Der Begriff "perfekter Sturm" wird in Nachrichtenartikeln seit Beginn der Corona-Pandemie immer häufiger erwähnt. Mit der hohen Inflation, der Lieferketten-Krise und einem Mangel an Arbeitskräften hat der Gebrauch dieses Wortes nochmals zugenommen. An der Wall Street beispielsweise ist ein "perfekter Sturm" eine Metapher, um mit dem zurückliegenden Quartal eines der schlechtesten Zeitabschnitte für Anlageklassen wie Aktien oder Anleihen zu beschreiben. Die Andeutung lautet, dass viele dieser perfekten Stürme selbst für Experten nicht vorhersehbar waren. Und doch lassen sich viele dieser Verwerfungen auf eine einzige Ursache zurückführen.

Extreme Wetterbedingungen haben den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Belastung der Lebensmittelversorgung verdeutlicht und zu perfekten Stürmen für alles geführt, von Avocados bis zu Wassermelonen. In der Zwischenzeit haben jahrelange Unterinvestitionen und die durch den Bullwhip-Effekt - Nachfrageschwankungen - verursachte Ungewissheit Bereiche wie Bauunternehmen oder Flugreisen getroffen.

Der Finanznachrichtendienst Bloomberg hat dreizehn grosse und kleine perfekte Stürme identifiziert, die sich derzeit ereignen:

Biomedizinische Forschung in Europa: 

Das Ende der Versorgung mit Primaten für die biomedizinische Forschung ist Teil eines perfekten Sturms für den europäischen biomedizinischen Sektor. Zu diesem Gegenwind für die Branche gehört auch ein Verbot der Ausfuhr von Forschungsaffen durch China und eine bevorstehende Beschränkung der biomedizinischen Verwendung von Primaten der ersten Generation durch die Europäische Kommission, die für Ende dieses Jahres erwartet wird.

Tierschutzheime: 

Das britische Tierrettungszentrum Carla Lane Animals in Need kann keine weiteren Tiere aufnehmen. Viele Besitzerinnen und Besitzer spüren den Druck der steigenden Lebenshaltungskosten und sparen daher bei den Vierbeinern.

Online-Werbung: 

Barclays-Analyst Ross Sandler schrieb am Dienstag in einer Research-Notiz, dass das Geschäft mit Online-Werbung mit einem perfekten Sturm konfrontiert sei. Die Branche sei mit einem Rückgang bei den Werbeausgaben und einer wachsenden Konkurrenz durch TikTok und Apple konfrontiert. Zudem stünden harte Jahresvergleiche an.

Südafrikanische Zitrusfrüchte: 

Eine Studie zeigt, dass die südafrikanischen Zitrusfrüchteproduzenten von einem perfekten Sturm getroffen wurden, der sich aus einem Produktionsanstieg, einem starken Anstieg der landwirtschaftlichen Inputkosten und einem Rückgang der realen Exportpreise zusammensetzt. Dieser Druck werde wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren anhalten. Hinzu kämen die grossen wirtschaftlichen Zwänge in Südafrika, einschliesslich des anhaltenden Drucks auf die öffentlichen Finanzen, der hohen Arbeitslosigkeit und des geringen Vertrauens der Konsumenten und Unternehmen in die Zukunft.

Australische Avocados: 

Aufgrund eines Überangebots an Früchten werden Avocados - die 2016 noch 3,90 Dollar pro Stück kosteten - jetzt für nur ein Dollar verkauft. Dies macht sie zu einem der wenigen deflationären Lebensmittel, während die Preise für viele andere Grundnahrungsmittel, insbesondere Salat, in die Höhe schnellen. Die Gewinnspannen - sofern überhaupt vorhanden - wurden durch die steigenden Kosten für Düngemittel, Kraftstoff und Fracht weiter geschmälert. Der Geschäftsführer von Avocados Australia, John Tyas, sprach von einem "perfekten Sturm" für die Produzenten, von denen einige "ihre Zukunft neu bewerten".

Wassermelonen aus Texas:  

Menschen aus ganz Texas kommen nach Gholson, um ihre Wassermelonen am Stand von Holder's Produce zu kaufen. Doch zum ersten Mal überhaupt wird es in diesem Sommer keine berühmten Wassermelonen zu kaufen geben. "Wir sind genauso enttäuscht wie alle anderen", sagt Larry Holder, Besitzer von Holder's Produce. "Es war einfach eine Art 'perfekter Sturm' in diesem Jahr mit dem schlechten Wetter." 

Garnelen an der Golfküste: 

Die Trawler im texanischen Palacio holen dieses Jahr die grösste Garnelenernte in den gesamten USA ein. Doch eine Reihe von Faktoren bringt die Industrie jetzt in Gefahr: Garnelenpreise sind niedrig, die Treibstoffkosten sind so hoch wie seit langem nicht mehr und es gibt keine Arbeitskräfte.

Schwellenländer: 

Grosse Schuldenberge und steigende Zinsen sind der perfekte Sturm für die Schwellenländer. Die Zahl der Schwellenländer mit Staatsanleihen, die auf notleidendem Niveau handeln – Renditen, die darauf hindeuten, dass Anleger einen Zahlungsausfall für eine reale Möglichkeit halten – hat sich in den letzten sechs Monaten mehr als verdoppelt. In diesen 19 Nationen leben mehr als 900 Millionen Menschen.

Kopfsalat in Australien: 

Während der plötzliche Preisanstieg schnell eintrat, sagen Grosshändler, dass es länger dauern wird, bis die Preise sinken, da die Erzeuger mit einem perfekten Sturm von schlechten Bedingungen konfrontiert sind. Anthony Joseph, ein australischer Obst- und Gemüsegrosshändler und -exporteur, sagte, dass das nasse Wetter im Südosten von Queensland dazu führte, dass die Erzeuger eine Ernte verloren und Schwierigkeiten hatten, die nächste zu pflanzen, als die Temperaturen einbrachen. 

Flugreisen: 

Der perfekte Sturm ist im Flugverkehr eingetreten: Die Nachfrage ist wieder da, und die Piloten machen eine Rekordzahl an Überstunden. Gleichzeitig storniert das Management von Airlines Flüge, so dass Kunden gestrandet sind und ihre Urlaubspläne ruiniert werden. 

Wohnungsbau in Australien: 

Die Kosten für Metalle, Kunststoffe und Holz steigen seit Jahren kontinuierlich an. Grund hierfür ist hauptsächlich die Corona-Pandemie, da Fabriken ausserhalb Australiens gezwungen waren, für längere Zeit den Betrieb einzustellen. Vor allem kleinere Unternehmen in Australien verfügen nicht über den notwendigen Cashflow, um mit den steigenden Preisen klarzukommen. 

Bauunternehmer weltweit: 

Die Bauunternehmen weltweit sehen sich mit einem perfekten Sturm konfrontiert, da sie mit hohen Transport- und Materialkosten sowie steigenden Löhnen zu kämpfen haben und mehr Mechanismen zur Beherrschung von Preisrisiken wünschen. Das Pumpspeicherkraftwerk Snowy 2.0 in den australischen Snowy Mountains, bei dem ein Kraftwerk 800 Meter unter der Erde gebaut wird und das bis 2026 fertiggestellt werden sollte, ist eines der vielen grossen Infrastrukturprojekte, die von Verzögerungen und Kostenexplosionen betroffen sind. Der Krieg in der Ukraine hat die bereits bestehenden Störungen der globalen Lieferketten noch verstärkt. 

Die Menschheit selbst: 

"Die Menschheit steht vor einem 'perfekten Sturm' von Krisen, der die Ungleichheit zwischen dem Norden und dem Süden vergrössert", warnt der UN-Generalsekretär António Guterres. Diese Kluft sei nicht nur "moralisch inakzeptabel", sondern auch gefährlich und bedrohe den Frieden und die Sicherheit in einer konfliktreichen Welt. Die globale Nahrungsmittel-, Energie- und Finanzkrise, die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst wurde, habe die Länder getroffen, die bereits unter der Pandemie und der Klimakrise litten. Dies habe die wachsende Konvergenz zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ins Gegenteil verkehrt, so Guterres.

(Bloomberg/cash)