Der Fotograf der Autounfälle Arnold Odermatt ist gestorben

Er ist eine Legende: Als Polizist hatte er stets seine Rolleiflex dabei, wenn er Autounfälle rapportierte. Seine Fotografien sind aber weit mehr als Aufnahmen von Unfallorten: Es sind surreale Stillleben ganz eigener Art. Nun ist Arnold Odermatt im Alter von 96 Jahren gestorben.

Philipp Meier
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Arnold Odermatt: Hergiswil, 1961.

Arnold Odermatt: Hergiswil, 1961.

Urs Odermatt

Er war der Karambolagen-Meister unter den Fotografen, noch vor Andy Warhol. Und dies, obwohl er kein Künstler war, sondern: Polizist. Arnold Odermatt fotografierte zeitlebens versehrtes Blech. Die Nidwaldner Lokalpresse interessierte sich zwar kaum für den verkappten Künstler im Polizisten vom Dienst. Die internationale Presse aber durchaus. Denn seine Bilder von verkeilten Autos gingen sozusagen um die Welt.

Odermatts Dienstfotos dienten nicht bloss dem ordnungsgemässen Rapport, sie bedienten darüber hinaus noch ein anderes Bedürfnis. Und dies war nicht etwa Schaulust. Nein, Verletzte oder gar Tote bekommt man in Odermatts Fotografien nicht zu sehen. Dafür aber wahre Stillleben, bestehend aus Autowracks, ja Skulpturen von entstellten Karosserien, die ins Surreale kippen.

Dabei war Odermatts Auge streng sachlich, stets fokussiert auf das Wesentliche, was ganz zu seinem Beruf als Polizist passt, der zur Zeit zur Stelle ist und am Unfallort penible Bestandsaufnahme macht. Wie seine Polizeiberichte waren auch seine Bilder: trocken, nüchtern. Odermatt hatte aber eine Begabung, ein Auge, ja eine Leidenschaft, die über seine berufliche Aufgabe des fotografischen Rapportierens weit hinausreichte. Und diese wusste er mit einer Rolleiflex auszuleben. Sein Vorbild war übrigens der Magnum-Fotograf Werner Bischof. Schon allein damit wäre sein Qualitätsanspruch bezeugt.

Ein Auto-Didakt

Arnold Odermatt war allerdings Autodidakt, Auto-Didakt könnte man sagen, denn er schulte sein Auge am Tatort der Auto-Katastrophen. Und machte aus der Katastrophe Kunst. Oder entdeckte im Desaster vielmehr das Ästhetische. Andere haben Autokarosserien traktiert und Teile davon in den Museumsraum gestellt, um Skulptur zu machen – neu, modern. Odermatt hat sie vorgefunden, die moderne Plastik, auf den Strassen seines Heimatorts Stans zum Beispiel.

Arnold Odermatt war über Jahre für die Kantonspolizei Nidwalden in Bereitschaft. Seine Bilder entstanden bei der Arbeit, als Beweisaufnahmen. Heute fügen sich die über Jahrzehnte entstandenen Fotografien zu einer Chronik der Zeit. Im Bild Arnold Odermatt im Jahr 1974.
14 Bilder
Autounfall in Buochs, 1965.
Aufnahme eines Unfalls in Buochs, 1965.
Auch Fahrrad- und Motorradunfälle fielen in Odermatts Dossier. Ennetbürgen, 1956.
Winterliche Aktion in Stansstad, 1966.
Die Polizei in Aktion. Stans, 1973.
Private Szene in Schlosswil, 1974.
Kantonspolizei Nidwalden, Oberdorf, 1974.
Zu Hause in Stans, 1958.
Im Ausgang in Luzern, 1975.
Kapelle Remy Näpflin in der Seilbahn Oberstmühle – Untere Stöckmatt. Stansstad, 1974.
Ein Schaden im Automobil. Hergiswil, 1982.
Auch eine Art Schadensbefund: Rathaus Stans, 1987.
Selbstporträt in Stans, 1982.

Arnold Odermatt war über Jahre für die Kantonspolizei Nidwalden in Bereitschaft. Seine Bilder entstanden bei der Arbeit, als Beweisaufnahmen. Heute fügen sich die über Jahrzehnte entstandenen Fotografien zu einer Chronik der Zeit. Im Bild Arnold Odermatt im Jahr 1974.

Urs Odermatt, Windisch

Da hat sich ein weisser Mercedes um einen Kandelaber gewickelt. Da ist ein schwarzer VW Käfer ins Nass einer Uferböschung gekippt, die eine Tür offen wie ein lahmer Käferflügel, die Scheinwerfer mit fragendem Blick, die Nase blutend. Da balanciert das Hinterteil eines Lastwagens abenteuerlich über einer Bücke. Es ist apokalyptische Wollust, gepaart mit nostalgischer Wehmut, die diese meist schwarz-weissen Bilder von längst aus dem Strassenbild verschwundenen Automodellen aus einer Zeitspanne von 1948 bis 1990 in uns wecken.

Die eigenartige Poesie dieser Bilder besteht auch darin, dass sie in ihrer Sachlichkeit die Tragödien und Traumata hinter den Unfällen völlig ausblenden. Als ob da alles nur arrangiert worden wäre, damit ein beflissener Polizist seine Aufnahmen machen kann – selbst wenn es so wäre, hätte da einer für diese Arrangements eine gehörige Portion Phantasie zum Makabren aufbringen müssen.

Von Harald Szeemann entdeckt

Seine Unfallbilder sind sogar vor Jahren einmal an der Biennale in Venedig gezeigt worden. Harald Szeemann hatte ihre künstlerische Qualität entdeckt. Gut vierzig Jahre lang war ihr Schöpfer als Nidwaldner Polizeifotograf tätig. Und er war es, der in Stans, erst gegen Widerstand, die Fotografie als Mittel zur Beweisaufnahme durchgesetzt hatte. Anfang der neunziger Jahre entdeckte Odermatts Sohn, der Regisseur Urs Odermatt, dessen Fotografien. Es erschienen mehrere Bildbände.

Arnold Odermatt ist nun am 19. Juni im Alter von 96 Jahren in seinem Heimatort Stans an den Folgen einer Alzheimer-Erkrankung gestorben.

Arnold Odermatt im Selbstporträt. Stans, 1978.

Arnold Odermatt im Selbstporträt. Stans, 1978.

Urs Odermatt, Windisch