Ukraine und Stalins Völkermord :
Schostakowitschs Chefankläger

Lesezeit: 3 Min.
Richard Taruskin (1945 bis 2022)
Für ihn war „Lady Macbeth von Mzensk“ eine musikalische Rechtfertigung von Stalins Völkermord an den Ukrainern. Auch an der Authentizität der historischen Aufführungspraxis hatte er Zweifel. Jetzt ist der Musikwissenschaftler und Kritiker Richard Taruskin gestorben.

Für Richard Taruskin war der Komponist Dmitri Schostakowitsch alles andere als ein Dissident gegen den Stalinismus. Dessen Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ ist zwar 1936 in der Tageszeitung „Prawda“ im Auftrag Stalins als „Chaos statt Musik“ diffamiert worden, doch das muss mehr oder minder ein Missverständnis der Motive des Komponisten gewesen sein. Denn, so Taruskin, wenn man sich das Opernlibretto ansehe und die musikalische Zeichnung der Charaktere durch Schostakowitsch studiere, so müsse man das Werk als „Verteidigung der gesetzlosen Auslöschung der Kulaken“, also der Großbauern, begreifen, die Stalin in den dreißiger Jahren mit äußerster Brutalität betrieben habe und die auch den Holodomor, die Auslöschung eines Großteiles der ukrainischen Bevölkerung durch eine gezielt ausgelöste Hungerkatastrophe, befördert habe. „Lady Macbeth von Mzensk“ von Schostakowitsch sei ein „zutiefst inhumanes Werk der Kunst“ schrieb Taruskin. „Seine abschreckende Behandlung der Opfer kommt einer Rechtfertigung des Völkermords gleich“.

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