Die Bibel nicht verwalten, sondern zum Leuchten bringen – zum Tod des Theologen Ulrich Luz

Das Neue Testament so erklären, dass es für die Gegenwart lebendig bleibt: Ulrich Luz hat der Theologie wichtige Impulse verliehen. Am Sonntag ist er 81-jährig gestorben.

Moisés Mayordomo
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Aus dem Dialog Ideen schöpfen: Das Gespräch über Konfessionsgrenzen hinaus war ein wichtiges Anliegen des Neutestamentlers Ulrich Luz. (Bild: Peter Feenstra)

Aus dem Dialog Ideen schöpfen: Das Gespräch über Konfessionsgrenzen hinaus war ein wichtiges Anliegen des Neutestamentlers Ulrich Luz. (Bild: Peter Feenstra)

In der Nacht vom 13. Oktober ist Ulrich Luz im Alter von 81 Jahren in Laupen verstorben. Die Theologische Fakultät der Universität Bern verliert in ihm einen innovativen, international angesehenen Forscher und einen engagierten Lehrer. Als ordentlicher Professor für Neues Testament hat Luz das Renommee der Fakultät über mehr als zwanzig Jahre gefördert und Generationen von Theologinnen und Theologen, Pfarrern und Pfarrerinnen nachhaltig geprägt. Eine Vielzahl von akademischen Ehrungen sind Zeichen für die breite Wirkung seiner Arbeit.

Ulrich Luz wurde 1938 in Männedorf geboren. Das Studium der evangelischen Theologie führte ihn von Zürich nach Göttingen und Basel. Die Assistenz bei Eduard Schweizer in Zürich bot ihm Gelegenheit zu Promotion und Habilitation mit einer vielfach rezipierten Arbeit zum Geschichtsverständnis des Paulus. Nach einer kurzen Zeit als Pfarrer in Zürich Seebach war er von 1969–1971 Gastdozent in Tokio. Von dort folgte er einem Ruf nach Göttingen und wechselte schliesslich an die Universität Bern, wo er bis zu seiner Emeritierung 2003 Neues Testament lehrte.

Dialog mit den Kirchen des Ostens

Luz’ Wirken als Neutestamentler war geprägt durch eine aussergewöhnliche Fähigkeit, aus dem wissenschaftlichen, menschlichen und religiösen Dialog neue Ideen zu schöpfen. Eine Vielzahl von Publikationen, von denen viele in andere Sprachen übersetzt worden sind, belegen sein Interesse etwa am christlich-jüdischen Dialog, an der japanischen Philosophie und Theologie, am Buddhismus, am ökumenischen Kirchengespräch, an der Pluralität von Bibelauslegungen oder an der orthodoxen Tradition.

Ein besonderes Anliegen von Ulrich Luz war der ökumenische Austausch besonders mit den Kirchen des Ostens. Bereits zu Studienzeiten ging er diesem Interesse unter grossem persönlichem Einsatz nach. Später nutzte er sein Amt als Präsident der internationalen Gesellschaft für neutestamentliche Studien dazu, ein Liaison Committee for Eastern Europe ins Leben zu rufen, das eine Anzahl Bibliotheken gefördert und viele Forschende in internationale Netzwerke eingebunden hat. Auch sein eigenes Haus wurde zur ersten Anlaufstelle für Nachwuchsforschende und Kollegen aus Osteuropa.

Ein Meilenstein für die Forschung ist sein vierbändiger Kommentar zum Matthäusevangelium. In ihm kulminiert ein beträchtlicher Teil seiner Forschung, Lehre und Veröffentlichungstätigkeit. Mit diesem Werk hat Luz nicht nur den Grundstein, sondern zugleich das unerreichte Modell einer wirkungsgeschichtlichen Auslegung biblischer Texte geliefert, wie sie für die von ihm mitbegründete und über lange Jahre betreute Reihe «Evangelisch-Katholischer Kommentar» konstitutiv war.

Die prägende Kraft der biblischen Texte

Bleibende Spuren hinterlässt Ulrich Luz auch als Mitherausgeber der «Werke aus dem Nachlass» von Albert Schweitzer und als langjähriger Herausgeber der Zeitschrift «Evangelische Theologie». Sein Spätwerk, die «Theologische Hermeneutik des Neuen Testaments», bringt diesen vielfältigen Werdegang in einem weiten Bogen, der von den Kirchenvätern über die Existenzhermeneutik Rudolf Bultmanns und befreiungstheologisch-feministische Ansätze bis zur Auseinandersetzung mit Fragen der Bildhermeneutik reicht, zu einem Abschluss.

Die Bedeutung der theologischen Exegese für das Leben der Kirche(n) in ihrer weltweiten Vielfalt war Luz ein grosses Anliegen. Mit dem Begriff der Wirkungsgeschichte hat er sich leidenschaftlich dafür eingesetzt, die prägende Kraft der biblischen Texte in einem möglichst weiten historischen Rahmen zu betrachten. Damit schrieb er der biblischen Exegese als Aufgabe ins Stammbuch, die Bibel nicht in der Vergangenheit archivarisch zu verwalten, sondern sie unter den veränderten Rahmenbedingungen in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft immer neu zum Leuchten zu bringen.

Moisés Mayordomo ist Professor für Neues Testament an der Universität Basel.