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Zum Tod von Tilo Prückner Der mit dem Feenstaub

Kauz, Kleinganove, Bildrandfigur - aber was für eine! Tilo Prückner sorgte dafür, dass das TV-Serien-Universum weniger künstlich war. Nun ist der Schauspieler im Alter von 79 Jahren gestorben.
In jeder Szene stark: Tilo Prückner (1940 - 2020)

In jeder Szene stark: Tilo Prückner (1940 - 2020)

Foto: Charles Yunck/ imago images

Die Bürotür geht auf, herein kommt, leicht gebeugt, ein Typ mit Schal bis zur Nasenspitze, die Backe dick. Er murmelt seinen Kollegen ein "Morgen" zu, geht zur anderen Tür wieder raus. "Schubert!", brüllt der Chef sofort, da ist der Schubert aber quasi schon wieder aus dem Bild.

Das ist der erste Auftritt von Tilo Prückner in der Uralt-Vorabendserie "Adelheid und ihre Mörder" mit Evelyn Hamann, zum ersten Mal gesendet 1999. Prückner also, als Kommissar Schubert. Dicke Backe, im Krankenhaus wegen Pfirsichallergie, den rechten Arm im rechten Winkel eingegipst, jede Folge mindestens zwei Mal so Zeug.

Er sei ja auf "Außenseiter, Käuze und Kleinganoven" spezialisiert, moderierte ihn Jörg Pilawa Anfang Januar in der "NDR-Talkshow" von der Seite an. Und traf damit zielgerichtet vorbei.

Denn Tilo Prückner spielt so dezent aus den Mund- und Augenwinkeln, dass seine Figuren selbst dann nie wie breitbeinige Zampanos daherkommen, wenn es Hauptrollen sind. Und sie sind dabei so unübersehbar, dass sie wie Hauptrollen wirken, auch wenn er nur Neben- oder gar Bildrandfiguren spielt. Ja, Präsens! Für eine Vergangenheitsform ist Prückners Eindruck in jeder Szene zu stark. Er ist einer dieser Schauspieler, wegen denen dieser nach Kunststoff riechende und wie Drehbuchpapier raschelnde Mikrokosmos "TV-Serie" weniger künstlich riecht und klingt. Prückner ist ein Feinspieler, ist der mit dem Feenstaub.

Eine x-beliebige Folge "Adelheid und ihre Mörder" reicht. Natürlich, die Hamann als ermittelnde Sekretärin im Zentrum, daneben allerlei andere im Dezernat "Mord Zwo", alle gefühlt dauernd im Bild. Und Prückner? Er hat als Schubert vielleicht ein, zwei Miniszenen. Er schlurft mal wieder weit nach Dienstbeginn durch die Bürotür. Oder hat kurz vor Feierabend einen raren lichten Moment. Wenig Dialog, wenig Bildschirmzeit. Aber dennoch: Der, an den man sich erinnert, über 20 Jahre nach Serienende, das ist er. Nicht als Tollpatsch oder Kauz oder irgend so eine Abseitsschublade, nein. Als menschelnder Normalo.

Zierlich, schmal, struppiger Schnauzer

Das mag auch an seiner Physis wirken. Er ist zierlich, schmal, struppiger Schnauzer, wirres Haar, irgendwann wurde er schlohweiß. Eben keiner, der wie Mario Adorf, rumms, immer sofort voll im Raum steht. Einer, der sich anders bemerkbar macht: mit scharfen schwarzen Augen, egal wie klein sie sind; mit seinem leicht wippenden Gang, so aus den Knien raus; der weiß, dass man seine Hand auch mal in die Hosentasche steckt. Mit einem Zungenschlag, der von nuschelnd über unaufmerksam bis kurz angebunden alles sein kann.

Und dazu eben eine gut versteckte Körperspannung, die immer klarmacht: Hier hat sich einer jede Muskelbewegung, jedes Kostümelement, jedes Dings aus der Requisite für seine Figur einverleibt. Ob in den NDR-"Tatorten" zwischen 2001 und 2008, wo er Ermittler Eddi Holicek  spielte, oder als Edward Bremer bei den "Rentnercops": Er trägt diesen knittrig hängenden Trenchcoat, zur Not auch Schiebermütze und schwarze Weste.

Die Klamotten - egal wie platt etwa diese Trenchcoatnummer für alle Ermittlerfiguren seit Bogarts Philipp Marlowe wirkt - tragen niemals ihn. Wie häufig es andersherum ist, merken alle, die mal bewusst drauf achten.

Nicht ohne seinen Trenchcoat: Prückner mit Spielpartner Robert Atzorn im Hamburger "Tatort"

Nicht ohne seinen Trenchcoat: Prückner mit Spielpartner Robert Atzorn im Hamburger "Tatort"

Foto: imago images

Klar, nun könnte man natürlich all die anderen Filme und Serienteile aufzählen, in denen Prückner mitgespielt hat, könnte von "Bomber und Paganini" mit Mario Adorf von 1976 erzählen, in dem die beiden parabelgleich durch die Lande streichen, einer blind, einer im Rollstuhl, der Bruch in der Bank ging daneben, saublöd gelaufen - und für den Prückner ausgezeichnet wurde. Oder von seiner Rolle als grummeliger alter Pferdetrainer Herr Kaan, der in der Kinder-Kinoreihe "Ostwind" in einem Bauwagen lebt - Teil fünf mit dem Titel "Der große Orkan" soll dieses Jahr laufen.

Ach, wären Polizisten doch wie Prückner!

Nein, schieben wir alles beiseite. Denn was bei vielen anderen dazu führen würde, zu lamentieren - ach, da ist einer aber festgelegt auf einen Rollentypus, kann wohl nix anderes - scheint bei Prückner der leuchtende Kern: "Adelheid und ihre Mörder", Hamburg-"Tatort" mit Dings, Lehrer Specht, nun seit fünf Jahren "Rentnercops" mit Wolfgang Winkler, geniale Kombination übrigens - Polizisten, Ermittler, allesamt. Der Kern, weil im Lichte der aktuell breiter geführten Debatte über die Institution Polizei: Genau solche Menschen, wie Prückner sie spielt, sollen bitteschön dort arbeiten.

Erst recht, wenn man mal genau überlegt, wie TV-Krimiserien unser Bild von der Polizei prägen - eben weil in den Cop-Serien die Cops immer als Helden inszeniert werden. Wenn also schon im Zentrum, dann wie Prückner: Hier ist kein Held, nirgends. Auch keiner, der ein Held sein will. Er ist. Das reicht. Und ist doch alles.

Ach, "Gedanken mache ich mir schon länger", sagte Prückner noch Anfang Januar bei der "NDR-Talkshow" übers Altwerden. Er saß da, um neue "Rentnercops"-Folgen und sein "Bomber und Paganini"-Revival mit Mario Adorf zu bewerben, die Gaunerklamotte "Alte Bande". Wie das nun werde, mit der runden Jahreszahl, na ja, er winkte ab: "Ich werde zum ersten Mal 80". Bloß kein Gewese machen eben. Ende Oktober wäre es so weit gewesen.

Wie am Montag bekannt wurde, starb Tilo Prückner am Donnerstag in Berlin im Alter von 79 Jahren. 

Aus Anlass des Todes von Tilo Prückner sendet das Erste am Mittwoch, 20.15 Uhr den Fernsehfilm "Holger sacht nix" aus dem Jahr 2011. Außerdem läuft im Ersten zurzeit mittwochs, 18.50 Uhr, die dritte Staffel "Rentnercops" mit Prückner.

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