Ian Taylor und Vitol: Der Rohstoffhändler, der grösser war als das Leben

Der Brite hat Vitol zum grössten unabhängigen Erdölhändler der Welt mit Genfer Niederlassung aufgebaut. Nun ist er im Alter von 64 Jahren gestorben.

Gerald Hosp
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Ein breites Grinsen war sein Markenzeichen: Ian Taylor, Erdölhändler.

Ein breites Grinsen war sein Markenzeichen: Ian Taylor, Erdölhändler.

Jason Alden / Bloomberg

«Wir sind langweilig, wirklich», sagte Ian Taylor im Gespräch vor zwei Jahren kokett. Man wollte es ihm, der mit Vitol den grössten unabhängigen Erdölhändler der Welt aufgebaut hatte, nicht so recht glauben. Bereits damals war der Brite, der seine schottische Abstammung betonte, von seiner Krebserkrankung gezeichnet: abgemagert und häufig hustend. Gleichzeitig hatte er sein breites Grinsen aufgesetzt, das sein Markenzeichen war. Er vermittelte den Eindruck, grösser als das Leben zu sein.

Ein Alphatier

Neben Ivan Glasenberg, der den schweizerischen Rohstoffkonzern Glencore leitet, war Taylor einer der schillerndsten Händler der alten Garde in der Branche. Zusammen mit dem 2015 verstorbenen Claude Dauphin von Trafigura gelten sie als Pioniere des modernen Rohstoffhandels, der von Marc Rich aus der Taufe gehoben worden war. Zwar gab Taylor im Jahr 2018 gesundheitsbedingt den Stab des Vitol-Chefs an seinen Nachfolger Russell Hardy weiter. Dennoch wollte er als gleichsam erster Diplomat sein weltweites Netzwerk für das Unternehmen weiter pflegen.

Vitol stieg in den vergangenen Jahrzehnten unaufhaltsam zu einem der grössten unbekannten Unternehmen der Welt auf. Taylor war 1984 vom britisch-niederländischen Energieriesen Royal Dutch Shell zum damals kleinen Erdölhändler gewechselt. Dort baute er den Handel für Rohöl auf und leitete dann in Singapur das Asiengeschäft. 1995 wurde er Chef des Rohwarenhändlers, der über den Standort Genf einen grossen Teil seiner Geschäfte laufen lässt.

Im vergangenen Jahr steigerte Vitol das täglich gehandelte Volumen an Rohöl und Erdölprodukten auf rund 8 Mio. Fass, was gut 8% des weltweiten Verbrauchs ist. Der Umsatz betrug 225 Mrd. $; der Lebensmittelkonzern Nestlé kam im vergangenen Jahr umgerechnet auf rund 96 Mrd. $, wobei die Umsätze im Handel nur bedingt mit denjenigen in der Industrie vergleichbar sind. Der Erdölhändler ist auch am Betreiber der Raffinerie in Cressier beteiligt.

Fluch der Karibik

Shell hatte Taylor nach seinem Studium in Oxford 1978 nach Venezuela geschickt. Das internationale Wanderleben kannte er bereits als Jugendlicher, weil sein Vater für den Chemieriesen ICI in Ländern wie Nigeria oder Iran gearbeitet hatte. In der Karibik lernte Taylor die abenteuerlichen Seiten der Branche kennen: In Jamaica wurde ihm einmal bei der Ankunft eine Pistole angeboten, damit er sich besser gegen die grassierende Gewalt schützen könne.

Es blieb durchaus abenteuerlich: In der Karriere des Briten tauchen denn auch Skandale, Anschuldigungen und Husarenstücke wie Geschäfte in Libyen zur heissesten Phase des Bürgerkrieges auf. Dubiose Partner und die Zusammenarbeit mit undemokratischen Regimen sind keine Seltenheit im Erdölhandel. Taylor und ein Geschäftskompagnon sollen laut Medienberichten den serbischen Milizenführer und angeklagten Kriegsverbrecher Zeljko Raznatovic, genannt Arkan, als «Fixer» für eine nicht erfolgte Zahlung genutzt haben, als Serbien noch unter Uno-Sanktionen stand. Vitol bestreitet diese Verbindung und sagt, dass das Erdöl erst nach dem Ende des Embargos geliefert worden sei.

Eine der grössten Rufschädigungen stellten die Enthüllungen rund um das «Oil for Food»-Programm der Uno im Irak in den 1980er Jahren dar. Eine Welt von Schmiergeldern und Korruption kam zutage. Viele der grossen Handelsfirmen waren beteiligt. Wenige erklärten sich aber wie Vitol in den Vereinigten Staaten als schuldig. Taylor sagte, dies sei nötig gewesen, um die Mitarbeiter zu schützen.

Abgelehnter Ritterschlag

In Grossbritannien erlangte der verschwiegene Geschäftsmann als Geldgeber der Konservativen Partei einige Bekanntheit. Er unterstützte die Kampagnen gegen die schottische Unabhängigkeit und gegen den Brexit. Der frühere Premierminister David Cameron hatte Taylor für die Ritterwürde vorgeschlagen. Als dies ein negatives Medienecho ausgelöst hatte, lehnte er die Auszeichnung ab.

In englischsprachigen Publikationen fällt mit dem Namen Taylor häufig der Begriff «buccaneer» – eine Bezeichnung für die Freibeuter mit Genehmigung der englischen Krone. Der Vitol-Chef war auch fester Bestandteil des britischen Establishments: Neben seiner philanthropischen Tätigkeit war er Obmann des Londoner Royal Opera House. Nach einer langen Krebserkrankung starb Taylor mit 64 Jahren an einer Lungenentzündung.