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Ein Ereignis, das im November 2003 mehr als zehntausend Menschen anlockte:  Taufpatin Rosemarie Schmidt-Walther im Medienrummel kurz nach der Taufe
Fotos: Schmidt-WaltherEin Ereignis, das im November 2003 mehr als zehntausend Menschen anlockte: Taufpatin Rosemarie Schmidt-Walther im Medienrummel kurz nach der Taufe

Maritimes Pommern

Die wechselvolle Geschichte der „Gorch Fock“

Und was das Schiff mit dem Hiddenseer Goldschatz verbindet

Rosemarie Schmidt-Walther
03.10.2022

Ich durfte die „Gorch Fock“ taufen. Nein, nicht die, die gerade für 135 Millionen Euro saniert wurde, sondern ihre ältere Schwester „Gorch Fock“ (I). Von so einem warmen Geld-Regen kann die fast 90 Jahre alte Bark nur träumen.

Trotzdem führt sie jetzt ihr drittes Leben. Und das in ihrem alten Heimathafen Stralsund. Der Stadt, die auch meine Heimatstadt ist und von der ich ein wunderschönes Taufgeschenk erhielt.

Wie es dazu kam, ist eine abenteuerliche Geschichte, die viele Jahre zuvor begann. 1932 wurde die Bark von der Reichsmarine bei der Hamburger Werft Blohm+Voss auf Kiel gelegt, lief im Mai 1933 vom Stapel und wurde nach dem Dichter Johann Wilhelm Kienau alias Gorch Fock getauft. Sie diente als Segelschulschiff und wurde zum Ende des Krieges am 30. April 1945 im Strelasund von der Wehrmacht versenkt.

Auch unter ukrainischer Flagge

Die sowjetische Militär-Administratur ließ das Schiff 1947 bergen und anschließend in Wismar und Rostock wiederherstellen. Man gab ihr 1950 den Namen „Towarischtsch“ (Genosse/Kamerad) und ließ sie wieder als Segelschulschiff auf das Meer. Mit dem Ende der Sowjetunion fuhr sie ab 1992 unter ukrainischer Flagge und bot Mitfahrten an, was weltweit von zahlenden Trainees genutzt wurde.

Inzwischen betreute der Verein Tall-Ship-Friends e.V. das Schiff und bemühte sich um notwendige Reparaturen, die jedoch durch die Ukraine nicht finanziell erbracht werden konnten. Ebenso scheiterten einige Reparaturangebote aus Großbritannien.

Der Verein organisierte die Arbeiten in Wilhelmshaven, wo die Bark 1999 festmachte. Nach anfänglichen Aktivitäten scheiterte auch hier das Vorhaben, sodass sich der Verein Tall-Ship-Friends zurückzog. Der Zustand der „Towarischtsch“ verschlechtert sich zunehmend wie bei einem schwerkranken Patienten.

Mein Mann, der Schifffahrtsjournalist Peer Schmidt-Walther, der jede Regung eines Wasserfahrzeugs zu spüren scheint, hatte natürlich „Wind“ davon bekommen und leitete die Rettungsaktion ein. Er rüttelte an den Rathaustüren, scharte Gleichgesinnte um sich und nahm Kontakt zum Verein Tall-Ship-Friends auf. Das Ziel: Das Schiff muss zurück nach Stralsund in seinen alten Heimathafen. Alles war von Erfolg gekrönt. Der Verein kaufte die „Towarischtsch“.

Stralsund bot nun auch den Liegeplatz im Hafen und die erforderlichen städtischen Leistungen für die Versorgung mit Wasser und Strom an. Im Spätsommer 2003 wurde die Bark in Wilhelmshaven auf ein Dock-Schiff geladen und nach Stralsund auf die Volkswerft gebracht, wo sie innerhalb von sechs Wochen instandgesetzt und die Schwimmfähigkeit wieder hergestellt wurde.

„Towarischtsch“ wieder „Gorch Fock“

Am 29. November 2003 taufte ich sie auf ihren alten Namen „Gorch Fock“. Mehr als zehntausend Menschen hatten sich am Hafen eingefunden, um diesen Moment mitzuerleben. Die Flasche Champagner – von einem Altstadt-Händler gestiftet – zerschellte beim ersten Wurf unter lauten Jubelrufen am weißen Rumpf.

Der Oberbürgermeister überreichte mir unerwartet ein Taufgeschenk. Eine weiße Schachtel mit der Aufschrift C. Stabenow, dem Namen eines bekannten Goldschmieds in der Hansestadt. Sie enthielt eine goldene Kette. Ich erkannte sofort die kleine Replik eines Teils vom berühmten Hiddenseer Goldschmuck und fühlte mich geehrt. Obwohl es an sich schon eine große Ehre war und ist, die Taufpatin der wiederbelebten „Gorch Fock“ (I) zu sein, war ich außerdem noch sehr erfreut und dankbar.

Erste Replik Ende 19. Jahrhundert

Die Kette erinnert mich seit fast 20 Jahren an diesen wundervollen Augenblick der Taufe. Das Hängekreuz ist erstaunlich kunstvoll gearbeitet und mit dem Original identisch. Lediglich die Größe unterscheidet sie. Wie auch das Material, denn beim Original beträgt der Goldgehalt zwischen 93 und 97 Prozent, während die Taufkette aus Sterlingsilber besteht und vergoldet wurde.

Den winzigen filigranen Verzierungen mit Flechtband und Granulationen tut dies keinen Abbruch. Betrachtet man das Schmuckstück, möchte man gern genauer wissen, wie der Goldschmied C. Stabenow es hergestellt hat. Wie zu erfahren war, wird der Schmuck in einer Negativ-Form gegossen. Anschließend werden unter der Lupe die feinen Strukturen präzise herausgearbeitet.

Für die Schmuckstücke im Kleinformat musste der Goldschmied zunächst Originale herstellen, die dann für den Abdruck benutzt werden konnten. Allerdings durfte Ende des 19. Jahrhunderts der Kunsthandwerker und Hofjuwelier Franz Carl Paul Telge, Berlin, erstmalig einen Abdruck vom Original nehmen. Er war Hofjuwelier und Hofgoldschmied des rumänischen Königspaares Karl I. und Elisabeth. Dabei fertigte er diverse Reproduktionen prähistorischer Goldfunde an.

Seitdem erfreuen sich die Hiddenseer Motive in den verschiedensten Varianten bei Schmuckliebhabern großer Beliebtheit. Ob Kettenanhänger, Anstecknadeln, Manschettenknöpfe oder Ohrringe – all das gibt es in den unterschiedlichsten Größen, in Gold oder vergoldetem Silber. So auch mein Geschenk zur Taufe der „Gorch Fock“.

Heute gehört das Schiff zum Stadtbild Stralsunds und kann fast täglich besichtigt werden. Wieder sind jedoch Reparaturen fällig, und es wird schon länger diskutiert, ob die Stadt die Bark vom Eigner, dem Verein, für eine Millionen Euro kaufen soll.


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Kommentare

Kersti Wolnow am 03.10.22, 08:29 Uhr

Mit 9 Jahren mußte ich meine Heimatstadt Plauen verlassen, 9 Jahre später nach dem Abitur in der Hansa-Oberschule meine 2. Heimatstadt Stralsund, in die ich nach der Heirat nur noch kurzzeitig besuchsweise zurückkehre.
Plauen ist mittlerweile wieder zurückrestauriert, während ich die neue Rügenbrücke und das neue Meeresmuseum, das in den historischen Hafen überhaupt nicht hineinpaßt, in Stralsund für eine gewaltige Geschmacksverirrung halte. Ich hoffe, die Stadt kauft das alte Schiff zurück.
Bis heute kann ich wie auch mein Vater, ein stadtbekannter Genosse damals bei Robotron, die Stralsunder Stadtväter in der DDR nicht verstehen, wie sie die historisch wertvolle Innenstadt bis 1990 dermaßen vergammeln lassen konnten.
Die gehörten wohl zu den Kräften, die heute gegen den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden, der Garnisonskirche in Potsdam, des Berliner Schlosses, der Altstadt in Lübeck und Frankfurt wetterten und wettern.

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