Der Vielbegabte – Jürgen Flimm war Intendant der Berliner Staatsoper, Theatermann und noch viel mehr

Flimm war viel unterwegs – zwischen den Ländern und Städten, zwischen Schauspiel-, Festspiel- und Opern-Management und der Schauspielerei selbst. Nun ist er im Alter von 81 Jahren gestorben.

Marion Löhndorf 3 min
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Jürgen Flimm, damals Intendant der Staatsoper, am 22. Juni 2017 an der Jahrespressekonferenz der Berliner Staatsoper.

Jürgen Flimm, damals Intendant der Staatsoper, am 22. Juni 2017 an der Jahrespressekonferenz der Berliner Staatsoper.

Monika Skolimowska / DPA

Jürgen Flimm war Theatermann durch und durch. Im Schauspiel und in der Oper, als Regisseur, Darsteller und Intendant agierte er höchst erfolgreich. Geboren wurde er 1941 in Giessen. Doch die Stadt, die seine Jugend prägte, war Köln, wo er aufwuchs und eine Schauspielerausbildung abgeschlossen hatte. Eine rheinische Frohnatur sei er deshalb jedoch nicht, erklärte Flimm. Viele, die ihn kannten, widersprachen da allerdings. Er sei ein Optimist, gestand Flimm ihnen zu.

In Köln studierte er Theaterwissenschaft, Germanistik und Soziologie, bevor er als Regieassistent in den Münchner Kammerspielen unter anderem Claus Peymann zur Seite stand. So wurde aus dem Optimisten einer der erfolgreichsten deutschen Theaterleute. Am Samstag ist Flimm, der Vielbegabte, nach Angaben der Berliner Staatsoper Unter den Linden 81-jährig verstorben.

Die sperrige Kunst

Vor allem wird man sich an den Intendanten Flimm erinnern – an einen Grossen im Nachkriegsdeutschland, das Theater liebend und umarmend. Wegbegleiter preisen seinen klugen Pragmatismus, seinen unerschütterlichen Sinn für Humor.

Flimm besass eine glückliche Hand bei der Auswahl von Ensembles, und Schauspieler arbeiteten gern bei und mit ihm. Wie etwa am Kölner Schauspielhaus, am Thalia-Theater in Hamburg, das er in den fünfzehn Jahren seiner Leitung zu einem der künstlerisch und wirtschaftlich erfolgreichsten Sprechtheater Deutschlands machte, oder bei der Ruhr-Triennale.

Ins Thalia-Theater etwa lud Flimm Bob Wilson mit seinen lässigen Pop-Stücken ein und Ruth Berghaus, die dort ihre subversiven Schatten warf. Auch das gehörte zu seinen Stärken: Er konnte andere Götter gelassen neben sich gelten lassen. An Flimms künstlerischen Entscheidungen lässt sich das ständige Bestreben ablesen, die Freiheit der Kunst auch in ihren aggressiveren, sperrigen Ausprägungen zu verteidigen.

Mühelose Ausstrahlung von Macht

Als Person umgab ihn eine mühelose Ausstrahlung von Macht; in Interviews und im Einsatz für die Kultur war er immer pointiert und zitierfähig. «Die Kunst», sagte er beispielsweise, «ist eine Art intellektuelles Beatmungsgerät. Und man kann mit relativ geringen Etatmitteln in der Kultur sehr viel erreichen.»

In seinen eigenen, von massvoller Stilisierung geprägten Regiearbeiten konzentrierte er sich auf die Psychologie der Figuren. Ab 1971 inszenierte er selbst an vielen grossen deutschsprachigen Bühnen von Zürich bis Hamburg, in Mannheim und am Thalia-Theater Hamburg, wo «Geschichten aus dem Wienerwald», «König Ubu» und «Soldaten» von Lenz zu seinen wichtigen Regiearbeiten zählten. Seine Stücke waren schön anzusehen, auf hohem Niveau geistreich und unterhaltend.

Diese Neigung kostete er später im grossen Stil aus, als das Musiktheater eine immer grössere Rolle in seiner Arbeit einnahm. Die Mailänder Scala, die Metropolitan Opera in New York und das Royal Opera House Covent Garden in London waren glänzende Stationen. Die Ovationen nach einer «Fidelio»-Inszenierung in New York bezeichnete er einmal als einen der Höhepunkte seines Lebens.

Auftritte im «Tatort»

Von Oktober 2006 an leitete Jürgen Flimm die Salzburger Festspiele. Seine Schaffenskraft war enorm. Flimm schien immer an vielen Orten gleichzeitig zu sein. Als Lehrer unterrichtete er in Harvard, New York und Hamburg. Dass er gelegentlich im Fernsehen auftrat, im «Tatort» beispielsweise, geht oft vergessen. Dabei war die Schauspielerei «der einzige Beruf, den ich bis heute regelrecht nachweisen kann», sagte Flimm einst.

2010 übernahm er die Intendanz der Berliner Staatsoper Unter den Linden, die mit der Renovierung des Baus einherging. Während der Sanierungsarbeiten zog das Ensemble der Staatsoper ins Schillertheater. Der Umzug verzögerte sich, und Flimm verlängerte seinen Vertrag.

Die Rücksiedlung vom Schillertheater in die Staatsoper bezeichnete er damals als seinen innigsten Wunsch: «Der Umzug zurück, dann noch ein Jahr – das ist für einen Berserker wie mich, der immer am Theater gearbeitet hat, gar nicht leicht», sagte er 2013 in einem Interview. Dennoch wollte er nach Ablauf des Vertrags 2017 nicht an seinem Job festhalten: «Ich möchte keinesfalls der älteste Intendant Deutschlands werden und mit einem Rollator durch die Gänge fahren. Ich werde einfach aufhören.»

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