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Hermann Bausinger ist gestorben

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Hermann  Bausinger
Hermann Bausinger © Archiv

Der gebürtige Aalener ist mit 95 Jahren gestorben: Die Volkskunde entstaubte er von altem Denken.

Tübingen. Scherze über die Animositäten zwischen Badenern und Württembergern konnte Hermann Bausinger reichlich zitieren. Er war jedoch diplomatisch genug, nicht Partei zu ergreifen. „Die bessere Hälfte? Alle Leute im Land wissen, welches die bessere Hälfte ist. Aber sie meinen nicht alle dieselbe“, schrieb Bausinger 2002 in seinem Buch zum 50-jährigen Bestehen Baden-Württembergs. Am Mittwochabend ist der renommierte Kulturwissenschaftler im Alter von 95 Jahren gestorben.

Bausinger war nicht nur als profunder Deuter der Landesgeschichte bekannt. In Hörfunk und Fernsehen erklärte er Dialektunterschiede und Backtraditionen – und betonte dabei, dass regionale Eigenheiten auch das Ergebnis von Zuschreibungen sind. In wissenschaftlichen Kreisen hatte er sich einen Namen gemacht, weil er die von den Nationalsozialisten instrumentalisierte Volkskunde neu aufstellte.

Bausinger kam 1926 in Aalen zur Welt. Nach der Kriegsgefangenschaft studierte er Germanistik, Anglistik, Geschichte und Volkskunde. Von 1960 an war er Professor an der Universität Tübingen und leitete bis zu seiner Emeritierung 1992 das Ludwig-Uhland-Institut im Tübinger Schloss. Er entstaubte die Volkskunde vom Denken in naturgegebenen, vermeintlich unumstößlichen Sprach-, Trachten- und Stammesräumen, das der braunen Propaganda zupass gekommen war. Bausinger strengte eine Umbenennung des Fachs an – den Volksbegriff ersetzte der neue Name „Empirische Kulturwissenschaft“ – und überarbeitete Methoden und Forschungsperspektiven. Für seine Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Bausinger verkörperte den Gegenentwurf einer Forschungselite, die abstrakte Theorien vorrangig für den eigenen Diskurs aufarbeitet. Ihn interessierte, wie Menschen ihren Alltag organisieren. Ihn beschäftigten Festrituale, Sportvereine und Erzählformen, wie beispielsweise Märchen. Bis ins hohe Alter publizierte er Essays und Bücher. Er analysierte den Zeitgeist, konnte Moden, Trends und Lifestylepraktiken verschiedener Generationen und Milieus einordnen.

In seinem Band „Ergebnisgesellschaft“ beschrieb er zum Beispiel die Yoga übenden, Fast und Slow Food speisenden und den eigenen Körper per „Self-Tracking“ ausmessenden Menschen westlicher Nationen. Im Dialogband „Heimat. Kann die weg?“ sprach er mit der türkischstämmigen Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) über Zugehörigkeitsgefühle und Werte in einer heterogenen Gesellschaft. Zu seinem 90. Geburtstag erschien ein weiteres Buch des Wahl-Reutlingers. Darin arbeitete er das poetische Schaffen im Land auf. Mundartdichter fanden darin ebenso Platz wie Schiller, Schubart und Uhland. Zumindest hier gab Bausinger der einen Landeshälfte den Vorzug: Es handelte sich um eine „Schwäbische Literaturgeschichte“. Kathrin Löffler 

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