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Zum Tod des Filmstars Claude Brasseur Ein Kino-Ritter von zerknautschter Gestalt

Mal grimmig, mal elegant: Der Schauspieler Claude Brasseur verkörperte die Rolle des französischen Jedermann – und wurde auch durch seichte Kinohits wie »La Boum« ein prägendes Gesicht des Kinos.
Claude Brasseur und Anna Karina in Jean-Luc Godards Bande à part (»Die Außenseiterbande«) von 1964

Claude Brasseur und Anna Karina in Jean-Luc Godards Bande à part (»Die Außenseiterbande«) von 1964

Foto: ddp images

Am meisten Spaß machten ihm offensichtlich die Nervensägen und Querulanten. In jungen Jahren trat Claude Brasseur als sanftäugiger Chansonsänger im weißen Frack auf, davon gibt es tolle Videos aus den Sechzigerjahren auf YouTube zu bewundern. Er verkörperte einen liebesverrückten Zahnarzt mit schütterem Haar in seiner populärsten Rolle überhaupt in »La Boum – Die Fete« aus dem Jahr 1980, wo er seiner von Sophie Marceau gespielten Tochter das Teenieleben schwer macht. Und er spielte immer wieder Schurken und knallharte Kommissare.

Aber wenn er den tückischen Kauz geben durfte wie noch als beinahe 80-Jähriger in dem Altherrenschwank »Frühstück bei Monsieur Henri« von 2016, dann schien Brasseur seinen Schauspielerberuf besonders begeistert auszuüben. Genau 50 Jahre zuvor hatte er den Erfolgsfilm »Ein Elefant irrt sich gewaltig« gedreht. In einer Szene dieser Buddykomödie, die man damals noch nicht so nannte, trat er in einem Bistro als Menschenfeind mit Sonnenbrille und Blindenstock auf – und zerlegte virtuos Gläser, Geschirr und die halbe Einrichtung.

Zu einem Star des Kinos und Liebling der französischen Medien wurde Claude Brasseur, der nun im Alter von 84 Jahren gestorben ist, nicht nur als Schauspieler, sondern als Draufgänger. Er fuhr selbst Rallyes, erlitt mindestens einmal schwere Verletzungen bei einem Unfall und gewann als Co-Pilot des Berufsrennfahrers Ja­cky Ickx 1983 die Rallye Paris-Dakar. Um Geschwindigkeit ging es auch, als der Darsteller Brasseur 1964 in Jean Luc-Godards Film »Die Außenseiterbande« gemeinsam mit Anna Karina und Samy Frey in der angeblichen Rekordzeit von neun Minuten und 43 Sekunden zu Fuß durch den Pariser Louvre rannte.

Lässiger Charme und schlechte Laune

Brasseur und Frey spielten zwei junge Nichtsnutze, die einen Überfall planen und in das Mädchen verliebt sind, das ihnen zum großen Geld verhelfen soll. Der Film ist ein ironischer Widerpart zu Truffauts elegischem Dreiecks-Liebesdrama »Jules und Jim« von 1962. In coolem Übermut wackeln Brasseur, Karina und Frey da in einer heute kinohistorischen Tanzszene mit den Hüften und üben sich in Glamour- und Gangsterposen, die sie aus amerikanischen Filmen kennen.

»Die Außenseiterbande« ist ein Meisterwerk der Nouvelle Vague. Für deren Ideen hat sich der Schauspieler Brasseur allerdings nicht groß interessiert. In den Sechziger- und Siebzigerjahren spielte er ziemlich wahllos zerknautschte Allerweltstypen, Witzfiguren und Geheimdienstler auch in künstlerisch eher wenig ambitionierten Kinofilmen und Fernsehproduktionen.

Mit seinen oft nur halbgeöffneten Augen, dem eher spärlich behaarten Sturschädel und dem nicht auffallend athletischen Leib verkörperte er einen französischen Jedermann, gleichermaßen begabt zum lässigen Charme und zur schlechten Laune. Auf die Frage, was ihm wirklich wichtig sei, antwortete er in einem Interview: »Theater spielen und mit Freunden gut essen und trinken«. Man kann sich den bärbeißigen Ton gut vorstellen.

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Claude Brasseur: Einer für alle

Foto: ddp images

Brasseur wuchs als Kind des Schauspielerpaars Odette Joyeux und Pierre Brasseur in Paris auf, die Eltern waren vor allem im Theater erfolgreich. Der Vater hatte seinen wichtigsten Kinoauftritt in Marcel Carnés Filmklassiker »Kinder des Olymp« aus dem Jahr 1945 und schrieb auch ein paar Lieder für Edith Piaf. Sein Sohn Claude wollte angeblich eine Weile lang Journalist werden, ließ sich beim Militär zum Fallschirmspringer ausbilden und verlegte sich dann doch auf die Schauspielerei.

Gemeinsam mit Jean-Paul Belmondo lernte er am Pariser Konservatorium und begann als junger, aber noch nicht allzu auffälliger Heldendarsteller am Theater. Nebenbei sang er Chansons, spielte erste Kinorollen und träumte von einer Rennfahrerkarriere. Einen seiner wirklich großen Triumphe auf der Bühne hatte er, wenn man den Kritiken glauben darf, Ende der Siebzigerjahre in »Die drei Musketiere«. Brasseur spielte den Musketier D’Artagnan in der Bühnenversion des Romans von Alexandre Dumas. Die goldene Losung der drei Titelhelden lautet bekanntlich: »Einer für alle, alle für einen«.

Der Schauspieler Claude Brasseur war ein gebrochener Rittersmann für beinahe alle Kinorollen – und eine Identifikationsfigur für sehr viele Kinozuschauerinnen und Kinozuschauer. Als er Mitte der Achtziger in dem sexbegeisterten Thriller »Abstieg zur Hölle« als Liebhaber der 30 Jahre jüngeren Sophie Marceau – ausgerechnet als Lover seiner Tochter aus »La Boum« also – auftrat, sorgte das für ein bisschen Skandallärm. Ähnlich erging es ihm, als er ein paar Jahre später wegen eines Kokain-Kaufs verhaftet wurde.

Seinen Ruf als smarter, umtriebiger Liebling der französischen Film-, Fernseh- und Theaterwelt hat das keineswegs beschädigt. Im Privatleben war er nach einer kurzen ersten Ehe von 1970 an mit der Journalistin Michèle Cambon verheiratet, der gemeinsame Sohn Alexandre setzt die Familientradition fort und ist Schauspieler.

In Claude Sautets Film »Eine einfache Geschichte« aus dem Jahr 1978 sieht man Brasseur als eifersüchtigen Lebensgefährten der von Romy Schneider gespielten Heldin, der in einem schrecklichen Moment handgreiflich wird gegen seine Geliebte – und sich dann ihrem Urteil stellt. »Ich habe keine Lust mehr, mit dir zu leben«, sagt Romy Schneider da. Und der Mann antwortet, als wollte er sich am liebsten selbst verprügeln: »Das kann ich verstehen.« Viele Male hat Brasseur die Rolle des heroischen Griesgrams in seinem Schauspielerleben gespielt, oft zum Lachen komisch und manchmal nervenzerrüttend. Aber nie so ergreifend wie in »Eine einfache Geschichte«.

Anmerkung: In einer früheren Version war der Film »Kinder des Olymp« auf das Jahr 1937 datiert. Tatsächlich ist er in den Jahren 1943 bis 1945 entstanden. Wir haben die Stelle korrigiert.

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