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Marcel Ospel und Rainer E. Gut rangen jahrelang um die Strategie für die Swissair. Erst als es schon zu spät war, setzte sich einer durch.
Zwei Namen, zwei Banker: der am Wochenende verstorbene Ex-UBS-Chef Marcel Ospel und der mittlerweile 87jährige, langjährige CS-Lenker Rainer E. Gut sind Exponenten zwei verschiedener Generationen der Schweizer Finanzindustrie. Sie haben nie zusammen gearbeitet und dennoch sind deren berufliche Biografien auf seltsame Art miteinander verwoben.
Gut will seine CS bereits in den 1980er Jahren zur global führenden Adresse im Investmentbanking machen, dringt mit der schrittweisen Übernahme der First Boston als erster Europäer in die Phalanx der grossen Häuser an der Wall Street ein. Ospel beschreitet zwei Jahrzehnte mit der UBS den gleichen Weg. Gut schlägt am 1. April 1996 in einem vertraulichen Telefonat mit den damaligen Präsidenten der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG), Nikolaus Senn, die Fusion von SBG und CS vor – erstere befindet sich damals in den Klauen des Raiders Martin Ebner und sitzt auf einem fetten Polster an Eigenkapital, was letztere nach teuren Firmenübernahmen von Bank Leu bis Schweizerische Volksbank (SBV) gut gebrauchen könnte; Senn jedoch lässt Guts Plan öffentlich auffliegen.
Im Dezember 1998 ist es Marcel Ospel, damals Chef des Schweizerischen Bankvereins (SBV), der mit der SBG den Deal zur UBS macht – aus den gleichen Gründen, wie seinerzeit Gut: die Basler sind stark im Investmentbanking, aber kapitalschwach. Fast schicksalhaft verbandelt werden die beiden Banker schliesslich über die Causa Swissair. Dort sitzt Rainer E. Gut seit 1974 im Verwaltungsrat, als damals jüngster Generaldirektor und Vertreter der CS-Vorläuferfirma Schweizerische Kreditanstalt (SKA).
Er erlebt hautnah mit, wie die schrittweise Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs Jahre später, nach dem EWR-Nein an der Urne, die Swissair zunehmend in Bedrängnis bringt. 1993 ist Gut federführend als über das Projekt Alcazar - einem Fusionsplan der Swissair mit der holländischen KLM, der österreichischen AUA und der skandinavischen SAS zu einer europäischen Gross-Airline namens «Sinfonie» - diese Isolation durchbrochen werden soll. Auf der Gegenseite positioniert sich ein Mann, der rund um das Grounding der Swissair Schulter an Schulter mit Ospel für eine Basler Lösung einer Nachfolgegesellschaft kämpfen wird: Crossair-Gründer Moritz Suter pusht «ein alternatives Entwicklungskonzept für die Swissair-Gruppe» zu Alcazar namens «Phoenix», welches bereits 1993 die Übernahme der Swissair-Langstreckenverkehrs durch die Basler Regionalairline vorsieht. Alcazar scheitert nicht nur, aber auch an diesem Widerstand im Inland.
Zwei Jahre später, als Gut aus dem Swissair-VR austritt, ist beschlossene Sache: die Nationale Airline beteiligt sich an der belgischen Sabena, Startpunkt für den Aufbau eines eigenen europäischen Airline-Verbunds und begründet das Gedankenmodell, welches zwei Jahre vor der Jahrtausendwende in die «Hunter»-Strategie münden wird. Rainer E. Gut hatte seine Zustimmung für diese Akquisition als seinen letzten Akt im Aufsichtsgremium freilich nur unter der Auflage gegeben, dass die Swissair die Kontrolle über Kapital, Management und Verwaltungsrat halten sollte: nichts von alledem wird beim Kauf eingehalten.
Marcel Ospel wird am 29. September 2001 persönlich in die Causa Swissair involviert. Ein Samstagabend. Gegen 18 Uhr klingelt im Hause Ospel das Telefon. Der inzwischen zum Präsidenten aufgestiegene Banker weiss um die finanziellen Troubles der Nationalen Airline. Die UBS ist eine der Hausbanken und in einem streng vertraulichen Memorandum an den Verwaltungsrat hatte der oberste Kreditchef der Bank bereits am 10. März 2001 empfohlen: «Was Neugeld betrifft, so wäre ich sehr restriktiv und würde der Firma die Auflage machen, dass sie sich die Liquidität (zwei bis drei Milliarden Franken) über Asset Sales beschaffen muss.» Die Swissair kann also kein Geld mehr von der UBS erwarten. Und so wird das am 30. März im Beisein Ospels auch dem neuen Swissair-Chef Mario Corti mitgeteilt.
Jetzt aber, am Wochenende vor dem Grounding, bittet Corti Ospel und seine UBS-Entourage notfallmässig in die Swissair-Zentrale am Balsberg in Kloten. Es gehe darum, einen möglichen Rettungsplan für die Swissair zu besprechen. Am Schluss der Präsentation liegen die Optionen klar auf dem Tisch: Entweder investieren die UBS-Banker in eine Nachfolgeairline der Swissair und kaufen die Crossair-Beteiligung aus dem Konzern heraus oder aber die Schweizer Zivilluftfahrt steht vor dem Aus. So kommt es in diesen schicksalshaften Stunden am Balsberg zu einer Parallelität der Interessen zwischen dem Basler Crossair-Gründer Moritz Suter und dem Basler Bankier Marcel Ospel.
Der Airliner will seine Crossair zur Nachfolge-Airline der von Konkurs bedrohten Swissair aufbauen, und der Banker ist empfänglich für einen derartigen Investment-Banking-Deal – auch, weil sich auf diesem Wege die Probleme seiner Bank mit der Swissair in Luft auflösen liessen. Das hat seinen Preis. In einem von den UBS-Bankern abgesegneten Plan, der nun «Projekt Phoenix» heisst, steht: «Die Banken, UBS und CS, stellen der SAirLines einen Bridge Loan bis zum Gesamtbetrag von 250 Millionen Franken zur Verfügung. Verwendung: Aufrechterhaltung der Airline-nahen Dienstleistungsbetriebe. Keine Verwendung für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebes der Swissar.»
Damit ist allen klar: Es wird ein Grounding der Swissair geben. Dieses wird am 2. Oktober 2001 bittere Realität. Schnell wird klar: Auf der Basis der Crossair und mit dem von den Grossbanken gesprochenen Geld lässt sich ein Flugbetrieb einer neuen Schweizer Airline mit Langstrecken an die wichtigsten Metropolen der Welt nicht finanzieren. Der Bund ist bereit, Milliarden für die Rettung der Schweizer Luftfahrt zu sprechen – allerdings nur unter der Bedingung, dass auch die Schweizer Privatwirtschaft einen substanziellen Beitrag leistet. An diesem Punkt tritt Rainer E. Gut wieder in diese Geschichte ein.
Mit seiner gesamten seine Autorität als Elder Statesman klopft er die Wirtschaftskapitäne einzeln weich, ihre Firmenschatullen für die Finanzierung der neuen Airline zu öffnen. Einem Thomas Schmidheiny etwa, Hauptaktionär des Zementherstellers Holcim und langjähriger Swissair-Verwaltungsrat, sagt Gut unverblümt, ein Mann mit seiner Mitverantwortung für den Zustand der Nationalen Airline könne jetzt nicht kneifen. Und Schmidheiny zahlt. So wie andere im Land: Die Basler Ciba etwa, die Credit Suisse, die Deutsche Bank, Roche, Novartis, Swiss Re, oder die Swisscom und auch die UBS. Am Schluss sind es 25 Unternehmen und Privatpersonen, die rund 1,7 Milliarden Aktienkapital zeichnen.
Und Rainer E. Gut hat eine letzte Pendenz zu erledigen: einen Verwaltungsrat für die neue Airline zu finden. Einer, der den Job liebend gerne übernehmen würde, ist längst aus dem Rennen gefallen: Moritz Suter kann nicht Kandidat sein. Etliche der Investoren aus der Privatwirtschaft haben ihr Engagement von dieser Bedingung abhängig gemacht. Stattdessen trifft Rainer E. Gut am ersten Tag im November 2001 einen Airliner, den er aus den Alcazar-Verhandlungen kennt: Peter Bouw, ehemaliger Chef der holländischen KLM. Er gewinnt ihn für diesen Posten. Marcel Ospel und dessen UBS hatten in diesem schicksalshaften Herbst während Wochen das Heft in Sachen Swissair in der Hand gehalten und dem Plan Phoenix ihren Stempel aufgedrückt.
Nun aber, im letzten Akt, hat Rainer E. Gut die Lufthoheit über die Schweizer Luftfahrt wieder an den Zürcher Paradeplatz geholt. Anfang Februar 2006 beschäftigt sich Marcel Ospel ein letztes Mal mit diesen dramatischen Ereignissen. Im Kino Seehof in Zug, wo er keinen öffentlichen Auflauf befürchten muss, führt er sich den Film «Grounding» zu Gemüte. Der Streifen, der das Grounding der Swissair fiktional-dokumentarisch aufarbeitet, wird zum Kassenschlager. Nach der Aufführung lässt er über seinen Sprecher ausrichten, als Person habe er sich darin nicht wiedererkannt.
Der Publizist René Lüchinger, war Chefredaktor von «Facts», «Bilanz» und Blick». Er ist Autor mehrerer Wirtschaftsbücher, u.a. über die Swissair und die Banken.