Ökonomen sprechen von einer Zeitenwende. Denn bislang galt es als ausgemacht, dass die SNB nicht vor der Europäischen Zentralbank (EZB) an der Zinsschraube drehen wird. Die Begründung: Ein solches Vorpreschen könnte den Franken erstarken lassen und damit die Schweizer Exportfirmen vor grosse Probleme stellen.

Doch nun ist genau das passiert: Die Notenbank erhöhte am Donnerstag an ihrer geldpolitischen Lagebeurteilung den sogenannten SNB-Leitzins um 0,50 Prozentpunkte auf -0,25 Prozent. Die EZB hingegen plant einen ersten Zinsschritt er für die im Juli anstehende Sitzung. Ökonomen rechnen nun vor, dass der Schweizer Leitzins nun erstmals seit 1999 über jenem in der Eurozone liegt. Es ist von einer "Emanzipation" der SNB die Rede.

Inflation nicht mehr temporär

Die SNB begründet den Zinsschritt mit der Inflation. "Die straffere Geldpolitik soll verhindern, dass die Inflation in der Schweiz breiter auf Waren und Dienstleistungen übergreift", sagte SNB-Präsident Thomas Jordan. Es gebe Anzeichen, dass die Teuerung auch auf Bereiche überschwappe, die nicht unter den gestiegenen Rohstoffpreisen und den Pandemiefolgen leiden. Das Risiko für Zweitrundeneffekte sei also gestiegen. Davor hatte die SNB stets betont, es handle sich wohl eher um temporäre Effekte.

Zur Erinnerung: Im Mai war die Inflationsrate in der Schweiz auf 2,9 Prozent geklettert. Bekanntlich peilt die SNB eine Inflation von höchstens 2 Prozent an. Die SNB geht davon aus, dass sich die Inflationsdynamik in der Schweiz nach der Zinserhöhung wieder etwas abschwächen wird. Zunächst gehen die Währungshüter für 2022 aber von einer durchschnittlichen Jahresteuerung von 2,8 Prozent aus.

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Kommentar von cash-Chefredaktor Daniel Hügli:

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Der Höhepunkt der Inflation wird laut der SNB dabei im dritten Quartal mit 3,2 Prozent erreicht. Für das Gesamtjahr 2023 wird ein Wert von 1,9 Prozent, für 2024 von 1,6 Prozent vorhergesagt. Ohne die heutige Zinserhöhung läge die Inflationsprognose aber deutlich höher, betonte Jordan.

Franken nicht mehr hoch bewertet

Die grosse Abwesende an der geldpolitischen Lagebeurteilung war die "Frankenstärke". Jordan erklärte, dass er den Franken derzeit nicht mehr für hoch bewertet halte.

Im Gegenteil habe dieser zuletzt sogar abgewertet und damit die Inflation noch verstärkt. Er schloss daher für die Zukunft explizit auch Devisenverkäufe nicht aus, um den Franken zu stärken. Umgekehrt seien weiterhin auch Devisenkäufe möglich, sollte der Franken zu sehr aufwerten.

Die Schweizer Wirtschaft hat mit dieser Politik kein Problem. Die Verbände Economiesuisse und Swissmem begrüssten den Schritt auf Anfrage. Die Folgen seien für die Industriefirmen mehrheitlich verkraftbar, schrieb etwas Swissmem. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hält den Zinsschritt hingegen für unangebracht. Er fürchten in der Folge um Arbeitsplätze und Löhne, etwa im Tourismus. 

Erste Banken reagieren

Trotz des Zinsschrittes bleibt der Leitzins noch immer im negativen Bereich. Doch auch dies könnte bald Geschichte sein. Es sei nicht auszuschliessen, dass in absehbarer Zukunft weitere Zinserhöhungen nötig werden, sagte Jordan. Viele Ökonomen erwarten nun schon eine Rückkehr in den positiven Bereich Ende Jahr.

Am Donnerstag haben bereits mehrere Banken bestätigt, dass sie Negativzinsen und Guthabengebühren in der Folge des Entscheids anpassen werden. Bereits wenige Stunden nach der SNB-Bekanntgabe preschte die Berner Kantonalbank (BEKB) vor: Das Berner Staatsinstitut werde den von Negativzinsen betroffenen Kundinnen und Kunden den Zinsschritt ab dem (morgigen) Freitag unmittelbar weitergeben. Negativzinsen würden derweil weiterhin individuell erhoben und orientierten sich an der jeweiligen Kundenbeziehung.

Ebenfalls bereits ab Freitag wird die Zürcher Kantonalbank (ZKB) den Satz auf neu -0,25 Prozent von bisher -0,75 Prozent anpassen, wie ein ZKB-Sprecher auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP mitteilte. Die grösste Schweizer Kantonalbank gibt laut eigenen Angaben die Negativzinsen "differenziert" im Interbankenmarkt und an Kunden mit hohen Liquiditätsbeständen weiter.

Entlastung soll es auch für die Raiffeisenkunden geben: Raiffeisen Schweiz empfiehlt den Instituten Guthabengebühren und Negativzinsen per 1. Juli 2022 neu bei -0,25 Prozent statt -0,75 Prozent festzulegen, wie eine Sprecherin erklärte. Raiffeisen empfiehlt weiterhin, Negativzinsen bei Privatkunden und Firmenkunden mit hohen Konto-Neugeldzuflüssen zu verrechnen. Allerdings seien die einzelnen Raiffeisenbanken frei in der Umsetzung, betonte die Sprecherin. Ebenfalls auf den 1. Juli will die UBS reagieren. Die Grossbank werde dem Zinsschritt der SNB Rechnung tragen und die Franken-Guthabengebühren für Privatkunden als auch für Firmen- und institutionelle Kunden auf dieses Datum entsprechend anpassen, sagte ein Sprecher.

Geldmarkthypotheken weiter attraktiv

Einen unmittelbaren Einfluss des SNB-Entscheids auf den Hypothekarmarkt erwarten die Institute derzeit nicht. Steigende Leitzinsen seien schon vor dem Zinsentscheid weitgehend eingepreist gewesen, heisst es bei Raiffeisen: "Der Zinssatz für eine 10-jährige Festhypothek hat sich seit Jahresbeginn um fast 2 Prozentpunkte erhöht und liegt aktuell deutlich über 3 Prozent."

Am Hypothekarmarkt habe man in den vergangenen Wochen entsprechend einen Trend zu kürzeren Laufzeiten beobachten können, heisst es bei der ZKB. "Daran dürfte sich trotz dem SNB-Zinsentscheid wenig ändern."

Auch bei Raiffeisen beobachtet man eine Nachfrageverschiebung zur deutlich günstigeren Saron-Hypothek. Kundinnen und Kunden dürften in naher Zukunft mit Geldmarkthypotheken besser fahren, heisst es bei dem Institut. Erst wenn der Leitzins in den positiven Bereich drehe, dürften sich die Geldmarktfinanzierungen verteuern.

(AWP/cash)