Zum Inhalt springen

Tod von Margitta Gummel Wie weit kann man stoßen?

Margitta Gummel war ein Star, sie holte für die DDR Olympiagold und Weltrekorde im Kugelstoßen. Aber ihre Geschichte ist auch nicht erzählbar ohne das Anabolikadoping.
Margitta Gummel, Weltrekordlerin, Olympiasiegerin - mit welchen Mitteln?

Margitta Gummel, Weltrekordlerin, Olympiasiegerin - mit welchen Mitteln?

Foto: imago sportfotodienst / imago images/Pressefoto Baumann

Margitta Gummel gehört zu denen, über deren Sportleben eigentlich zwei Geschichten erzählt werden müssten. Es ist die Geschichte der erfolgreichen Leichtathletin, der Weltrekordlerin und Olympiasiegerin, und es ist die Geschichte des Dopings im DDR-Sport, der Anabolikaversuche in Leipzig, an denen Margitta Gummel beteiligt wurde. Und da beide Geschichten sich ineinander verstricken, ist es kompliziert.

Der Vorwurf, die Leistungen von DDR-Athletinnen und -Athleten würden aufs Doping reduziert, ist immer wieder erhoben worden. Margitta Gummel, die am Dienstag im Alter von 79 Jahren gestorben ist, war ohne Zweifel eine sehr begabte Kugelstoßerin, sie hatte die Schnellkraft, die Athletik, die Wucht. Sie war besser als viele andere, das ist unumstritten. Dass sie ihre Bestmarke von 17,86 Meter über 18,43 Meter und 19,61 Meter auf 20,11 Meter steigern konnte und dafür nur drei Jahre brauchte, hatte aber auch andere Gründe als nur Schnellkraft und Athletik.

Der Autorin Brigitte Berendonk war nach der Wende eine Studie zugespielt worden, anonym, es hatte auch etwas von einem Kriminalstück. Die Studie trug den Titel »Analyse des Einsatzes unterstützender Mittel in den leichtathletischen Wurf- und Stoßdisziplinen und Versuch trainingsmethodischer Ableitungen und Verallgemeinerungen«, sie stammte aus dem Jahr 1973, und federführend an ihr beteiligt war Karl-Heinz Bauersfeld, Professor für Theorie und Methodik der Leichtathletik an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig – und der Trainer von Kugelstoßerin Margitta Gummel.

Die »First Lady des Dopings«

In der Studie wird das Anabolikadoping in der DDR beschrieben, Gummel galt als die erste Testperson für Anabolika, in den Dokumenten taucht sie unter der Nummer 1/68 auf. Als Berendonk ihre Erkenntnisse und Recherchen dazu 1992 öffentlich machte, musste Gummel ihren Sitz als persönliches Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee NOK zurückgeben. Dabei hatte sie selbst 1991 noch gesagt, sie sei »strikt gegen Doping«. Für Berendonk dagegen war sie »die First Lady des Dopings«.

Margitta Gummel und Nadeshda Tschischowa

Margitta Gummel und Nadeshda Tschischowa

Foto: via www.imago-images.de / imago images/Karl-Heinz Stana

Der Begeisterung über Gummels Erfolge hatte das in den Jahrzehnten zuvor keinen Abbruch getan, die Leichtathletik war in jenen Tagen noch so viel doppelbödiger als in späterer Zeit. So gab es allein 17 deutsche Stoßerinnen, die vor 1990 die magische 20-Meter-Marke übertrafen, 14 aus der DDR, drei aus dem Westen. Eine Weite, die im DLV danach kaum noch jemand schaffte. Der deutsche Rekord im Kugelstoßen der Frauen von Ilona Slupianek datiert vom 11. Mai 1980. Der Weltrekord von Natalja Lissowskaja aus der UdSSR ist aus dem Jahr 1987. Was ist er heute noch wert?

Der Zweikampf DDR gegen UdSSR, er hat auch Gummels sportliche Laufbahn geprägt. Ihre ewige Konkurrentin hieß Nadeshda Tschischowa. Dreimal war Tschischowa bei Europameisterschaften vor ihr auf dem Podest, dreimal blieb für Gummel Silber. 1969 stieß Gummel zum Weltrekord von 20,11 Metern, fünf Tage später erzielte Tschischowa 20,43 Meter.

Größter Tag in Mexiko City

Auch bei den Spielen in München 1972 hatte die Sowjetrussin ihr die Goldmedaille entrissen. Die Goldmedaille, die die Magdeburgerin vier Jahre zuvor in Mexiko City gewonnen hatte: Dieser 20. Oktober 1968 war ihr größter Tag. Schon da war Tschischowa ihre Hauptrivalin, beide hatten im Vorfeld der Spiele den Weltrekord verbessert, Gummel hatte die Bestmarke der Sowjetrussin auf 18,87 Meter gesteigert.

Im olympischen Wettkampf ging diese Rallye weiter. Auch Gummels Teamkollegin Marita Lange mischte mit, verbesserte ihre persönliche Bestleistung um mehr als einen Meter, und während Tschischowa nach 18,19 Meter im ersten Durchgang nicht mehr zulegen konnte, steigerte sich Gummel geradezu in einen Weitenrausch: 19,07 Meter im dritten Versuch. Weltrekord. 19,61 Meter im fünften Durchgang. Weltrekord. Wenn Weitspringer Bob Beamon in Mexiko mit seinen 8,90 Metern in ein neues Jahrhundert gesprungen ist, dann hat Margitta Gummel in Mexiko in ein neues Jahrzehnt gestoßen.

Sportlerin des Jahres 1968 in der DDR, Ehrungen durch den Staat, nach dem Olympiasieg wurde ihr ein weinroter Wartburg mit dem Kennzeichen SC 1961 vor die Tür gestellt, Gummel war ein echter Star. Auch wenn ihre Sportkarriere danach gar nicht mehr lange andauerte: 1972 beendete sie ihre Laufbahn. Danach wurde sie die erste Olympiasiegerin der DDR mit einer Promotion zum Doktor med.

Die Testperson der Anabolikaforschung in Leipzig wurde Medizinerin.