Janis Lusis ist tot :
Der größte Speerwerfer der Geschichte

Von Christian Eichler, München
Lesezeit: 2 Min.
Das Duell zwischen Janis Lusis (Bild) und Klaus Wolfermann aus dem Jahr 1972 ist unvergessen.
Zwei Tage, bevor bei den Olympischen Spielen 1972 die unbeschwerte Freude Tod und Terror zum Opfer fiel, ließ der Lette Janis Lusis das Olympiastadion in München beben. Nun ist er gestorben.

Janis Lusis ist in seiner ganzen Karriere für den Staat angetreten, dessen Soldaten seinen Vater umbrachten, als er ein sechsjähriger Junge war: die Sowjetunion. Aber er ist als Lette geboren und als Lette gestorben, und ein wenig ist er auch von den Deutschen adoptiert worden. Ohne ihn wäre der wohl glanzvollste olympische Tag, den der deutsche Sport erlebt hat, so nicht möglich gewesen. Der Dramaturgie hätte der emotionale Höhepunkt gefehlt.

Der 3. September 1972, der „Goldene Sonntag“ der Spiele von München, begann mit dem Sieg Hildegard Falcks im 800-Meter-Lauf und endete mit dem Sieg Bernd Kannenbergs im 50-Kilometer-Gehen. Doch es war vor allem der Zweikampf der Speerwerfer Klaus Wolfermann und Janis Lusis, der das Olympiastadion beben ließ – zwei Tage, bevor die unbeschwerte Freude der „heiteren Spiele“ Tod und Terror zum Opfer fiel. Wolfermann, der den Olympiasieger und Weltrekordhalter für „unbesiegbar“ gehalten hatte, machte im vorletzten Versuch den Wurf seines Lebens. In perfekter Kurve segelte der Speer auf die Weite von 90,48 Meter. „Janis saß auf einer Bank und aß einen Apfel. Der fiel ihm vor Schreck aus dem Mund“, erinnerte sich Wolfermann an das Duell, aus dem eine bleibende Freundschaft erwuchs. Man traf sich später regelmäßig, und Lusis erschien als Überraschungsgast auf Wolfermanns 60. Geburtstag.

Es war eine Winzigkeit, die über den Sieg entschied. Lusis legte im letzten Versuch einen so wuchtigen Abwurf hin, dass ihm das linke Bein etwas wegknickte, „sonst wäre es Weltrekord gewesen“, so Wolfermann – und hätte Lusis den Lenin-Orden eingebracht, den man ihm für den Sieg versprochen hatte. Beim Betrachten der alten TV-Bilder glaubt man noch heute das Luftanhalten von 80.000 Zuschauern zu hören, während der Speer fliegt – dann das Aufstöhnen, als er fast an derselben Stelle wie zuvor der des Deutschen in den Rasen sticht. Und endlich den kollektiven Aufschrei, als die Anzeige die Zahlenfolge 90,46 aufleuchten lässt. Zwei Zentimeter, es war die damals im Speerwurf kleinstmögliche Marge. Lusis umarmte Wolfermann, der sagte: „Entschuldigung, dass ich gewonnen habe“. Lusis entgegnete, er habe ja schon eine Goldmedaille.

Lusis, der viermal Europameister war, mangels einer WM damals fast gleichbedeutend mit dem Weltmeistertitel, wurde 1987 vom Internationalen Leichtathletikverband zum „größten Speerwerfer der Geschichte“ erkoren. Noch mit 68 Jahren soll er den Speer über fünfzig Meter weit geworfen haben. Am Mittwoch ist er im Alter von achtzig Jahren in Riga gestorben.