Selbst Friedensforscher halten von Verhandlungen nicht viel. Seltsam. Dazu eine kundige Lesermeinung

Selbst Friedensforscher halten von Verhandlungen nicht viel. Seltsam. Dazu eine kundige Lesermeinung

Selbst Friedensforscher halten von Verhandlungen nicht viel. Seltsam. Dazu eine kundige Lesermeinung

Ein Artikel von: Redaktion

Ein Leser aus meiner Heimatstadt Heidelberg macht auf ein Interview der Rhein-Neckar-Zeitung mit der Heidelberger Friedensforscherin Werkner aufmerksam und kommentiert dieses Interview. Wir geben Ihnen das Interview und die Anmerkungen des NDS-Lesers zur Kenntnis. Sie betreffen ein wichtiges, ein zentral wichtiges Thema: die mangelnde Bereitschaft, über Verhandlungen ein Ende des mörderischen Krieges in der Ukraine zu suchen. Albrecht Müller.

Anmerkungen von MM zum RNZ-Interview vom 02.02.2023:

Lieber Albrecht Müller, 

in der heutigen Ausgabe meiner Regionalzeitung fand ich ein Interview mit der Heidelberger Friedens- und Konfliktforscherin Werkner. Interessant fand ich es, da auch diese Forscherin die Position vertritt, weitere Waffenhilfen an Kiew seien „für Verhandlungen notwendig“ [!]. Da dachte ich mir, dass das etwas für Ihre Rubrik „Jämmerliche Medien und der Ukrainekrieg“ sein könnte. Oder für einen separaten Kommentar. Das Interview finden Sie eingescannt dem Anhang beigefügt. Eine Langfassung ist im Internet leider nur hinter der Bezahlschranke zu finden. 

Im Anhang finden Sie auch ein Dokument (in Word und PDF) mit Gedanken, die ich mir zu dem RNZ-Artikel gemacht habe. Ich fand, dass er mehrere der Manipulationsmethoden enthält, die Sie in Ihren Büchern beschrieben haben. So Sie etwas damit anfangen können, können Sie auch diese gerne verwenden und / oder ergänzen. 

Mit herzlichen Grüßen 
Ihr Leser MM

Anmerkungen des Nachdenkseiten-Lesers

Meines Erachtens sind Frageführung und Antworten zwar nicht so aggressiv-eskalativ im Tonfall wie manch andere Medienbeiträge, dafür finden sich jedoch zahlreiche von den NachDenkSeiten wiederholt beschriebene Manipulationsmethoden. Davon möchte ich fünf herausgreifen.

Die prägnanten Kernbotschaften des Interviews lauten:

  1. „Es gibt leider keine guten Lösungen [im Ukraine-Konflikt]“

sowie

  1. „Waffenhilfen sind für Verhandlungen notwendig“.

Insbesondere die zweite Botschaft wird bekanntlich von allen deutschen Leitmedien uneingeschränkt vertreten und in der Regel nicht hinterfragt.

Zunächst ist auffällig, dass die ausgewählte Gesprächspartnerin eine Friedens- und Konfliktforscherin ist, Dr. Ines-Jacqueline Werkner. Bei ihr handelt es sich um keine der „üblichen Verdächtigen“ aus transatlantischen Think-Tanks und Sicherheitsforen, sondern laut Artikelbeschreibung um die Leiterin des Arbeitsbereichs Frieden an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg.

Werkner erscheint somit formal als eine gewichtige Stimme aus der entgegengerichteten Ecke (Friedens- / Konfliktforschung; ev. Kirche). Obendrein kann sie als Expertin in ihrem Gebiet eingeordnet werden. Darum erhöht es enorm die Kraft der Kernbotschaften, wenn sie Sätze äußert wie – Zitat – „Um Voraussetzungen für einen Verhandlungsfrieden zu schaffen, braucht es eine Pattsituation. Von daher sind Leopard-2-Lieferungen notwendig.“ Zudem wird diese Botschaft an verschiedenen Stellen des Interviews durch Wiederholung bekräftigt, etwa mit der rhetorischen Frage: „Aber was wäre die Alternative?“ Am Schluss denkt sich dann der Leser: „Alle in der Runde sind der gleichen Meinung. Selbst die Forscherin von dem Friedensforschungsinstitut. Dann muss es ja richtig sein“. Somit verbinden sich hier die Methoden Nr. 7, 8 und 14 aus „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“. (Ergänzende Erläuterung von A. M.: Methode Nr. 7: die gleiche Botschaft aus verschiedenen Ecken aussenden. Die Methode Nr. 8: Alle in der Runde sind der gleichen Meinung. Dann muss es ja richtig sein. Methode Nr.14: Experten helfen – zu manipulieren)

Daneben findet sich im Interview auch Manipulationsmethode 4: Verschweigen.

Leider erwähnen weder Fragensteller noch Interviewte die Vorgeschichte des Konflikts. Die zu kennen wäre aber notwendig, um die heutigen Geschehnisse einordnen zu können. Der heiße Krieg begann gerade nicht im Februar 2022, sondern im April 2014 mit der sogenannten „Antiterroroperation“ ukrainischer Soldaten und Paramilitärs. Deren Aktionen hatte damals selbst ein Georg Restle noch zu kritisieren gewusst. Stattdessen wird die offizielle Sprachregelung referiert – der Aggressor heißt Putin. Dies transportiert die Botschaft der Ukrainekrieg sei einer Grille des russischen Präsidenten entsprungen. Ein recht unterkomplexes Bild, zumal die Vorgeschichte und der lange Weg in die letztjährige Eskalation wissenschaftlich durchaus gut aufgearbeitet sind. Der Krieg wird durchaus auch als sogenannter internationalisierter Bürgerkrieg gelesen, das heißt als innerstaatlicher Konflikt, der durch das Eintreten und Mitwirken äußerer Mächte (Westen + Russland) eskaliert worden ist. Es gibt – zumindest im englischsprachigen Raum – eine Reihe von Forschern, die sowohl die innerstaatliche wie auch die internationale Situation in der Ukraine und das hochgradig gefährliche, gewalttätige und vom Westen unterstützte Vorgehen der Regierungen Turtschynow, Poroschenko und Selenskyj beschrieben haben. Hierzu zählen insbesondere:

Im Gegensatz zum RNZ-Beitrag erwähnen diese Forscher die Vorgeschichte oft, da sie hilft die russischen Entscheidungen zu erklären (erklären heißt nicht billigen). Doch alles was vor Februar 2022 geschah, spielt auch in diesem Interview leider keine Rolle. Werkner betont stattdessen zum Schluss wie wichtig es sei, „dass die Ukraine weiter in der Lage ist, gegen die russischen Angriffe standzuhalten“. Die Angriffe der ukrainischen Truppen auf den Donbass, auf die die Russen rekurrieren, da sie konfliktkonstitutiv waren, wären jedoch wichtig miteinzubeziehen. Denn diese Kampfhandlungen forderten laut konservativen UNO-Schätzungen bis Anfang 2022 bereits 14 400 Tote und rund 40 000 Verletzte auf beiden Seiten.

Aber bereits für sich betrachtet ist Werkners Satz eine bemerkenswerte Position für eine Friedens- und Konfliktforscherin. Sollte sie statt für mehr Opfer durch „Standhalten“ nicht offensiv für rasche Deeskalation und Abrüstung plädieren? Oder Friedensverhandlungen? Dann müsste sie aber beispielsweise auch den Westen kritisieren, der die türkischen Vermittlungsversuche im letzten April sabotierte und zuvor bereits die russischen Gesprächsangebote abgeblockt hat. Hierauf verwiesen andere Experten wie John J. Mearsheimer, Ivan Katchanovski (Universität Ottawa) oder Anatol Lieven (Quincy Institute). Im Interview fallen diese Verhandlungen freilich komplett unter den Tisch, stattdessen wird postuliert: „Es gibt leider keine guten Lösungen“. Doch das ist grundfalsch. Selbstverständlich gab und gibt es diese anderen Lösungen. Manche sind sogar durchaus trivial und einfach. Verhandlungen und Deeskalation etwa wären weiterhin möglich. Sie sind jedoch vom Westen offenkundig nicht gewollt.

Schließlich wird durch das Interview auch wieder das Grundgefühl des „Wir sind die Guten“ transportiert (Manipulationsmethode 18). So behauptet Werkner etwa „Der Westen tut nicht alles, was er tun kann und auch völkerrechtlich tun könnte, und das aus gutem Grund“. Ein starkes Stück! Nur weil der Westen noch keine eigenen Flugzeuge lieferte oder mit offiziellen Truppen in die Ukraine zog, macht er anscheinend nicht alles, „was er tun kann“. Insgesamt wird suggeriert, die westlichen Waffenlieferungen seien letztlich nicht konfliktiv, sondern notwendig und womöglich gar gering im Umfang. Dafür braucht es ordentlich Chuzpe angesichts der umfänglichen Lieferung von Angriffswaffen (Raketen, Panzer, Artillerie), der Bereitstellung von Geheimdienstinformationen, Leitung von Sabotageakten, Ausbildung ukrainischer Truppen, et cetera. Welche wasserdichte völkerrechtliche Legitimierung gibt es überhaupt dafür? Das kritische Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags und verwandte Schriftstücke sind ebenfalls keine Silbe wert. Früher einmal war es eine maßgebliche Erkenntnis der Friedensforschung, dass jede Waffe zur Eskalation beiträgt. Davon hat sich die heutige „Forschung“ offensichtlich verabschiedet. Offenkundig gilt der Befund nur noch für „böse“ iranische, russische oder chinesische Waffen, nicht für „gute“ westliche.

Offenkundig wird auch nicht verstanden, dass es nicht am Westen sein kann zu definieren, ob seine Waffenlieferungen eskalativen Charakter haben. Dies erfolgt in der Internationalen Politik stets durch denjenigen, gegen die sie sich richten – hier eben Russland. Die aus den Waffenlieferungen resultierende Atomkriegsgefahr wischt Werkner jedoch mit dem Satz „Die Gefahr halte ich für unwahrscheinlich, aber nicht für ausgeschlossen“ beiseite. Allenfalls sei sie wieder an der Person des russischen Präsidenten festzumachen. Dass dieser weder im luftleeren Raum noch für sich alleine entscheidet, sondern in ein Netz institutioneller Strukturen seines Landes eingebettet ist, wird ebenfalls weggelassen. Auch, dass die russische Nukleardoktrin vom 02. Juni 2020 den Einsatz von Atomwaffen für den Fall einer Bedrohung der staatlichen Existenz Russlands mit konventionellen Waffen in Aussicht stellt. So heißt es dort unter Ziffer 17:

“17. The Russian Federation reserves the right to use nuclear weapons (…) in the event of aggression against the Russian Federation with the use of conventional weapons when the very existence of the state is in jeopardy”

Quelle: mid.ru

Auf Deutsch: Die Russische Föderation behält sich das Recht vor, Atomwaffen (…) im Falle einer Aggression gegen die Russische Föderation mit konventionellen Waffen einzusetzen, wenn die Existenz des Staates gefährdet ist.

Eine Niederlage, die zum Verlust von Donbass und vor allem der Krim führt, ein Sturz der Regierung oder gar ein Aufsplittern der Föderation gemäß westlicher „Dekolonisierung“, wie in manchen westlichen Gesprächsrunden offenbar bereits diskutiert wird – eine solche Niederlage fiele wohl sicherlich darunter.

Es gibt sicherlich noch andere diskussions- und kritikwürdige Aspekte in diesem Interview, dies erst einmal für den Anfang.

Titelbild: Wirkungsstätte der FEST Heidelberg

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