Tod von Uri Orlev :
Ein Kind allein im Weltkrieg

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In seinen Werken fragt der Autor Uri Orlev (1931 bis 2022) nach dem Schicksal der Kinder, um die sich Erwachsene nicht kümmern können oder wollen.
Er erzählte vom Grauen des Kriegs, von Verrat und Menschlichkeit, und von alleingelassenen Kindern. Nun ist der israelische Autor Uri Orlev gestorben.

Knapp neun Jahre ist der Junge alt, der eigentlich Srulik heißt und sich zur Tarnung Jurek nennt, als ihn ein Helfer aus dem Warschauer Ghetto schmuggelt, in die Wälder bringt und bei einer Gruppe untergetauchter jüdischer Kinder seinem Schicksal überlässt. Er schlägt sich durch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, und dass er überlebt, ist ein Wunder: Hilfe und Verrat begegnen ihm überall, manchmal zeitlich eng miteinander verwoben, untergetaucht erleidet er einen Arbeitsunfall und verliert im Krankenhaus seinen Arm, weil ein Arzt ihn als Juden erkennt und nicht behandeln will. Und schließlich, das größte Wunder von allen, darf er tun, was für ein Kind in diesem Alter normal sein sollte, in die Schule gehen. In der er so begierig lernt, dass er ein paar Klassen überspringt.

„Lauf, Junge, lauf“, heißt Uri Orlevs Roman von 2001, den er, wie manche andere, dicht an einer wahren Ge­schichte entlang verfasst hat. 2014 kam seine Verfilmung durch den deutschen Regisseur Pepe Danquart in die Kinos. Das Schicksal alleingelassener Kinder steht im Zentrum einiger Romane des jüdischen Autors, der als Jerzy Henryk Orlowski am 24. Februar 1931 in Warschau geboren wurde, nach dem Einmarsch der Wehrmacht ins Ghetto der Stadt gebracht wurde und später Bergen-Belsen überlebte. Wie auch im Roman „Die Bleisoldaten“ schildert er die Ereignisse aus der Perspektive seiner jungen Protagonisten, die unnatürlich schnell Instinkte und Urteilsvermögen entwickeln müssen, wenn sie überleben wollen, zu­gleich Härte und ein Wissen darüber, wem zu trauen ist.

Aufwachsen in Israel

Denn natürlich geht es dabei immer auch um die Erwachsenen, um diejenigen, die nicht mehr da sind und den Kindern nicht die Kindheit bieten können, die sie verdienen, ebenso wie um diejenigen, die als Fremde, als Zufallsbegegnungen über Leben und Tod entscheiden.

Orlev kam gemeinsam mit seinem Bruder nach dem Krieg über Paris in den Nahen Osten und wuchs im neuen Staat Israel auf. In „Ein Königreich für Eljuscha“, erschienen 2010 im Original und ein Jahr später auf Deutsch, hat Orlev vermittelt auch davon erzählt: Wie es ist, eine Zuflucht, die zur Heimat geworden ist, gegen eine neue Zuflucht einzutauschen, einen wehrhaften Staat, der die schützen soll, die anderswo wegen ihrer jüdischen Identität der entsetzlichsten Verfolgung ausgeliefert waren – und davon, wie mühsam der Aufbau eines solchen Staates ist, wie konfliktträchtig der Umgang mit den Nachbarn.

Neugier und Hoffnung waren für ihn zentrale Begriffe kinderliterarischen Schreibens. Dafür wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderen mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis für sein Lebenswerk. Am Dienstag ist Uri Orlev in Jerusalem gestorben.