Wir widmen uns heute einem Scherz. Beziehungsweise einem Scherzartikel – die abgebildete Speckschleife mit Spiegelei ist nämlich zum Verzehr gänzlich ungeeignet, handelt es sich doch um eine Haarspange, dekoriert mit einem Lebensmittel-Imitat. Haarklemmen gibt es auch in Form japanischer Reisgerichte oder dekoriert mit Sushi-Happen. Alle sind aus Kunststoff gefertigt, und alle entstammen japanischen Manufakturen, die darauf spezialisiert sind, täuschend echt aussehende Lebensmittel zu produzieren.
In Japan ist das eine 90 Millionen US-Dollar schwere Industrie, kein Restaurant kommt ohne diese Kundenfänger aus. Statt Speisekarte stehen überall in Japan dreidimensionale Kopien der angebotenen Speisen im Schaufenster. Das ist besonders für Ausländer hilfreich, die kein Japanisch verstehen, und die einheimischen Kunden wissen genau, was sie erwartet.
Das Essen, das keines ist, heißt in Japan shokuhin sanpuru, zu Deutsch „Muster“. Auf der ganzen Welt gibt es nichts Vergleichbares, deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Sanpurus zu den beliebtesten Mitbringseln aus Japan zählen. Ursprünglich waren Sanpurus Einzelanfertigungen für Restaurants, erst durch die Nachfrage von Touristen werden sie auch als Schlüsselanhänger, Handyhüllen oder eben Haarspangen produziert.
Wie sich Fake Food in Japan durchsetzte
Sanpurus kamen in Japan nach 1945 auf, als immer mehr Ausländer ins Land kamen, vor allem US-Soldaten – und wie Ochs vorm Berg vor den japanischen Speisekarten standen. Englischsprachige Menüs gab es damals nicht, Farbfotografien ebenfalls nicht.
Die Modelle werden in kleinteiliger Handarbeit aus Plastik, Harz oder Silikon gemacht. Hergestellt wird praktisch alles, was man essen und trinken kann: Sushi, Ramen-Suppe, Kugelfisch, Eis, Bier. Die Fertigung eines einzelnen Gerichtes kann bis zu einer Woche dauern, entsprechend teuer sind die Sanpurus. Das Zehnfache des Preises für das reale Gericht ist üblich.
Der erste Produktionsschritt ist die Erstellung einer Form des abzubildenden Essens. Für den Abdruck verwendet man in der Regel das Originalgericht im tiefgefrorenen Zustand. Hat man dann eine Gussform aus Silikon, wird diese mit flüssigem Harz oder Plastik gefüllt und im Ofen ausgehärtet. Der nächste und wichtigste Schritt ist die naturgetreue Bemalung per Hand oder mit Airbrush. Die gesamte Herstellung ist in Japan ein Lehrberuf mit drei Jahren Ausbildung.
Als Vater der Sanpurus gilt Iwasaki Takizō, der 1932 seine Firma gründete, die noch 60 Prozent der Marktanteile für japanisches Plastikessen hält. Iwasaki fing mit einem Omelett an, mit dem er sogar seine Frau hinters Licht führte. Dieses Urmodell kann man im „Sample Village Iwasaki“ besichtigen.
Wollen Sie sich in Japan mit Sanpurus eindecken, ist ein Besuch in Tokios Küchengeräteviertel Kappabashi Dogugai in Asakusa ein Muss. Ohne Japanbesuch kostet die Speckschleife bei fakefoodjapan.com um 30 Dollar. Der Werbespruch von Iwasaki Takizō Unternehmen lautet übrigens: „Unsere Kopien sind Schnappschüsse vom Essen in seinem appetitlichsten Moment. Sie sehen realistischer aus als das reale Essen.“ Über diesen Begriff von Realität lässt sich natürlich diskutieren. Alles in allem also ein hochphilosophisches Produkt.