Analyse
Zwei Todesfälle erschüttern das Dreiland: Zum Hinschied von Jean-Marie Zoellé und Alain Girny

Peter Schenk
Peter Schenk
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Luftbild vom Dreiland: Nun sind die beiden wichtigsten südelsässischen Partner Basels in kurzem Zeitraum gestorben. (Archivbild)

Luftbild vom Dreiland: Nun sind die beiden wichtigsten südelsässischen Partner Basels in kurzem Zeitraum gestorben. (Archivbild)

zvg

Die 3er-Tramverlängerung von Basel nach Saint-Louis war ihr Kind, das sie auch vehement verteidigten, als die Basler Verkehrs-Betriebe (BVB) den französischen Streckenabschnitt im Mai letzten Jahres zeitweise einstellten. Alain Girny, Präsident des für öV zuständigen Zweckverbands «Saint-Louis Agglomération», und Jean-Marie Zoellé, Maire von Saint-Louis, fühlten sich damals von Basel düpiert, weil sie die Entscheidung aus den Medien erfuhren und nicht eingebunden waren – obwohl sie Vertragspartner waren.

Nun sind die beiden wichtigsten südelsässischen Partner Basels in kurzem Zeitraum gestorben. Girny am 6. Februar 2020 im Alter von 68 Jahren und Zoellé vergangenen Montag, auf den Tag genau zwei Monate später mit 75. Die bürgerlichen Politiker scheuten sich nicht, gegenüber der grösseren und mächtigeren Schweizer Nachbarstadt auch kritische Worte zu finden. Im Tram-Konflikt, dessen Grund Laserattacken von französischen Jugendlichen gewesen waren, ärgerte sich Girny über den «Vertragsbruch» der BVB und sagte: «So kann man nicht miteinander umgehen.» Zoellé sah die Zusammenarbeit mit Basel um Jahre zurückgeworfen. Schon früher scheute er sich nicht zu urteilen: «Basel ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt.» Von Minderwertigkeitskomplexen war da nichts zu spüren. In der Zwischenzeit haben sich die Wogen um den Tram-Konflikt wieder geglättet. Es ist ruhig geworden um das Thema.

Girny wusste wie Schweizer ticken

Alain Girny war Ingenieur und hat sein gesamtes Berufsleben als leitender Angestellter in der Schweiz verbracht, bevor er sich im Alter von 60 Jahren frühpensionieren liess. Er wusste also, wie die Schweizer ticken. Zoellé hat langjährige Erfahrung in der grenzübergreifenden Kooperation, war Buchhalter und arbeitete auch in den familieneigenen Bekleidungsgeschäften in Saint-Louis. Beide begannen ihre politische Karriere 1989 unter dem langjährigen gaullistischen Maire Jean Ueberschlag. Wie dieser waren sie tief in ihrer Kultur und im Dialekt verankert. Mit seinem zusätzlichen Mandat als Député in Paris hatte Ueberschlag damals auch einen direkten Draht nach Paris.

Die sogenannten «Député-Maires» sind in der Zwischenzeit abgeschafft worden. Die Verwurzelung in der elsässischen Kultur dürfte auch die Kontakte nach Basel vereinfacht haben, wo man den unaufhaltsamen Niedergang des nachbarschaftlichen alemannischen Dialekts seit Jahrzehnten mit Sorge beobachtet. Dass zumindest direkte politische Partner noch Elsässisch reden, verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Insbesondere im Konfliktfall ist es hilfreich, sich gut zu kennen und sich darauf verlassen zu können, dass der andere sagt, was er denkt. Dieses Vertrauen muss jetzt erst wieder aufgebaut werden.

Das ist um so wichtiger, als mit der Coronakrise grundlegende Errungenschaften der Kooperation im Dreiland auf Eis gelegt wurden. Es ist nicht selbstverständlich, dass mit der Überwindung der Pandemie der alte Zustand, in dem die Dreiland-Einwohner die Grenzen fast nicht mehr wahrnahmen, wieder hergestellt wird. Vor allem ausserhalb der Region wuchs von rechtsbürgerlicher Seite der Druck, die Bewegungsfreiheit einzuschränken und wieder auf nationale Autarkie statt auf Kooperation zu setzen. Da wäre es praktisch, dass auch nach Corona beizubehalten.

Schweizer Grenzen mit Maschinenpistolen bewacht

Erst kürzlich hat sich Bern in eine regionale Errungenschaft eingemischt und den Halt des 10er-Trams im französischen Leymen wegen Corona aufgehoben. Auch die Regio-S-Bahn darf derzeit auf ihrer Fahrt zwischen dem Basler Bahnhof SBB und dem Wiesental in Riehen nicht mehr halten. In Leymen regen sich der Maire und die Bevölkerung auf, dass die Schweizer Behörden zwar die wenig benutzten grünen Grenzen martialisch mit Maschinenpistolen bewachen lassen, aber kein Personal bereitstellen wollen, um die Haltestelle in Leymen zu kontrollieren. Stattdessen fährt das Tram jetzt durch und die Einwohner, auch viele Schweizer, müssen schauen, wie sie zur Arbeit kommen. Eine gut funktionierende Kooperation über Grenzen hinweg könnte helfen, nach Corona in Bern Druck für die Wiedereröffnung der Haltestelle aufzubauen.

Im Südelsass wird Basel das Tandem Girny/Zoellé als bewährte Ansprechpartne fehlen. Ihr Einfluss war gross: Girny amtete in Saint-Louis als Stellvertreter Zoellés und dieser vertrat im Zweckverband Girny. Zum Glück gibt es mit Gaston Latscha, dem Präsident des Districtsrats und Maire von Hésingue, sowie Jean-Marc Deichtmann, Bürgermeister von Huningue, noch elsässische Politiker, die langjährige Erfahrung mit der Kooperation im Raum Basel besitzen.

«il est chic de parler français»

Eine empfindliche Lücke wird bleiben, zumal die beiden verstorbenen Politiker ihren Schwerpunkt im öffentlichen Verkehr hatten. In Saint-Louis dürfte der Colmarer Präfekt die bürgerliche Politikerin Pascale Schmidiger bis zum Ende der Pandemie zum Maire ernennen. Normalerweise wird ein Maire vom Stadtparlament gewählt, aber wegen Corona sind die Wahlen ausgesetzt. Seit dem Tod Girnys ist Schmidiger Stellvertreterin von Zoellé. Früher war sie parlamentarische Mitarbeiterin von Ueberschlag, sitzt heute im Colmarer Parlament des Departements Haut-Rhin und ist für Zweisprachigkeit und internationale Beziehungen zuständig. Deshalb gehören grenzübergreifende Themen und Treffen bereits zu ihrem Aufgabenbereich. Mit Jahrgang 1961 gehört sie zur Generation, die mit dem Nachkriegsslogan «il est chic de parler français» aufgewachsen sein dürfte und kein Elsässisch mehr spricht.

Wie es auch weitergeht in Saint-Louis, für Basel beginnt eine neue Ära der Kooperation mit den französischen Nachbarn. Das 3er-Tram ist im Elsass nun vaterlos. Hoffentlich müssen wir es nicht schon bald landesintern gegen Bern verteidigen.