation Foodwatch hatte bereits im Sommer 2022 kritisiert, dass Aldi seine Trinkmilch „Landmilch“ als „klimaneutral“ bewarb. Foodwatch stellte fest, dass der Händler keine effektive Reduktion der Treibhausgas-Emissionen sicherstelle. Für den CO2-Ausgleich würden Emissionszertifikate von Kompensationsprojekten eingekauft. Zwei davon bezeichnete Foodwatch als „höchst fragwürdig“.

Die Molkerei Arla wird von der Stiftung Changing Markets dafür kritisiert, Milch in Skandinavien als „CO2-neutral“ beworben zu haben. Die dafür getätigten Kompensationsprojekte würden aber nicht offengelegt und die reklamierten Emissionseinsparungen nicht belegt. Nach einem verlorenen Gerichtsprozess in Schweden Anfang dieses Jahres verwendet die Molkerei den Green Claim nicht mehr.

Rewe zieht Aussage der „klimaneutralen“ Hähnchenbrust zurück

Changing Markets führt zahlreiche weitere Beispiele von fragwürdiger Grünfärberei aus Großbritannien, Neuseeland, den USA und weiteren Ländern an.

In Deutschland haben Beschwerden von Verbraucherorganisationen bereits mehrfach dazu geführt, dass Unternehmen die Umweltaussagen zurücknahmen. So stoppte der Handelskonzern Rewe nach einer Abmahnung durch Foodwatch die Kennzeichnung von Hähnchenbrustfilet seiner Eigenmarke Wilhelm Brandenburg als „klimaneutral“. Für die ausgelobte Klimaneutralität hatte Rewe Treibhausgas-Emissionen über den Anbieter ClimatePartner kompensiert. Die Zertifikate gingen auf ein Wald-Projekt in Peru zurück, das sich jedoch als mangelhaft erwies.

Auch der Geflügelschlachter PHW und der Safthersteller Eckes-Granini haben irreführende Klimawerbung stoppen müssen.

Neue Richtlinie soll Verbrauchern und Unternehmen Rechtssicherheit geben

Die Green-Claims-Richtlinie der EU soll die Grauzone substanzloser Klimawerbung abschaffen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen sicher sein können, dass in der Werbung eingesetzte Aussagen über Umwelt, Nachhaltigkeit und Klima fundiert und vergleichbar sind. Unternehmen sollen vor unlauterem Wettbewerb mit irreführender Klimawerbung und Greenwashing geschützt werden.

Über den Entwurf der EU-Richtlinie werden nun das Europäische Parlament und der Ministerrat verhandeln.

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