Weltwirtschaft

Globale Finanzmärkte knicken ein, Weltwirtschaft wird folgen

Lesezeit: 4 min
29.09.2022 22:20  Aktualisiert: 29.09.2022 22:20
Die globalen Finanzmärkte verzeichnen derzeit die größte Korrektur seit der Finanzkrise. Der Einbruch der Weltwirtschaft deutet sich schon an, zuerst in Europa.
Globale Finanzmärkte knicken ein, Weltwirtschaft wird folgen
Fed-Chef Jerome Powell letzte Woche im Federal Reserve Board Building in Washington. Seine Geldpolitik führt die Weltwirtschaft in eine Rezession. (Foto: dpa)
Foto: Jacquelyn Martin

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die globalen Finanzmärkte durchlaufen derzeit die stärkste Korrektur seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2008. Hintergrund ist die von der US-Notenbank Federal Reserve eingeleitete Zinswende, die offenbar noch lange nicht vorbei ist. Vielmehr wird erwartet, dass die Fed auch auf ihrer nächsten Sitzung die Zinsen weiter anheben wird. Daher stieg die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen diese Woche kurzzeitig auf 4 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit 2010.

Die globalen Aktienmärkte haben dieses Jahr stark nachgegeben, und auch die Anleiheportfolios haben in diesem Jahr erstaunliche 21 Prozent verloren, wie der Economist berichtet. Der Dollar hingegen hat sich als äußerst stark erwiesen. Seit Mitte August ist die US-Währung handelsgewichtet um 5,5 Prozent gestiegen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Fed die Zinsen anhebt, aber auch darauf, dass Anleger derzeit Risiken meiden.

In ganz Asien intervenieren die Staaten, um die Abwertung ihrer jeweiligen Währungen zu bremsen. Großbritannien hat diese Woche mit einer rücksichtslosen Finanzpolitik Öl um Haaresbreite eine globale Finanzkrise ausgelöst, was nur durch das umgehende Eingreifen der Bank of England gerade noch verhindert wurde. Und während die Anleiherenditen in der Eurozone rasant ansteigen, sehen die verschuldeten Staaten im Süden so anfällig aus wie seit der Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren nicht mehr.

Die Hauptursache für das derzeitige Chaos auf den Märkten ist sicherlich die Zinspolitik der Federal Reserve. Die Zentralbank geht davon aus, dass sie den Leitzins bis Ende des Jahres auf fast 4,5 Prozent und im kommenden Jahr noch weiter anheben wird. Die Aussichten für die Zinssätze wirken sich auf das gesamte amerikanische Finanzsystem aus. Die Kosten für 30-jährige Hypotheken liegen bei fast 7 Prozent. Die Renditen von Junk-Bonds liegen bereits bei über 9 Prozent, was dazu geführt hat, dass die Emission neuer Anleihen ins Stocken geraten ist.

Banker in den USA, die fremdfinanzierte Übernahmen zeichneten, als die Renditen noch niedriger waren, finden sich plötzlich mit Hunderten von Millionen Dollar in den roten Zahlen wieder. US-Pensionsfonds, die sich auf der Suche nach höheren Renditen bei niedrigeren Zinsen in undurchsichtige Anlagen abseits der Börsen gestürzt haben, müssen nun ihre Verluste ausgleichen, da ihre riskanten Anlagen rasant an Wert verlieren.

Probleme in Europa besonders stark

Doch am stärksten sind die finanziellen Auswirkungen der geldpolitischen Straffung der Fed außerhalb Amerikas. Der starke Anstieg des Dollars ist schmerzhaft für Energieimporteure, die bereits mit höheren Kosten zu kämpfen hatten. China hat darauf reagiert, indem es Leerverkäufe des Yuan erschwert hat, der am 28. September auf dem Offshore-Markt auf ein Rekordtief gegenüber dem Dollar fiel.

Auch Indien, Thailand und Singapur haben an den Finanzmärkten interveniert, um ihre jeweiligen Währungen zu stützen. Ohne China sind die Währungsreserven der Schwellenländer nach Angaben der Bank JPMorgan Chase im vergangenen Jahr um mehr als 200 Milliarden Dollar gesunken. Dies war der schnellste Rückgang seit zwei Jahrzehnten.

Die wirtschaftlich kräftigen Staaten können der Dollarstärke normalerweise besser standhalten. Doch aktuell haben sie vielleicht sogar größere Probleme. Einige der Währungen, die im laufenden Jahr bisher am schlechtesten abgeschnitten haben, stammen aus der entwickelten Welt. Schweden hob am 20. September die Zinsen um einen ganzen Prozentpunkt an und musste dennoch einen Rückgang seiner Währung gegenüber Dollar und Euro hinnehmen.

In Großbritannien haben die steigenden Renditen auf Staatsanleihen kaum ausländisches Kapital angelockt. Die koreanische Zentralbank leiht Währungsreserven an den nationalen Rentenfonds, damit dieser weniger Dollar auf dem freien Markt kauft. In Japan hat die Regierung zum ersten Mal in diesem Jahrhundert interveniert, um den Yen zu stützen, obwohl die Zentralbank anscheinend fest entschlossen ist, die Zinsen weiter niedrig zu halten.

Starker Dollar stützt die USA

Der Druck auf die Währungen der reichen Staaten erklärt sich zum Teil dadurch, dass viele Zentralbanken bisher nicht mit der Straffung der Fed Schritt halten konnten - und das aus gutem Grund, denn ihre Volkswirtschaften sind schwächer. Die Energiekrise ist dabei, Europa in eine Rezession zu stürzen. Südkorea und Japan leiden unter den Auswirkungen der Konjunkturabschwächung in China, die durch die Immobilienkrise und die Null-Covid-Politik verursacht wurde.

Ein starker Dollar exportiert das amerikanische Inflationsproblem in die wirtschaftlich schwächeren Staaten. Diese können ihre Währungen stützen, indem sie die Zinssätze im Einklang mit der Fed anheben, aber nur um den Preis eines noch geringeren Wachstums. Großbritannien verliert derzeit an beiden Fronten. Einerseits erwarten die Märkte, dass die Bank of England im nächsten Jahr die höchsten Zinssätze unter allen großen reichen Staaten festlegen wird, andererseits ist das Pfund Sterling trotzdem eingebrochen. Wenn die Bank die Zinsen weiter erhöht, könnte zudem der Immobilienmarkt zusammenbrechen.

Selbst die amerikanische Wirtschaft, die sich in diesem Jahr als relativ widerstandsfähig erwiesen hat, wird einen so starken Zinsschock wie den bevorstehenden wahrscheinlich nicht überstehen. Die Hauspreise fallen bereits, Banken entlassen Mitarbeiter, und FedEx und Ford, zwei wirtschaftliche Vorboten, haben Gewinnwarnungen herausgegeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Arbeitslosenquote steigt. Höhere Zinsen werden der Realwirtschaft schaden und viel Leid verursachen. Und genau das sagen die globalen Finanzmärkte derzeit unmissverständlich voraus.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...