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Mord im Kleinen Tiergarten Familie des erschossenen Georgiers droht Abschiebung

Sollte die Familie des in Berlin erschossenen Georgiers abgeschoben werden, sehen Experten die Ex-Partnerin und Kinder des Mannes in Lebensgefahr. Politiker fordern ein Bleiberecht in Deutschland.
Tatort in Berlin: "Wir dachten, wir seien in Deutschland sicher"

Tatort in Berlin: "Wir dachten, wir seien in Deutschland sicher"

Foto: Fabrizio Bensch/ REUTERS

Zelimkhan Khangoshvili war auf dem Weg in die Moschee, als sich ihm im Kleinen Tiergarten in Berlin von hinten ein Fahrradfahrer näherte. Ein Schuss streckte Khangoshvili nieder, zweimal schoss der Täter ihm aus kurzer Distanz in den Kopf. Khangoshvili war sofort tot.

Die Tat zur Mittagszeit am 23. August versetzt die trauernden Hinterbliebenen des Opfers in Angst. "Wir dachten, wir seien in Deutschland sicher", sagt Manana T., Khangoshvilis frühere Partnerin; das Paar hat vier Kinder.

Wer ist verantwortlich für den Mord? Die Spuren führen nach Recherchen des SPIEGEL und der Investigativnetzwerke Bellingcat und The Insider nach Russland: Ein dortiger Geheimdienst könnte Khangoshvilis Ermordung angeordnet oder zumindest dabei geholfen haben.

T. fürchtet, dass sie und ihre Familie in ihrem Heimatland Georgien nicht mehr sicher sind. Trotzdem droht der Frau und ihren Kindern die Abschiebung aus Deutschland. Ihr Asylantrag wurde bislang abgelehnt, obwohl Manana T. von der Bedrohung in ihrem Heimatland berichtete.

Sie hat eine Duldung, die aktuell bis zum 30. November gilt. "Eine Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge steht aktuell aus", sagt Manana T.s Anwältin dem SPIEGEL. Zur Zeit bewerte die Behörde den Fall aufgrund der aktuellen Entwicklungen neu.

Russischer Geheimdienst soll 2006 einen Auftragskiller geschickt haben

Die Bedrohungslage beruht nicht nur auf der Schilderung der Frau. Ein ehemaliger hochrangiger Sicherheitsbeamter aus Georgien bestätigt die Gefahrenlage für die Familie. In einem Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt, schildert der Mann, dass "Menschen, die den georgischen Behörden bei der Bekämpfung des Terrorismus halfen, von russischen Diensten bedroht wurden, einschließlich der Familie von Zelimkhan Khangoshvili und der seines Bruders Zurab Khangoshvili". Der georgische Beamte verschickte das Schreiben am 20. August - drei Tage vor dem Mord an Khangoshvili.

Als Beispiel für die Bedrohung der Angehörigen nennt der Verfasser einen Fall aus dem Jahr 2006: Damals hätten georgische Sicherheitsbehörden einen Auftragskiller festsetzen können, der Zelimkhan Khangoshvili ermorden sollte. Als Auftraggeber soll der Mann den russischen Inlandsgeheimdienst FSB genannt haben.

Der frühere Sicherheitsbeamte kommt in seinem Brief zu dem Schluss, dass das Leben der Familie bei einer Abschiebung nach Georgien auch heute noch in "großer Gefahr" sei. Ehemalige und aktive Nachrichtendienstler haben dem SPIEGEL bestätigt, dass es die Vorgänge um den mutmaßlich vom FSB beauftragten Killer gegeben haben soll.

Bundestagsabgeordnete fordern Bleiberecht für die Familie

Das Schicksal von Manana T. und ihren Kindern beschäftigt nun auch die deutsche Politik. "Es liegt auf der Hand, dass der Familie konkrete Lebensgefahr droht", sagt der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch dem SPIEGEL. Der Innenexperte fordert ein deutliches Signal: "Unser Asylrecht soll genau solche Menschen schützen, daher ist der Fall für mich klar."

Der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Bijan Djir-Sarai, sieht in der heiklen Angelegenheit auch Außenminister Heiko Maas (SPD) in der Pflicht. "Bei einer Rückkehr nach Georgien ist die Sicherheit der Familie definitiv nicht gewährleistet", sagte Djir-Sarai dem SPIEGEL. Das Außenministerium "sollte sich in diesem speziellen Fall für einen unbefristeten Status einsetzen".

Demonstration vor der deutschen Botschaft in Tiflis: Mordfall zieht internationale Kreise

Demonstration vor der deutschen Botschaft in Tiflis: Mordfall zieht internationale Kreise

Foto: ZURAB KURTSIKIDZE/EPA-EFE/REX

Auch Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Bundestag, sieht "Deutschland ein Stück in der Verantwortung, dass die Hinterbliebenen des Opfers nicht unnötig in Gefahr geraten." Eine verlängerte Aufenthaltsberechtigung für Manana T. sei zudem von erheblichem öffentlichen Interesse, weil sie in dem Mordfall eine wichtige Zeugin sein könnte, sagte Mihalic dem SPIEGEL.

"Dieser Fall muss restlos geklärt werden, denn es kann nicht sein, dass mutmaßliche Auftragsmorde in Deutschland nicht mit Nachdruck ausermittelt werden. Das wäre ein ganz schlechtes Signal auch mit Blick auf die innere Sicherheit."

Khangoshvili war eine rätselhafte Figur. Er kämpfte im zweiten Tschetschenienkrieg Anfang des Jahrtausends gegen russische Truppen. Später arbeitete er jahrelang als Informant und Vermittler für georgische und ukrainische Antiterrorbehörden. Auch US-Dienste profitierten von seinen Kontakten in die schwer zugängliche Kaukasusregion.

Seine Arbeit überschattete das Leben der Familie. Ausführlich erzählte Manana T. dem SPIEGEL, wie die Familie immer wieder ins Visier von Gegnern geriet. 2006, so berichtet sie, sei ihr Vater entführt worden. Die Täter seien auf der Suche nach ihrem Mann gewesen. Aus Angst zog die Familie daraufhin aus einer abgelegenen Bergregion an der georgisch-russischen Grenze in die Hauptstadt Tiflis. Die dortigen Behörden halfen, die Familie in Sicherheit zu bringen.

"Glaubt man uns jetzt?"

Manana T. arbeitete als Ärztin in einem Krankenhaus, ihre Kinder gingen zur Schule. 2015 wurde ein Anschlag auf Zelimkhan Khangoshvili verübt - mehrere Schüsse trafen ihn. Bis heute wurde niemand in diesem Zusammenhang verhaftet oder der Fall durch georgische Behörden ordentlich ausermittelt. Khangoshvili floh in die Ukraine und dann nach Deutschland.

Auch Manana T. fühlte sich in Georgien nicht mehr sicher. Als Polen T. und ihren vier Kindern ein Zweiwochenvisum ausstellte, flog sie dorthin und beantragte Asyl. Nach Ablehnung ihrer Gesuche floh T. im Juli 2017 nach Deutschland. Sie lebte zuerst in Eisenhüttenstadt, wo sie ihren Mann wieder traf. Das Paar fand in Deutschland nicht mehr zueinander, blieb aber in Kontakt. Bis zu seiner Ermordung im August, sagt T., habe Khangoshvili sich regelmäßig um die vier Kinder gekümmert.

Aktuell sind T. und ihre Kinder in einer Dreizimmerwohnung in einem brandenburgischen Dorf untergebracht. Nach einem Sprachkurs könnte die Medizinerin bald wieder als Ärztin arbeiten. Ihre Tochter hat vor Kurzem die zehnte Klasse abgeschlossen und beginnt eine Ausbildung in der Verwaltung.

T. hofft, dass Deutschland nach der Ermordung ihres Mannes nun "Menschlichkeit zeigt". "Ich weiß nicht, was mit uns passiert, wenn wir zurückmüssen", sagt T. "Wir brauchen Hilfe und Schutz." Vor zwei Jahren habe man ihr nicht geglaubt, dass ihre Familie in Gefahr sei. "Aber nun ist passiert, was wir befürchtet haben. Glaubt man uns jetzt?"