Bereits klar ist, dass der im Februar 2021 mit grossen Vorschusslorbeeren ins Amt gestartete Ökonom es trotz einiger Reformerfolge nicht geschafft hat, Italien aus der wirtschaftlichen Misere und Schuldenfalle zu befreien.

Anders als 2012, als Draghi mit seinem berühmten "Whatever it takes" die Finanzmärkte auf dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise beruhigte, helfen nun wohl keine Machtworte mehr. Viele Marktteilnehmer befürchten, dass die Staatsverschuldung Italiens bei höheren Leitzinsen in der Eurozone ausser Kontrolle geraten könnte. Die Europäische Zentralbank arbeitet bereits vorsorglich an einem Kriseninstrument, um Schlimmstes zu verhüten.

Der Staat hat einen Schuldenberg in Höhe von 2,5 Billionen Euro aufgetürmt - das ist mehr als Griechenland, Portugal, Irland und Spanien zusammengenommen angehäuft haben. "In Italien könnte die Staatsverschuldung dieses Jahr sogar 151 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen", so Christian Kopf, Leiter Rentenfondsmanagement bei Union Investment.

Das eigentliche Problem sei, dass Italien seit zwei Jahrzehnten eine Wachstumsschwäche an den Tag lege, meint LBBW-Chefökonom Moritz Kraemer: "Und die finanzielle Lage ist nicht der Grund, sondern die Folge dieser Schwäche."

Dabei war in Italien während der globalen Finanzkrise keine Immobilienblase geplatzt, und auch die Haushaltsprobleme waren verhältnismässig gering. Deshalb wurde dem Staat vom Dreigestirn IWF, EU und EZB auch keine Rosskur verordnet, anders als etwa Portugal oder Griechenland, die damals mit Milliardenhilfen der Troika gerettet wurden. "Für Spanien, Portugal und Griechenland hat es sich sehr bezahlt gemacht, die Troika gehabt zu haben", meint Berenberg-Ökonom Holger Schmieding.

Während die in vielen Hauptstädten ungeliebten harten Reformauflagen entscheidend dazu beitrugen, dass die Länder wieder auf die Beine kamen, dümpelt Italiens Konjunktur weiter vor sich hin. Die Reformansätze in Rom blieben Stückwerk, die Wachstumsschwäche wurde nicht überwunden. Zwar gab es Änderungen am Rentensystem und auch am weitgehend verkrusteten Arbeitsmarkt. Unter Draghi wurde auch das chronisch ineffiziente Justizsystem etwas auf Vordermann gebracht. Doch die Finanzmärkte überzeugt der Reform-Kurs nicht. An den Anleihemärkten muss Italien im Kreis der Euro-Zonenländer die zweithöchsten Renditeaufschläge nach Griechenland berappen.

Reformmüdigkeit in Italien

"Draghi bemüht sich, hat an der einen oder anderen Stelle etwas getan. Doch ich bin ebenso wenig wie die Märkte davon überzeugt, dass das Trendwachstum in Italien stark genug ist", so das Urteil von Ökonom Schmieding. Mit Trendwachstum bezeichnen Volkswirte eine Kennziffer, bei der vorübergehende saisonale und konjunkturelle Schwankungen der Wirtschaftsentwicklung ausgeklammert werden.

Als EZB-Chef hatte Draghi die Regierungen im Euroraum immer wieder ermahnt, Fiskal- und Strukturreformen anzugehen. In der Rolle als Ministerpräsident musste er nun feststellen, dass solche Vorhaben bei dem Parteiengezänk in Rom schwierig umzusetzen sind. Kontroverse Projekte wie Steuer- und Rentenreformen wurden so auf die Zukunft vertagt.

Auch wenn sich Draghi noch länger an der Macht halten sollte, bezweifeln viele Beobachter, dass sich an dieser Reformmüdigkeit etwas ändern wird. Italien ist wirtschaftlich immer weiter hinter andere Staaten zurückgefallen. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt ist niedriger als vor 20 Jahren. Damals war das Land in dieser Hinsicht noch in Schlagdistanz zu Deutschland und Frankreich, nun hat Rom die rote Laterne übernommen. Zudem sinkt die Produktivität. Als schwere Zukunftshypothek erweist sich auch die rasch alternde Bevölkerung, der niedrige Ausbildungsgrad der Erwerbstätigen, überbordende Bürokratie und mangelnde Investitionen in Bildung, Infrastruktur und neue Technologien. Mit solchen Problemen haben auch viele andere Staaten der Euro-Zone zu kämpfen, doch nur wenige trifft es so geballt.

Auch Draghi konnte die strukturellen Probleme als Regierungschef nicht lösen. Als grösster Moment in seiner Amtszeit als EZB-Präsident gilt seine Rede in London vom 26. Juli 2012. Damals hatte er erklärt, die EZB werde im Rahmen ihres Mandats alles tun, was nötig ist ("whatever it takes"), um den Euro zu retten. Viele Experten sehen dies nach wie vor als Wendepunkt in der Krise.

Von dem Nimbus zehrt der 74-Jährige noch heute. Indes warnte er dieses Jahr auf einer Pressekonferenz vor überzogenen Erwartungen an seine Person. Draghi räumte ein, dass er als Regierungschef vergeblich versucht hat, den Anstieg der Finanzierungskosten des Staates zu verhindern: "Das zeigt, dass ich nicht ein Schutzschild gegen alles bin. Ich bin ein menschliches Wesen und so passieren die Dinge eben."

(Reuters)