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Literatur Gudrun Pausewang

Sie brachte die Apokalypse in die Kinderzimmer

Stv. Chefredakteur
Gudrun Pausewang schuf so plastische Bilder, dass man sie nie mehr vergisst, schreibt Robin Alexander Gudrun Pausewang schuf so plastische Bilder, dass man sie nie mehr vergisst, schreibt Robin Alexander
Gudrun Pausewang schuf so plastische Bilder, dass man sie nie mehr vergisst, schreibt Robin Alexander
Quelle: Arne Dedert/dpa; Claudius Pflug
Die Schriftstellerin Gudrun Pausewang ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Sie hat Generationen junger Leser in Deutschland mit Romanen wie „Die Wolke“ geprägt. Das merkt man dem Land an.

Gudrun Pausewang, die jetzt im Alter von 91 Jahren gestorben ist, war Deutschlands erfolgreichste Schriftstellerin. Für diese Behauptung muss man weder auf die Millionenauflagen ihrer Bücher verweisen, noch auf Literaturpreise und Ehrungen.

Auf beides kam es der uneitlen Frau, die 1928 im Sudentenland geboren wurde und nach der Flucht in der hessischen Provinz heimisch wurde, nicht an. Pausewang wollte wirken. Und gewirkt hat sie, wie kein anderer Autor hierzulande nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Pausewang hat auch Bücher für Erwachsene geschrieben, auch fröhliche Bücher. Wofür sie bekannt wurde, was bleiben wird, sind ihre Werke, die sich an Jugendliche und an Kinder richten und düster sind, furchteinflößend, sogar apokalyptisch.

„Die letzten Kinder von Schewenborn“ zum Beispiel von 1983, „Die Wolke“ von 1987. Diese Bücher beschreiben, nein: sie malen aus, wie Deutschland untergeht – nach einem Atomkrieg oder nach einem Nuklearunfall.

Pausewang schuf so plastische Bildern von Strahlenschäden, dass man sie nie mehr vergisst: Von Haaren, die plötzlich büschelweise im Kamm hängen, bis zu dem Baby, das ohne Augen geboren wird. Der Grundton dieser Texte ist tiefste Hoffnungslosigkeit.

Die Vernichtung der Menschheit ist vorstellbar

Literarisch überforderte Pausewang niemanden, das wollte sie wohl auch nicht, es hätte ihrer Breitenwirkung nur im Weg gestanden. Denn ihr Anliegen war politisch, woraus sie nie einen Hehl machte: „Viele unter uns verdrängen diese Gefahr und weigern sich, darüber nachzudenken. Sie halten eine Vernichtung der Menschheit für unvorstellbar. Sie vorstellbar zu machen, habe ich versucht.“

Es ist ihr gelungen. Ihr Erfolg war spektakulär. Die genannten Titel wurden nicht nur Bestseller, sondern bald auch Pflichtlektüre in den Schulen. Als Experten aus dem Familienministerium Bedenken äußerten, fegte ein Sturm der Empörung in der veröffentlichten Meinung diese hinweg. Den deutschen Jugendbuchpreis gab es selbstverständlich, später auch das Bundesverdienstkreuz.

In den 80er-Jahren passte ihre Kritik an der Konsumgesellschaft, ja eigentlich an der ganzen, als oberflächlich verdammten Moderne zur damals sich verbreitenden Theorie des Club of Rome vom „Ende des Wachstums“, zur Friedensbewegung und zu den aufkommenden Grünen. Deren Ikone Petra Kelly nahm Pausewang-Texte auf Schallplatten auf.

Manche, die sich als Kinder nach Pausewang-Lektüre in den Schlaf geweint hatten, taten als Erwachsene ihren Erfolg später als drolliges Zeitgeist-Phänomen ab. Pausewangs bleischwere Apokalyptik sei doch in den 90ern weitgehend abgelöst worden vom Gegenteil – der unbeschwerter konsumierenden „Generation Golf“. Florian Illies, der Autor dieses Bestsellers, war im hessischen Schlitz tatsächlich Schüler Gudrun Pausewangs.

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Aber der Eindruck, die Zeit wäre über Pausewang hinweggegangen, trog. Heute ist sie viel aktueller als Illies. Ihre Bücher werden immer noch an Schulen gelesen, manche Schule trägt mittlerweile ihren Namen. 2006 kam „Die Wolke“ in die Kinos.

Aber auch wer seinen Kindern den Kinobesuch untersagte und ihre Bücher aus dem Haus räumte, konnte ihnen keine pausewangfreie Jugend schenken. In Deutschlands Schulen wird in ihrem Geist unterrichtet.

Ein Land in Angst

Das hat Folgen: Nach dem Atomunglück von Fukushima 2010 erfasste eine einzigartige Panik das Land, und Deutschland stieg aus der Atomenergie aus. Die Furcht vor dem atomaren Weltuntergang verlagerte sich anschließend auf die Angst vor den Folgen des Klimawandels.

Pausewang zu lehren, gilt immer noch als links, dabei stimmt das Gegenteil. Nichts war dieser Frau ferner als der historische Optimismus von Marxisten. Ihre Kritik an der Aufklärung war nicht dialektisch.

Fast verzweifelt rief der Filmkritiker Georg Seeßlen zum weithin gefeierten Kinostart der „Wolke“ aus: „Aber was ist mit dem Verstand? Wohin trägt uns das nach Vorschrift blutende Herz?“

Nein, Pausewang ist nur vordergründig ein Phänomen der Achtziger. Der Kern ihres Werkes und ihrer Weltsicht schloss an älteres an: Ihre Untergangsszenarien sind erkennbar inspiriert vom Zusammenbruch des dritten Reiches, den sie als Kinder einer nationalsozialistischen Familie als Zusammenbruch ihrer persönlichen Identität erlebt hatte.

Den Begriff des „atomaren Holocaust“ hat sie später nicht mehr verwendet. Ihr Appell an das radikale Umsteuern, an den Ausstieg aus Atomkraft oder Konsum oder Kapitalismus, ist im Kern Skepsis gegenüber der kleinteiligen Problemlösung in einer offenen Gesellschaft.

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Gudrun Pausewang wird in Deutschland noch lange gelesen werden.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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