US-Amerikaner, die vom ungewöhnlich schwachen Euro profitieren wollen, buchen nicht nur Einkaufsreisen nach Europa: Sie gehen auch riskante Wetten am Devisenmarkt ein. Während der Devisenhandel in der Vergangenheit den Spezialabteilungen an der Wall Street vorbehalten war, haben grosse Schwankungen der Weltwährungen auch Privatanleger in die komplizierte Welt der Devisen gelockt.

Vor allem der Euro ist mit seiner rasanten Abwärtsspirale in den Fokus von Privatanlegern gerückt. Die Währung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist letzte Woche zum ersten Mal seit 20 Jahren auf die Dollarparität gefallen. 

Es ist ein turbulentes Jahr für Europa - vom Krieg in der Ukraine bis hin zu einer Energiekrise und dem wachsenden Risiko, dass Russland die Gasexporte einstellt. Als Konsequenz wird eine Rezession in der Eurozone immer wahrscheinlicher, während höhere Zinsen in den USA den Dollar im Vergleich zum Euro attraktiver erscheinen lassen.

Greg Doscher, ein 40-jähriger Privatanleger im kalifornischen Santa Barbara hat einen Gewinn von 322 Prozent erzielt, nachdem er Ende Januar etwa 10’000 Dollar in eine Short-Position auf den Euro investiert hatte. Er ist der Meinung, dass die Europäische Zentralbank EZB trotz der steigenden Inflation die Zinsen nicht so aggressiv anheben werde wie die US-Notenbank Fed, was den Dollar weiter stärken dürfte.

"Es ist einfach eine Art wildes Experiment", sagte Doscher. "Als die Renditen in den USA zu steigen begannen, schien es ziemlich offensichtlich, dass es einen Geldfluss aus dem Euro in den Dollar geben würde."

Wie Meme-Aktienrausch: Zunahme der Dollarwetten

Privatanleger seien "hyperfokussiert" auf die Stärke des Dollars, sagt Shawn Cruz, verantwortlich für Derivateprodukte beim Broker TD Ameritrade. Bullische Wetten auf den Greenback hätten unter diesen eine kultähnliche Anhängerschaft gewonnen, ähnlich wie der Meme-Aktienrausch für GameStop und AMC im vergangenen Jahr.

Auch Privatanleger ausserhalb der USA beteiligen sich an den Devisen-Wetten. Der Online-Broker eToro, der Nutzer in mehr als 100 Ländern hat, verzeichnete in den ersten beiden Juliwochen einen Anstieg der eröffneten Positionen auf dem Euro-Dollar-Markt um 79 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Juni. Auch das Handelsvolumen ist im Vergleich zum Vormonat um 72 Prozent gestiegen.

"Die Euro-Dollar-Parität ist die grösste Hürde auf den globalen Devisenmärkten. Das Interesse der Kleinanleger ist mit dem Näherrücken ihrer Überschreitung sprunghaft angestiegen", sagte Ben Laidler, ein globaler Marktstratege bei eToro. "Da sich viele Märkte in diesem Jahr im freien Fall befinden oder stagnieren, waren die Möglichkeiten für Anleger begrenzt. Aber der Dollar bot eine gewinnbringende Alternative - und die Privatanleger haben darauf reagiert."

So hätten Privatanleger darauf gewettet, dass der starke Dollar den in den USA ansässigen Technologieunternehmen schaden werde, die einen grossen Teil ihrer Einnahmen aus dem Ausland beziehen, so Cruz. Sie wetten auch darauf, dass eine steigende US-Währung die Rohstoffpreise unter Druck setzen werde. Rohstoffe sind in der Regel in Dollar notiert und fallen daher, wenn der Dollar stärker wird.

Privatanleger, die sich in Währungen engagieren wollen, verwenden häufig ETP (Exchange Traded Products) oder Optionen auf diese Produkte. So können diese beispielsweise Optionskontrakte verwenden, um gegen europäische Aktien zu wetten, die durch ein schwächeres Wachstum in der Eurozone beeinträchtigt werden könnten.

«Caveat emptor»: Vorsicht beim Kauf

Finanzexperten warnen davor, dass der Einstieg in den Devisenmarkt aufgrund der inhärenten Volatilität der Währungen riskant sein kann. Laut Chris Zaccarelli, Anlagechef beim Finanzberater Independent Advisor Alliance, gelte für den Devisenhandel das Sprichwort "caveat emptor" - Vorsicht beim Kauf - noch mehr als für die traditionellen Finanzmärkte.

Ein weiteres Problem sei das "Potenzial für FOMO-Geschäfte" unter Privatanlegern, so Andy Constan, Geschäftsführer des Marktforschers Damped Spring Advisors. "Der Euro ist bereits stark gefallen, so dass die Zeit zum Einsteigen und Profitieren bereits vorbei ist", sagte er. "Zu diesem späten Zeitpunkt auf den Euro-Zug aufzuspringen, ist keine gute Idee".

(Bloomberg/cash)