Neunzig Minuten nach seinem Rücktritt als britischer Premierminister rief Boris Johnson den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an. Er versicherte Selenskyj am Donnerstag, dass sein Volk die uneingeschränkte Unterstützung Grossbritanniens im Kampf gegen Russland geniesse. "Du bist ein Held, Wolodymyr", sagte er nach Angaben eines Mitarbeiters, der das Gespräch mitgehört hat. "In diesem Land liebt dich jeder."

Die Episode ist symptomatisch für die Entwicklung Johnsons seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar. Seither sei die britische Unterstützung sehr deutlich gewesen, sagen Beamte in Grossbritannien und den Vereinigten Staaten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Das Königreich avancierte zu einem der wichtigsten Waffenlieferanten. Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba bezeichnete Johnson in einer Stellungnahme seines Ministeriums denn auch als "wahren Freund der Ukraine".

21 Gespräche

Das wirft die Frage auf, ob die Ukraine auch beim nächsten Premierminister auf eine solche Unterstützung zählen kann. Johnson sagte Selenskyj, er habe noch "ein paar Wochen" Zeit, um die Unterstützung aufrechtzuerhalten, so der Berater. Die britische Führung befindet sich jedoch in einer Übergangsphase.

Bis zu diesem letzten Telefonat hatte Johnson seit Beginn des Krieges 21 Mal mit Selenskyj gesprochen - im Schnitt also alle sechs Tage. Ihre Unterredungen begannen oft damit, dass Selenskyj eine Art "Einkaufsliste" mit Waffen vorlas, sagten drei britische Beamte, die mit der Angelegenheit vertraut sind, gegenüber Reuters. Danach schaute Johnson, was er tun konnte.

So vereinbarte die britische Regierung etwa mit Norwegen, dass Grossbritannien Mehrfachraketenwerfer an die Ukraine liefert und im Gegenzug ähnliche, ältere Ausrüstung aus Norwegen zur Modernisierung erhält - eine Art umgekehrter "Ringtausch" nach dem deutschen Modell mit osteuropäischen Staaten. Im Mai dankte der ukrainische Verteidigungsminister Olexii Resnikow Grossbritannien zudem für Hilfe bei der Lieferung von dänischen Schiffsabwehrraketen. Grossbritannien schickte Militärattachés in ein Dutzend Länder, um nach Waffen für die Ukraine zu suchen.

2,3 Milliarden Pfund militärische Unterstützung

Insgesamt hat Grossbritannien der Ukraine 2,3 Milliarden Pfund an militärischer Unterstützung zugesagt, die zweithöchste Summe nach den Vereinigten Staaten. In der offiziellen Summe sind Waffenkäufe enthalten, nicht aber die logistische Unterstützung, die Grossbritannien parallel dazu angeboten hat, wie das britische Verteidigungsministerium erklärt. "Grossbritannien hat sich unter den Verbündeten und Partnern als führend bei der Bereitstellung von Hilfe für die Ukraine erwiesen", lobte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Oberstleutnant Anton Semelroth.

Aber angesichts der Wirtschaftskrise und steigenden Lebenshaltungskosten in Grossbritannien könnte es schwierig werden, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, die Ukraine weiter in einem Krieg zu unterstützen, der Jahre dauern könnte, sagte James Rogers, Mitbegründer der in London ansässigen aussenpolitischen Denkfabrik Geostrategy.

Ein Apfeldessert bleibt

Johnson stellte sich selbst gerne als modernen Winston Churchill dar und sagte in einer Rede vor dem ukrainischen Parlament im Mai, der Kampf mit Russland werde die "schönste Stunde" der Ukraine sein - unter Berufung auf Churchills Erklärung, als Grossbritannien im Zweiten Weltkrieg von Nazi-Deutschland überfallen und besiegt zu werden drohte.

Auffallend war, dass Johnson immer dann nach Kiew reiste oder neue Waffenlieferungen ankündigte, wenn er innenpolitisch besonders unter Druck stand. Auf jeden Fall hat das Vorgehen seine und die britische Popularität im Ausland erhöht. In einer Umfrage in westlichen Ländern im Juni wurde die britische Reaktion auf den Einmarsch Russlands in der Ukraine zur besten gewählt.

In der Ukraine verkauft ein Café in Kiew übrigens ein Apfeldessert namens Borys Johnsoniuk, eine ukrainische Version des Namens des Premierministers. In der südlichen Hafenstadt Odessa wurde eine Strasse nach ihm benannt. Und in einem Museum im Zentrum von Kiew sind Porträts von Johnson zu sehen, die ihn als Krieger in den Farben der ukrainischen Flagge zeigen. 

(Reuters)