Zum Tod der Fotografie-Legende

F.C. Gundlach, der große deutsche Fotograf ist verstorben – ein Interview zu seinem 90. Geburtstag

F.C. Gundlach war ein Kreativer, wie Deutschland nur wenige hatte: Ein Fotograf, der eine eigene Bildsprache erfand, ein Kurator, der Grenzen und Genres überschritt. Mit beidem setzte er sich wie kein anderer für die Anerkennung von (Mode-)Fotografie als Kulturgut ein. Gestern ist der Wahl-Hamburger mit 95 Jahren verstorben. Wir veröffentlichen hier eines seiner letzten Interviews, das er uns 2016 anlässlich einer Ausstellung zu seinem 90. Geburtstag gegeben hatte.
F.C. Gundlach Der große deutsche Fotograf ist verstorben
F.C. GundlachEsther Haase

Der Fotograf F.C. Gundlach ist am 23. Juli im Alter von 95 Jahren verstorben

Sein erstes Foto war ein Selfie: Als F.C. Gundlach in den 30er-Jahren als Kind zum ersten Mal eine Kamera bediente, faszinierte ihn vor allem der Selbstauslöser. Später, in den 50er-Jahren, als er aktiv anfing zu fotografieren, war ihm vieles in der Modefotografie zu starr: Er wollte Bewegung in sie hineinbringen und sie zugleich in das echte Leben holen. Mit diesen Grundprinzipien wurde Gundlach zu einem der wichtigsten Modefotografen der Welt. Die gesellschaftliche und kulturelle Relevanz der Modefotografie deutlich zu machen, wurde seine Lebensaufgabe. Eine, die insbesondere hier in Deutschland keine ganz einfache war.

Unermüdlich aber arbeitete F.C. Gundlach daran, Mode mit seiner Fotografie in einen Kontext der Kunst zu stellen. Zum einen in Form seiner eigenen Foto-Kunst, in der er legendäre Persönlichkeiten wie Uschi Obermaier und Romy Schneider genauso inszenierte wie Haute-Couture-Entwürfe an dafür damals ungewöhnlichen Gegenden (er reiste häufig nach Südamerika oder auch in afrikanische Länder). Zum anderen in seiner Funktion als Kurator, in der er Fotografien von Legenden wie Richard Avedon über Robert Mapplethorpe bis hin zu Nan Goldin ausstellte. Die von ihm gegründete Stiftung F.C. Gundlach fördert bis heute Fotografie als Kulturgut, und auch das Haus der Fotografie in den Hamburger Deichtorhallen wäre ohne ihn ein anderes (wenn überhaupt existent).

Kurzum: Wohl kaum ein anderer Deutscher hat im eigenen Land so viel für das Ansehen von (Mode-)Fotografie getan wie F.C. Gundlach. Anlässlich seines 90. Geburtstags vor fünf Jahren stellte der Jahrhundert-Fotograf eine große Retrospektive zusammen: 90 Fotos aus 90 Jahren Lebenszeit. Im Interview hat uns F.C. Gundlach damals verraten, wer oder was sein persönliches Lieblingsmotiv war, an welche Dekade er sich gerne zurückerinnerte und ob er generell ein nostalgischer Mensch war. Am 23. Juli ist F.C. Gundlach im Alter von 95 Jahren verstorben – deswegen veröffentlichen wir hier exklusiv noch einmal dieses Gespräch (und damit eines seiner letzten großen Interviews).

Karin Mossberg und Karl Fehrmann im Modell von Pierre Cardin, Paris, 1966F.C. Gundlach

F.C. Gundlach im Interview anlässlich der Ausstellung "F.C. Gundlach: 90 Jahre, 90 Fotos" im Jahr 2016

VOGUE: Sie sind schon seit einer Woche mit dem Aufbau beschäftigt, nicht wahr?

F.C. Gundlach: Seit vier Tagen. Das ist eine relativ kurze Zeit, weil wir 90 Bilder haben. 90 wird langsam eine magische Zahl für mich. Aber ich hatte durch meine Arbeit eine solche Kontinuität in meinem Leben, dass ich, als ich 90 wurde, das gar nicht wirklich wahrgenommen habe. Scheinbar ist Kontinuität in einer Biografie das Wichtigste. Was ich immer höre von Leuten, die mit 60 ausscheiden aus dem Beruf… das hätte es für mich nicht gegeben.

Welches Bild haben Sie soeben aufgehangen?

F.C. Gundlach: Ein Bild aus dem Hamburger Hafen, eine Modeaufnahme. Zumindest war die Mode der Anlass. Für dieses Bild hatte ich als einer der ersten Fotografen mit einer Kleinbildkamera, einer Leica, gearbeitet. Das war lange Zeit verpönt, die Redakteure waren nicht daran gewöhnt. Aber mit der Leica eröffnete sich mir ab 1958 ein großer Spielraum.

Inwiefern?

F.C. Gundlach: Mir war immer wichtig, eine Modefotografie in einen Kontext zu setzen oder einen Kontext zu erfinden. So habe ich diese Reportage fotografiert, im finstersten Sankt Pauli. Bei einer Kleinbildkamera ging es nicht um Schnitt oder Genauigkeit, damit hatte ich eine große Freiheit. Ich habe die Atmosphäre in diesem Hafen eingefangen. Man kann sie Reportage- oder Modebilder nennen, aber diese Aufnahmen reflektieren ihre Zeit, wie sich die Menschen damals bewegt haben, wie sie sich dargestellt haben.

F. C. Gundlach

Das gehörte zu ihren Grundprinzipien: Wie ein Reportagefotograf vorzugehen, aber letztlich Mode zu fotografieren.

F.C. Gundlach: Ja, an sich war Modefotografie ja sehr statisch. Erst mit der Zeit kam Bewegung in die Bilder. Auch als ich in den 50er-Jahren gearbeitet habe, gab es gewisse Regularien. Es war am wichtigsten, dass man die Mode "lesen" konnte. Wenn eine neue Linie, wie etwa der New Look von Dior, aufkam, wurde diese in ganz Europa groß propagiert. Das war dann eine Richtlinie.

War Ihnen das alles zu streng?

F.C. Gundlach: Eine ganze Weile schon. Ich wollte mehr Dynamik hineinbringen, mehr Verbundenheit mit dem Augenblick. Die Mode reflektiert immer ihre Zeit. Es gibt keine Mode, die gegen das Gefühl der Menschen gemacht werden kann. Ich habe versucht, genau das in meinen Bildern aufzugreifen.

Es ging Ihnen immer darum, klarzumachen, wie relevant Mode und Modefotografie sind. War das nicht gerade in Deutschland wie ein Kampf gegen Windmühlen?

F.C. Gundlach: In der Tat, das war lange so. Auf der anderen Seite: Wenn eine neue Mode kam, dann wollten die Menschen auch Teil dieser Mode sein. Sie wollten in Mode sein. Selbst wenn dann fünf Frauen gleich gekleidet waren. Insofern hat die Mode auch schon damals einen großen Einfluss ausgeübt.

Wie ist es heute?

F.C. Gundlach: Heute ist es umgekehrt: Heute gilt Individualität. Es gibt keine große Richtlinie mehr, alles ist erlaubt. Die Bedeutung der Mode hat sich dramatisch verändert. Es gibt auch keine wirklichen Zentren mehr. Gut, es gibt noch Paris, New York und Mailand. Aber dann ist es auch schon zu Ende. Sie sehen ja, wie schwer sich Berlin heute tut. Berlin war mal eine Modestadt, in den 20er- und 30er-Jahren. Und war es auch in den 50er-Jahren noch, als ich angefangen habe zu fotografieren.

Uschi Obermaier, 1970F. C. Gundlach

Heute ist alles sehr schnell und nahbar geworden.

F.C. Gundlach: Wir leben in einer Zeit, die stets in Bewegung ist, politisch, weltweit. Und wir haben unsere Probleme damit. Ich erinnere mich noch genau an die Zeit nach dem Krieg: In den Jahren von 1945 bis 1950 hat die Bundesrepublik zwölf Millionen Geflüchtete aus dem Osten integriert, ebenso wie die Menschen, die im Moment bei uns Zuflucht suchen. Es war nicht mühelos, aber vielleicht war es menschlicher.

Viele große Fotografen der 50er und 60er wie Cecil Beaton waren auch Kriegsfotografen. Kommt daher auch bei Ihnen dieser dokumentarische Aspekt?

F.C. Gundlach: Beaton hat im zerstörten London fotografiert. Das wurde hier in Deutschland nicht gemacht, da gab es eine Abwehrhaltung. Man wollte sich von der Vergangenheit absetzen. Ich bin mir manchmal wie ein Märchenerzähler vorgekommen. Weil ich Bilder gemacht habe, die nichts mit der Realität zu tun hatten. Weil ich eine Welt dargestellt habe, von der die Leute nur träumen konnten. 1960 war die Nähmaschine noch das beliebteste Geschenk, man hat sich Kleidung selbst gemacht, weil man sie sich nicht leisten konnte.

Wenn wir wieder ins Heute blicken: Ist unsere Welt inspirierend für die Modefotografie?

F.C. Gundlach: Heute gibt es den größten Spielraum. Früher wurde mit Mode eine Haltung gezeigt. Ich habe einmal das Buch "Die Geschichte der Pose" gemacht. Die Pose ist vorbei, das ist heute eine ganz persönliche Sache. Die Gesellschaft ist einfach nicht mehr so konform wie damals.

Haben Sie, ästhetisch gesehen, ein Lieblingsjahrzehnt?

F.C. Gundlach: Die 60er waren prägend für mich. Es kam die Emanzipation, die Frauen fingen an zu arbeiten und hatten eine ganz andere Haltung. Dann kam die Pille. Und die Beatles. Alles in derselben Dekade! Und alles veränderte sich dramatisch.

Brigitte Bauer, Badeanzug, 1966F. C. Gundlach

Hatten Sie in den 60er-Jahren eine Person, die Sie besonders gerne fotografiert haben? Sie haben damals etwa mit Uschi Obermaier gearbeitet.

F.C. Gundlach: Nein, die Uschi überhaupt nicht. Uschi war am besten, wenn sie nackt war und sie selbst sein konnte. Wir haben sie ein paar Mal engagiert, aber wenn sie Kleider anhatte, sah sie – mit Verlaub – aus wie eine Hausfrau von nebenan. Das Flair war wie weggeblasen. Ich habe für meine Ausstellung ein Bild von ihr gewählt, das ich nur mit Mühe gefunden habe. Shell hatte damals an allen Tankstellen lebensgroße Puppen herumstehen und ich habe sie einfach zwischen die Puppen gesetzt.

Wie sind Sie generell bei der Auswahl der Fotos für die Ausstellung vorgegangen? Sie müssen ein riesiges Archiv haben.

F.C. Gundlach: Mein erstes Foto habe ich im Alter von zehn Jahren gemacht. 1936 habe ich eine Box mit einem Sitz aus Silber geschenkt bekommen. Man konnte sich erstmals selbst fotografieren, ein Selfie! Ich bin ganz einfach chronologisch vorgegangen. Immer wenn eine Mode oder ein Moment wichtig war in einem Jahr, habe ich ein Bild dazu ausgewählt. Zum Beispiel als die Minimode aufkam. Zu Beginn der 60er-Jahre war es unmöglich, einen Rock zu tragen, der über dem Knie aufhörte.

Haben Sie ein Lieblingsbild aus Ihrer Karriere?

F.C. Gundlach: Ich kannte Romy Schneider gut. Einmal sagte ich zu ihr: Wir holen jetzt unsere Sachen, fahren ins Atelier und machen Fotos. Sie war sehr unsicher, wenn sie Rosemarie Albach sein sollte, das war ihr richtiger Name. Wir waren vier Stunden im Atelier, nur sie und ich und mein Assistent. Und nach einer Stunde wurde sie sie selbst. Sie wurde spürbar. Es war eine tolle Atmosphäre. Es gibt eine große Porträtaufnahme, in der sich das Schicksal dieser Frau in jedem Zentimeter widerspiegelt. Sie hat sich dutzendweise Abzüge davon bestellt, weil sie sich in diesem Bild so sehr wiederfand. Irgendwann sagte ich dann: Jetzt müssen wir dir aber mal eine Rechnung schicken. Und tatsächlich kam eine Überweisung von 1000 Schweizer Franken aus Lichtenstein. Wir haben diese Quittung durch Zufall wiederentdeckt, sie ist auch in der Ausstellung zu sehen. Sie ist sogar auf Rosemarie Albach ausgestellt.

Mirella, Berlin, 1964F. C. Gundlach

Wie aktiv fotografieren Sie heute noch?

F.C. Gundlach: Gar nicht. Ich habe einen Schlussstrich gezogen.

Würden Sie sagen, dass Sie ein nostalgischer Mensch sind?

F.C. Gundlach: Nein, ich lebe ganz in der Zeit. Das ist auch ratsam. Ich kann nicht mehr alles machen. Ich bin ein bisschen gehandicapt, ich reise nicht mehr. Aber das ist in Ordnung, ich habe das auch immer meinen Student:innen gesagt: Ihr könnt alle Karriere machen, aber dazu gehört ein gewisses Potenzial, eiserne Disziplin und – das Wichtigste – Fortune.

Was ist das für Sie?

F.C. Gundlach: Das heißt für mich mehr als Glück. Glück ist eine einmalige Angelegenheit. Fortune ist etwas anderes. Manchmal steht man Menschen gegenüber und weiß gar nicht, wer sie irgendwann einmal werden.

Die Ausstellung "F.C. Gundlach: 90 Jahre, 90 Fotos" war vom 25. Juni bis zum 10. September 2016 in der Contemporary Fine Arts Galerie in Berlin zu sehen.

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