Dragoslav Mihailović gestorben :
Wie in flüssigem Blei

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Dragoslav Mihailović (1930 bis 2023)
Er bot dem jugoslawischen Regime die Stirn und brach das Schweigen über die Zustände in Titos schlimmstem Straflager auf der Insel Goli Otok: Zum Tod des serbischen Kultautors Dragoslav Mihailović.

Jedes Leben ist ein Roman, aber nicht jeder Roman ist so umwerfend wie das Leben von Dragoslav Mihailović. Frühes Waisenkind, blutjunger Häftling in einem Straflager, Handelsvertreter, Arbeiter in Steinbrüchen und Lederfabriken, Wanderzirkusimpresario, später erst gefeierter, dann verfemter und danach wieder gefeierter Schriftsteller – die Volten dieses Lebens, das am vergangenen Sonntag in Belgrad im vierundneunzigsten Jahr endete, hätten ein halbes Dutzend Existenzen ausfüllen können. Geboren 1930 in der serbischen Provinz, mit kaum zwei Jahren nach dem Tod der Mutter Halbwaise. Der Vater, schwerer Alkoholiker, geriet schon früh in einen Zustand, in dem er „nicht mehr trinken, aber auch nicht mehr nicht trinken konnte“, wie der Sohn einmal sagte. Das Kind muss sich früh um den Vater kümmern und ist noch minderjährig, als auch der stirbt.

Mihailović ist höchstens 18 Jahre alt, als der kommunistische Geheimdienst eine Akte über ihn anlegt, da er, wahrheitsliebend, für Mitschüler eingetreten war, die fälschlich verdächtigt wurden, Staatsfeinde zu sein. In einem späteren Akteneintrag heißt es: „Mihailović hat im Rahmen seiner feindlichen Tätigkeit neben anderen Vergehen den Genossen Tito als amerikanischen Spion bezeichnet.“ Hatte er nicht, half ihm aber nichts. Mihailović wird verhaftet, kommt auf die berüchtigte Strafinsel Goli Otok. Das Tito-Regime hat sich ein perverses System ausgedacht, um die Häftlinge dort gegeneinander aufzuhetzen. Jeder „Neue“ muss durch ein Spalier von Häftlingen, die ihn mit Fäusten und Knüppeln grausam traktieren. Wer nicht fest genug zuschlägt, muss zur Strafe selbst durchs Spalier, das einige nicht überleben – weshalb sich fast alle schon aus Angst bemühen, besonders grausam zu sein. So ist das ganze Lager: Wer seine Mithäftlinge bespitzelt und misshandelt, wer den Wachen unbotmäßiges Verhalten meldet, und sei es erfunden, kann in der Lagerhierarchie aufsteigen. Wer Mitgefühl zeigt, wird bestraft. Empathie kann tödlich sein. So leiden viele Otok-Häftlinge ihr ganzes Leben an einer Insel, die niemand schuldlos überlebt.

Auch Mihailović leidet, doch er schweigt nicht. Er wagt, was vor ihm niemand wagte: Er schreibt über Goli Otok. „Das war so gefährlich, als würden sie dir die Hand in flüssiges Blei tauchen“, sagt er später. In seinem 1968 erschienenen Roman „Als die Kürbisse blühten“, 1972 in einer glänzenden Übersetzung von Peter Urban bei S. Fischer auf Deutsch erschienen, taucht der Name der Insel zwar nicht auf, aber alle wissen, was gemeint ist. Auch Tito. Der empört sich in einer Rede öffentlich über den Mann, der es wagt, die Foltermethoden des angeblich so fortschrittlichen Jugoslawien zu beschreiben. „Vollkommen verrottet“ seien diese Kürbisse, zürnt Tito. Er empört sich: „Menschen aus unserer Mitte spucken auf uns, spucken auf unsere Errungenschaften und spucken auf die Opfer, die wir gebracht haben.“

Damit war Mihailović zum Abschuss freigegeben, zum zweiten Mal. Immerhin, es waren andere Zeiten: Das Lager Goli Otok gab es nicht mehr, der Autor wurde „nur“ gesellschaftlich zerstört. Doch er überlebte Tito. Die „Kürbisse“ – die Erzählung eines nach Schweden geflohenen Boxers, vorgetragen in einem Belgrader Straßenslang, der das Publikum schockierte – wurden zum Kultbuch. In Texten wie „Vagabunden trinken Tee“, „Kurze Geschichte des Zermalmens“ oder „Charles Aznavour und sein Publikum“ variierte Mihailović sein Thema grandios. Selbst wer von Tito und Jugoslawien nichts weiß und wissen will, kann leicht in den fulminanten Sog dieser Prosa geraten. Auch auf Deutsch übrigens: Der in Hamburg lebende Slawist Robert Hodel hat unter dem Titel „Wie ein Fleck zurückblieb“ eine Auswahl davon übersetzt.