Mehr als fünf Tage hat die Welthandelsorganisation WTO um Fortschritte gerungen. Am Ende erzielten die Minister der WTO-Staaten am Freitag Fortschritte in den Dossiers Fischerei, Lebensmittelversorgung und Ausnahmen beim Patentschutz für Corona-Impfstoffe.

Ferner sprachen sich die 164 Mitgliedstaaten der WTO an der 12. ordentlichen Ministerkonferenz dafür aus, nach zehn Jahren schleppender Verhandlungen über multilaterale Verträge Reformen an die Hand zu nehmen. Der kasachische Politiker Timur Sulemeinov, der die Konferenz leitete, lobte die Teilnehmerstaaten dafür, dass sie Verantwortung übernommen hätten.

Die Generaldirektorin der WTO, Ngozi Okonjo-Iweala, sprach von den grössten Fortschritten aller Zeiten. Es gebe sie in fast allen Bereichen. "Sie reisen nicht mit leeren Händen nach Hause", sagte die WTO-Chefin. "Die WTO hat demonstriert, dass sie in der Lage ist, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren."

Applaus und ein Ständchen

In der Abschlusssitzung brandete um kurz vor 05.00 Uhr langer Applaus auf, als klar war, dass kein einziges Mitgliedsland Einsprüche erheben würde. Es kam gar Feierstimmung auf. Die Minister und Beamte stimmten spontan ein nachträgliches Geburtstagsständchen für Okonjo-Iweala und einen weiteren Minister an. Sie war an ihrem Ehrentag, am Montag, nach eigenen Angaben nicht in Feierlaune gewesen, weil sie ein Scheitern der Konferenz fürchtete.

Die Länder einigten sich auf ein beschränktes Aussetzen von Covid-Patenten, um die Produktion von Impfstoffen in mehr Ländern zu ermöglichen. Sie verabschiedeten ein Fischerei-Abkommen, das schädliche Subventionen für illegale und unregulierte Fischerei verbietet.

Die WTO-Mitgliedstaaten versprachen ferner, sich für mehr Nahrungsmittelsicherheit einzusetzen und verlängerten eine Vereinbarung, vorerst keine Zölle im internationalen Handel zu erheben. Die geplante Vereinbarung über neue Agrarverhandlungen kam dagegen nicht zustande.

Reformen bei der Streitschlichtung

Die Minister einigten sich auch darauf, die WTO-Reformen mit einem Arbeitsprogramm auf die Schiene zu bringen. Der teils brach liegende Streitschlichtungsmechanismus soll in zwei Jahren wieder funktionieren. Sie verlängerten eine Vereinbarung, vorerst keine Zölle im internationalen digitalen Handel zu erheben.

Ferner stimmten sie zu, dass Einkäufe des Welternährungsprogramms, das Hungernden in aller Welt mit Nahrungsmitteln hilft, nicht durch Ausfuhreinschränkungen behindert werden sollen. Allerdings liessen sie gleichzeitig das Türchen offen, genau dies zu tun, wenn es dazu dient, die eigene Bevölkerung adäquat zu versorgen.

Schweizer Delegation spricht von Erfolg

Zufrieden zeigte sich die Schweizer Delegation unter der Leitung von Bundesrat Guy Parmelin und Staatssekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch. Angesichts der derzeitigen Herausforderungen für das multilaterale Handelssystem seien die Resultate der Konferenz als Erfolg zu werten, schrieb das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) am Freitag.

Auf Einladung des neuseeländischen Handelsministers Damien O'Connor habe Parmelin zudem mit Costa Rica, Fidschi, Island und Norwegen den Stand der Verhandlungen zum plurilateralen Abkommen über Klimawandel, Handel und Nachhaltigkeit (ACCTS) erörtert. Die Schweizer Delegation habe sich ausserdem im Rahmen verschiedener Initiativen zum Beitrag der Handelspolitik in anderen Politikbereichen wie Umwelt, Klimawandel und Gender mit gleichgesinnten WTO-Mitgliedern ausgetauscht.

Nicht zufrieden mit der beschlossenen beschränkten Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe zeigten sich die Schweizer Branchenverbände Scienceindustrie und Interpharma. Sie sehen darin ein negatives Signal für Forschung und Innovation. Geistiges Eigentum stelle aber kein Hindernis für die Pandemiebekämpfung dar. Nicht die Produktion sei der Flaschenhals für eine niedrige Impfquote, sondern mangelnde Distributionslogistik, Fachkräftemangel sowie schwache Gesundheitssysteme.

Kritik von NGO

Für Vertreter der Zivilgesellschaft gehen hingegen die Ergebnisse zu wenig weit. "Es ist beschämend, dass die WTO-Mitglieder dem Versuch, eine strauchelnde Institution und obszöne Unternehmensgewinne zu retten, Vorrang gaben vor der Rettung von Menschenleben", meinte etwa Melinda St. Louis von der Organisation Public Citizen. Besonders die EU habe eine von zahlreichen Ländern geforderte Aufhebung von Patentrechten blockiert. Die getroffene Vereinbarung reiche nicht.

Kaum Klimaschutz und offene Fragen zur Welternährung, kritisierten weitere Umwelt- und Entwicklungsorganisationen. "Alle strittigen Themen wie Landwirtschaft, Fischerei, E-Commerce und TRIPS haben Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Aber Klimaschutz und die Erhaltung der Artenvielfalt tauchten in den Verhandlungen so gut wie gar nicht auf", sagte Greenpeace-Experte Jürgen Knirsch.

Die Organisation Brot für die Welt kritisierte das Abkommen mit Blick auf die Welternährung. Es gebe keine konkreten Vorschläge, wie Entwicklungsländer unabhängiger von Nahrungsimporten werden.

(AWP)