Gazprom wird die Liefermengen über die Pipeline - die wichtigste Verbindung nach Deutschland - ab Mittwoch 7 Uhr Moskauer Zeit auf 20 Prozent der Kapazität drosseln, teilte der russische Gasriese mit. Grund sei, dass eine weitere der Turbinen, die das Gas in die Röhren pumpt, zur Wartung ansteht und ausser Betrieb genommen werden müsse. 

Es ist nicht abzusehen, wie lange die Kürzung bestehen bleibt, eine beunruhigende Aussicht für die Europäische Union, die bis zum Winter ihre Speicher füllen will. Die Energiekrise und die steigenden Preise, die sie mit sich bringt, bedrohen die Wirtschaft der EU. Nach der Mitteilung der Gazprom stieg der Preis für Erdgas in Europa um bis zu 12 Prozent.

Nach Angaben von Gazprom ist nur noch eine grosse Turbine der russischen Verdichterstation Portowaja, die die Pipeline speist, in Betrieb - normalerweise sind es sechs. Eine der Turbinen steckt wegen der internationalen Sanktionen auf dem Rücktransport von der Wartung fest. Andere müssen noch zur Wartung nach Kanada gebracht werden.

"Wenn es mit der zurückgeführten Turbine keine Probleme gibt, dürfte diese Reduktion nur vorübergehend sein. Wenn jedoch alle anderen grossen Turbinen auch nach Kanada gebracht werden müssen, ist es ein Wettlauf mit der Zeit, um sicherzustellen, dass die Gaslieferungen im Winter gewährleistet werden kann", sagte Jonathan Stern vom Oxford Institute for Energy Studies.

Die Rückführung der derzeit im Transit befindlichen Einheit nach Russland würde nach Aussage von Präsident Wladimir Putin eine Durchflussmenge von 40 Prozent der Kapazität ermöglichen. Dies entspricht dem Stand vor und nach der planmässigen Wartung der Pipeline Anfang dieses Monats.

Eine Unterbrechung der russischen Gaslieferungen könnte zu einer Einschränkung des Gasverbrauchs in Europa führen, bis hin zur Drosselung oder Schliessung ganzer Industriezweige. Wenn die Nord Stream-Lieferungen vollständig versiegen und der Winter kalt wird, könnten die Gasspeicher bis Ende Februar erschöpft sein, haben die Experten von Wood Mackenzie Ltd. berechnet. Niedrige Speicherstände im nächsten Frühjahr könnten ausserdem einen noch schwierigeren Winter im nächsten Jahr nach sich ziehen.

«Ernste Situation»

Wirtschaftsminister Habeck warf Putin ein "perfides Spiel" vor. In den ARD-Tagesthemen sagte er am Montagabend: "Wir sind in einer ernsten Situation. Es wird auch Zeit, dass das alle verstehen." Die Turbinenprobleme seien vorgeschobene "Farce-Geschichten". Es gebe keine technischen Gründe für die Liefereinschränkungen.

Putin hatte letzte Woche angekündigt, dass die russischen Gaslieferungen zurückgehen könnten, wenn der Streit um die Nord Stream-Turbinen nicht beigelegt wird.

Gazprom hatte im Juni begonnen, die Nord Stream-Lieferungen zu drosseln und dies mit Problemen mit den Turbinen der Portowaja-Station begründet. Laut Gazprom liegen diese Probleme an Verzögerungen bei der Reparatur durch den Hersteller Siemens Energy und wegen internationaler Sanktionen, sowie an der Abschaltung einiger Anlagen auf Anweisung der russischen Sicherheitsbehörden.

Am Montag sagte Gazprom, dass es immer noch sanktionsbedingte Probleme beim Rücktransport der Turbine gebe - obwohl Siemens dem Unternehmen einige Unterlagen zur Verfügung gestellt habe - sowie im Zusammenhang mit den anderen Turbinen, die gewartet werden müssten.

"Nach dem Studium der Dokumente musste Gazprom feststellen, dass sie die zuvor identifizierten Risiken nicht beseitigen und zusätzliche Fragen aufwerfen", teilte das Unternehmen auf Twitter mit. Laut Siemens kann die Turbine sofort geliefert werden, es liege an Russland, fehlende Zolldokumente nachzureichen.

Der Kreml erklärte am Montag, Russland habe "kein Interesse" an einer vollständigen Unterbrechung seiner Gaslieferungen nach Europa. "Die Turbine wird installiert, wenn alle technischen Formalitäten abgeschlossen sind und die Durchflussmengen werden die technisch möglichen Werte erreichen", so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag.

"Dass Gazprom behauptet, es gäbe so grosse technische Probleme mit den Kompressoren in Portowaja, ist angesichts der bisherigen Zuverlässigkeit der Nord Stream-Lieferungen und des Gazprom-Betriebs im Allgemeinen sehr überraschend", meint Stefan Ulrich, ein Analyst bei BloombergNEF. "Dies stützt die Argumentation derjenigen, die behaupten, dass die Kürzungen der Durchflüsse rein politischer Natur und die Probleme mit den Turbinen lediglich ein Ablenkungsmanöver sind", sagte er.

(Bloomberg)