cash.ch: Die Volatilität an den Märkten ist weiterhin auf einem hohen Niveau. Es setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass eine Rezession in den USA ein realistisches Szenario ist. Wie ordnen Sie die aktuelle Marktlage ein?

Catherine Doyle: Die Ausgangslage ist wegen der hohen Volatilität für alle Marktteilnehmer anspruchsvoll. Die Nervosität dürfte auf absehbare Zeit nicht abnehmen. Man muss daher bei den Investments sehr selektiv vorgehen. Nach der grossen Finanzkrise 2008 war es für Anlegerinnen und Anleger möglich, auf einfache Weise an einem steigenden Markt zu partizipieren, der durch die expansive Geldpolitik der Zentralbanken angetrieben wurde. Die grosse Differenz zu damals besteht darin, dass die US-Notenbank Fed den Märkten jetzt bei starken Rücksetzern nicht zu Hilfe kommt. Fakt ist vielmehr, dass die Zentralbanken dem Markt Liquidität entziehen. 

Wird die US-Notenbank Fed keine Kehrtwende vollziehen, wenn die Wirtschaft in eine Rezession abrutscht?

Das ist die Millionen-Dollar-Frage. An einem gewissen Punkt wird die Fed sicherlich eine Kehrtwende vollziehen. Und korrigiert der Markt noch stärker, wird es für die Fed schwierig, gar nicht zu reagieren. Trotzdem hat Fed-Chef Powell in seiner letzten Rede gesagt, dass die Inflation seine Hauptsorge sei. Zudem hat sich diese auch zu einem politischen Kampfplatz entwickelt. Wenn die Konsumenten darunter leiden, wird sich dies schlussendlich auf das Stimmverhalten auswirken. Wenn die Inflation aber schlussendlich fällt, wird die Fed mehr Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik haben.

Die Inflationszahlen in den USA sind im Juni viel deutlicher gestiegen als erwartet. Die grosse Frage ist daher: Wann wird sich die Teuerung abschwächen?

Wir hatten dieses Jahr mit der russischen Invasion der Ukraine einen sogenannten Black Swan Event. Dies hat den existierenden Inflationsdruck und die bestehenden Lieferengpässe noch verschlimmert. Die Teuerung erreicht jetzt weltweit ihren Zenit und wird sich ab 2024 auf einem höheren Level um die 3 Prozent einpendeln. Wir müssen uns daher an eine Umgebung mit einer höheren Inflation gewöhnen.

Was bedeutet die Inflationsprognose für das Portfolio ihres Fonds?

Da die Inflation aktuell ihren Höhepunkt erreicht, reduzierten wir bei Ölunternehmen wie Conoco Phillips den Bestand. Um die Inflationsthematik trotzdem abzudecken, haben wir Investmentgesellschaften aus den Bereichen erneuerbare Energien und Infrastruktur im Portfolio, deren Verträge - oftmals mit Regierungen - gegen die Teuerung abgesichert sind. Die hochbleibende Inflation hat auch negative Auswirkungen auf die gehaltenen Anleihen im Portfolio, da sie die Renditen in die Höhe treibt und die Kurse absacken lässt.

Rezessionsgefahr, hohe Inflation und geopolitische Spannungen: Entwickelt sich gegenwärtige alles in die falsche Richtung?

Eine Sache, die uns bisher positiv gestimmt hat, ist der gesunde Zustand des Arbeitsmarkts. Erst kürzlich sieht man aber, dass Unternehmen wie Novartis Entlassungen ankündigen. Und zahlreiche Technologieunternehmen wie Netflix und Google haben bereits begonnen, ihre Belegschaft zu reduzieren. Das wird die Dynamik an den Märkten verändern, da es die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt verringern wird.

Die US-Wirtschaft ist stark konsumgetrieben. Droht auch hier wegen der hohen inflation Ungemach?

Bis kürzlich war auch der Konsument in einer guten Verfassung, was sich in einem gesunden Ausgabeverhalten gezeigt hat. Jetzt aber spürt der Konsument die Inflation bei Basiskonsumgütern wie Nahrung. Das wird eine Wirkung haben.

Inwiefern wird sich das Verhalten der Konsumenten ändern?

Das Kaufverhalten vieler Menschen wird sich dahingehend ändern, dass weniger konsumiert wird.

Was bedeutet diese Ausgangslage für die Märkte?

Die Schwäche der Märkte dürfte sich fortsetzen und wir könnten eine weitere Abwärtsbewegung an den Märkten erleben. Wir kommen jetzt in die Gewinnsaison der Unternehmen. Im Fokus steht dabei der Ausblick der Unternehmen. Investorinnen und Investoren werden auch speziell ein Auge darauf werfen, ob die Margen durch gestiegene Rohmaterialienpreise und Transportkosten unter Druck kommen. Zudem geben die Unternehmenszahlen einen Einblick, inwiefern die Konsumentennachfrage der Inflation standhält.

Wie bewerten Sie das Risiko, dass Putin am 21. Juli die Pipeline Nord Stream 1 nicht wieder öffnet und damit Europa den Erdgashahn zudreht?

Es ist sicherlich ein erhebliches Risiko. Wir haben unseren Anteil an europäischen Aktien reduziert, da sich Europa in einer fragilen und abhängigen Position befindet. Erst kürzlich wurden mit Dominion Energy und NextEra Energy zwei weitere US-Grundversorger in das Portfolio aufgenommen. Bei den europäischen Pendants wurde hingegen der Bestand abgebaut. Die USA befindet sich in einer beneidenswerten Position, da sie bei der Energie weitgehend autark sind.

Was sind die Konsequenzen der Energiekrise?

Die Energiekrise wird den Trend zu einer grüneren Wirtschaft und zu einer Nationalisierung von wichtigen Industrien verstärken.

Aber die Nationalisierung von Industrien wird die Inflation weiter anheizen…

Ja, diese Entwicklung ist inflationär. Man muss dies aber mit anderen deflationären Trends wie der globalen Schuldenlast, der alternden Bevölkerung und der Technologie aufwiegen.

Wie hoch schätzen Sie das Stagflations-Szenario ein?

Das Risiko für eine Stagflation ist hoch. Das Wachstum hat sich in den USA und Europa bereits deutlich verlangsamt. Und der Inflationsdruck besteht weiter. Das ergibt einen giftigen Cocktail.

Was ist das grösste Risiko, dass die Aktienmärkte noch nicht eingepreist haben?

Die Möglichkeit einer grossen Disruption am Energiemarkt durch einen russischen Erdgasstopp für Europa ist noch nicht eingepreist. Putin wird weiter aggressiv und rücksichtlos vorgehen. Die Auswirkungen werden in Ländern wie Deutschland deutlich sichtbar sein. Dies wird Nachwirkungen in der ganzen globalen Lieferkette haben. Wir haben erst kürzlich gesehen, wie Engpässe bei Chips in der Autoindustrie die Produktion in Mitleidenschaft gezogen haben. Diese drohende Knappheit an Gütern hat schlussendlich einen kaskadenhaften Effekt.

Dieses Szenario wird noch weitgehendst ausgeblendet. Auf was konzentriert sich aktuell hauptsächlich die Aufmerksamkeit an den Märkten?

Der Markt hat die Aufmerksamkeit von der Inflation auf die Rezessionsthematik verschoben. Dies, obwohl es in vielen Ländern mehr nach einer technischen Rezession ausschaut. Denn die Arbeitsmärkte sind immer noch in einem guten Zustand. Eine Rezession wird daher vermutlich weniger schwerwiegend sein, als dies in früheren Wirtschaftseinbrüchen der Fall war. Die Wirtschaft könnte sich bereits 2023 wieder erholen. Wir anerkennen aber auch, dass der Zustand der Arbeitsmärkte ein nachlaufender Indikator ist. 

Welche Strategie verfolgen Sie aktuell bei Ihren Investments?

Im gegenwärtigen Marktumfeld ist Stock Picking gefragt. Wir haben trotz der absehbaren Schwächung der Konsumenten Unternehmen mit starken Marken wie LVMH in unserem Portfolio, da die Nachfrage nach deren Produkten hochgeblieben ist. Generell stehen Unternehmen mit einer starken Preissetzungsmacht im Fokus. Diese können dem konjunkturellen Gegenwind standhalten und die gestiegenen Kosten teils weitergeben. Die Fokussierung auf eher defensive Titel und ein hohes Mass an direkter Absicherung widerspiegeln unsere vorsichtige Haltung.

Wie sieht die Absicherung gegen Marktverwerfungen in Ihrem Portfolio aus?

Wir haben eine direkte Absicherung mit Short Futures auf unsere Aktien. Wir haben eine indirekte Absicherung gegen eine Rezession durch einen kleinen Anteil an Staatsanleihen. Gegen die Inflation haben wir Goldinvestments, die 8 Prozent des Portfolios ausmachen. 

Gold hat sich aber nicht wirklich als Krisenschutz bewährt…

Zwei Faktoren treiben typischerweise den Goldpreis an: Dies sind die Realzinsen und der Dollar. Beide haben sich in diesem Jahr in die falsche Richtung bewegt. Angesichts steigender Realzinsen und einem erstarkten Dollar hat sich aber Gold gut gehalten. Als realer Vermögenswert verdient Gold einen festen Platz im Portfolio, da es gegen unvorhergesehene Ereignisse und die Inflation absichert.

Inwiefern könnte die Wirtschaftsabschwächung dem Goldpreis in die Hände spielen?

In den kommenden Monaten könnten die Realzinsen zurückkommen, nachdem die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen ihren Höhepunkt zwischen 3 und 3,5 Prozent erreicht haben wird. Die Stärke des Dollars ist ein bisschen überraschend und hat sicherlich mit der Funktion als sicherem Hafen und der Zinsdifferenzen zu tun. Diese werden auch zukünftig der Haupttreiber sein. Der Fortgang der Dollarstärke hängt aber auch vom geopolitischen Hintergrund ab und inwiefern die Geldpolitik von den USA und dem Rest der Welt auseinanderdriftet. Letzteres könnte gut eintreffen, da die Dynamik in der US-Wirtschaft immer noch grösser ist als die der anderen grossen Wirtschaftsblöcken.

Wann ist der Zeitpunkt, um im Anleihemarkt gezielt Zukäufe zu tätigen?

Schlussendlich werden die Renditen der US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit bei 3 bis 3,5 Prozent zu liegen kommen. Dieses Niveau ist beinahe erreicht. Wir nähern uns daher dem Zeitpunkt, wo gezielte Zukäufe bei Staatsannleihen angebracht sind. Wir haben bereits US-Staatsanleihen mit zweijähriger Laufzeit gekauft.

Was ist ihre Haltung gegenüber Aktien?

Wir sind defensiv ausgerichtet. Es ist zu früh, um bei Aktien breit Zukäufe zu tätigen.

Auf welche Aktien sollten Anlegerinnen und Anleger angesichts ihrer Markteinschätzung trotzdem bereits jetzt setzen?

Preissetzungsmacht und Markenstärke sind Schlüsselkriterien für ein Investment. Der Gesundheitssektor ist wegen ersterem attraktiv. Viele Pharmaunternehmen haben dank Patenten auf ihren Produkten einen Burggraben.

Welche Pharmatitel stehen in der Poleposition?

AstraZeneca und Sanofi sind mittlerweile unter unseren zehn grössten Positionen im Portfolio. AstraZeneca ist stark auf dem Gebiet der Krebsbehandlung, was angesichts der alternden Bevölkerung ein stark wachsender Markt ist. Man erhält mit einem Investment Wachstum zu einem vernünftigen Preis.

Wo haben Sie auch noch zugekauft?

Auch bei Rüstungsaktien haben wir zugekauft. Dazu gehören BAE Systems und Lockheed Martin. Staaten verpflichten sich dazu, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass das Militär ausgerüstet sein muss, um solchen Black Swan Events schnell zu begegnen. Die Welt fühlt sich seit Kriegsausbruch wie ein sehr gefährlicher Ort an.

Welche thematischen Investments versprechen in den nächsten Jahren die grössten Renditen?

Dazu gehören sicherlich die erneuerbaren Energien. Doch auch Kupfer ist langfristig interessant. Obwohl der Kupferpreis zyklisch auf das Wirtschaftswachstum reagiert, besteht wegen der Verwendung für Elektroautos, in 5G-Netzwerken und im Baugewerbe ein klar säkularer Trend.

Wo würden sie eher auf sinkende Aktienkurse setzen?

Wir tätigen keine Leerverkäufe von individuellen Aktien. Was wir hingegen getan haben, ist der Anteil von Wachstumswerten in unserem Aktienportfolio zu reduzieren. Wir haben daher Geld aus Technologie abgezogen, da solange die Anleiherenditen steigen, hochbewertete Technologieaktien verlieren werden.

Wann werden Sie bei den Technologiewerten wieder zukaufen?

Wenn die Fed eine Kehrtwende vollzieht, werden wir vermutlich wieder Zukäufe tätigen.

Catherine Doyle ist Investment-Spezialistin für den BNY Mellon Global Real Return Fund. Sie kam 2008 zu Newton IM, einer Investmentfirma von BNY Mellon Investment Management. Catherine Doyle begann ihre Karriere als Aktienanalystin und ist CFA und CAIA Charterholderin.

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