Über viele Monate gab es einen Konsens in der politischen Mitte in Deutschland und in Europa: Russland ist der Aggressor und muss für seinen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar zahlen. Und die Ukraine muss sich auf die Unterstützung aus Deutschland und dem Westen verlassen können.

Doch wegen hoher Energiepreise und blankliegender Nerven durch mögliche Energieengpässe im Winter bröckeln diese Überzeugungen: Nach AfD und Linkspartei stellt nun auch die CSU die Sanktionen gegen Russland infrage. "Wir unterstützen die Ukraine aus Überzeugung, aber wir müssen auch auf die eigene Bevölkerung schauen: Frieren für den Frieden ist kein tragfähiges Konzept", sagte etwa CSU-Generalsekretär Martin Huber im "Münchner Merkur".

Die Regierung setzt das unter Druck, denn sie will unbedingt an ihrer Linie gegenüber der Ukraine und an den Sanktionen festhalten. "Es ist klar, wir werden angesichts der schwierigen Versorgungslage und hohen Inflation um die andauernde Unterstützung unserer Ukraine-Politik kämpfen müssen", sagt ein hoher Ampel-Regierungsvertreter deshalb zu Reuters. Am Mittwochabend zeigte sich Aussenministerin Annalena Baerbock zwar überzeugt, dass die Hilfsbereitschaft anhalten wird. "Ich erlebe eine Solidarität in diesem Land, die unvorstellbar ist", sagte sie auf einer Veranstaltung der RND-Mediengruppe. Tatsächlich sagen laut ZDF-Politbarometer 70 Prozent aller Befragten, dass sie die Ukraine trotz hoher Energiepreise weiterhin in der Verteidigung gegen den russischen Angriff unterstützen wollen.

Wem schaden die Sanktionen mehr?

Doch in anderen Meinungsumfragen deutet sich ein Umschwung an: In einer Forsa-Umfrage war erstmals eine knappe Mehrheit der Deutschen (51 Prozent) der Meinung, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen Deutschland mehr schadeten als Russland. In einer kurz danach veröffentlichten Insa-Umfrage waren es immerhin knapp 50 Prozent. In der Regierung macht man sich wenig Illusionen, dass die Stimmung ganz umschlagen könnte, wenn Russland gar kein Gas mehr liefert und die Energiepreise weiter in die Höhe schiessen.

Das kann auch neue Spannungen in der Ampel-Regierung bedeuten. Denn zwischen den Anhängern der drei Parteien gibt es gravierende Unterschiede. Nur die Anhänger der Grünen glaubten mit deutlicher Mehrheit, dass die Sanktionen Russland stärker treffen als das eigene Land, sagt Forsa-Geschäftsführer Peter Matuschek zu Reuters. Die SPD- und FDP-Anhänger zweifeln dagegen mehrheitlich an der Aussage von Kanzler Olaf Scholz, dass die Sanktionen Russland mehr schadeten.

Scholz schwört Bürger auf lange Sanktionen ein

Dies verursacht in der Regierung Kopfzerbrechen. Denn Scholz und Aussenministerin Baerbock wollen auf jeden Fall an den Sanktionen festhalten. "Zum einen wird Deutschland ohnehin immer misstrauisch beäugt, weil uns zu Unrecht ein Schmusekurs mit Russland unterstellt wird", heisst es zur Begründung in der Regierung.

Zum anderen dürfe man Russlands Präsident Wladimir Putin auf keinen Fall für den Krieg in der Ukraine belohnen, der bereits zehntausende von Menschen das Leben gekostet hat. "Putin darf uns nicht brechen", mahnt Baerbock, die deshalb fordert, lieber soziale Härten abzufedern, damit es nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft kommt.

Die EU-Sanktionen könnten nur aufgehoben werden, wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky dies befürwortet, betonen Scholz und Baerbock. Wegen der Unnachgiebigkeit von Putin schwor der Kanzler die Bevölkerung am Montag dementsprechend in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" auf lange Sanktionen ein.

Aber Innenminister Nancy Faeser warnt bereits vor einer Radikalisierung der Sanktionsgegner an den politischen Rändern im Herbst. Eine weitere Gefahr droht nach Angaben von Regierungsvertretern gar nicht etwa durch eine mildere Sicht auf Putin, sondern schlicht durch eine sich einstellende Ukraine-Müdigkeit. Die täglichen Berichte über das brutale russische Vorgehen würden langsam Standard und rückten in der Berichterstattung weiter nach hinten. Längst entdeckten Medien wieder andere Themen - gerade im heissen Sommer.

Deshalb stehe die Regierung auch vor der kommunikativen Herausforderung, den Menschen weiter klar zu machen, was auf dem Spiel stehe, sagt ein Regierungsvertreter. Dies ist auch einer der Hintergedanken hinter der innenpolitischen Sommertour von Baerbock. Die Aussenministerin will bei ihren Bürgergesprächen immer wieder die Bedeutung des Ukraine-Kriegs und die Notwendigkeit der Sanktionen gegen Russland hervorheben. Kanzler Scholz verweist darauf in jeder Rede.

Die CSU sucht nun erst einmal einen Mittelweg, um die Regierung zu treffen, sich aber nicht zu weit aus dem bisherigen Konsens der Mitte-Parteien weg zu bewegen. Den Startschuss dazu gab CSU-Chef Markus Söder im ARD-Sommerinterview: Solidarität mit der Ukraine sei gut, aber eben die Politik gegenüber Russland falsch. "Waffen helfen der Ukraine schneller als Sanktionen. Da muss die Bundesregierung nachlegen", beschreibt CSU-Generalsekretär Huber den neuen Weg der Christsozialen.

(Reuters)