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Vorverurteilung durch Algorithmen Liebe Leserin, lieber Leser,

Foto: SPIEGEL ONLINE

mit dem Justiziellen Terrorregister entsteht gerade eine europaweite Datenbank zu Terroristen und Terrorverdächtigen, die Ermittlern die Fahndung erleichtern soll. Und weltweit experimentieren Sicherheitskräfte mit Scoring-Systemen, die Terrorverdächtige kategorisieren und die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der sie künftig tatsächlich zuschlagen.

Es sind nur zwei von zahlreichen neuen Instrumenten, mit denen weltweit Länder Terrorismus bekämpfen wollen. Die Tools gegen den Terror sind allerdings umstritten - und die Folgen bei Irrtümern können drastisch sein.

In Deutschland setzen die Sicherheitsbehörden etwa auf die Risikobewertungs-Software Radar-iTE, um die akute Gefahr einzuschätzen, die von islamistischen Terrorverdächtigen ausgeht - ob sich das Tool auch auf den rechtsextremistischen Bereich übertragen lässt, wird derzeit geprüft.

Risikoberechnung: Software soll vor potenziellen Terroristen warnen

Risikoberechnung: Software soll vor potenziellen Terroristen warnen

Foto: David Ebener / DPA

"Radar-iTE ist ein Element einer verbesserten und bundesweit standardisierten Gefährderbewertung und Maßnahmenpriorisierung", heißt es auf Anfrage sperrig vom Bundeskriminalamt (BKA). Derzeit seien "etwa 670 Personen in Bearbeitung mit dem Risikobewertungsinstrument" - wobei nicht alle dieser Personen "formell als Gefährder und/oder Relevante Person eingestuft" seien. Über Ergebnisse und Schlussfolgerungen könne das BKA aber "aus polizeitaktischen bzw. polizeistrategischen Gründen keine Auskunft erteilen".

Ein abstraktes Risiko - mit Folgen

Bei ihrem Vortrag "Ein Jahr neue Polizeigesetze - und was nun?" bei der Netzpolitik-Konferenz  am Freitag hat Netzpolitik.org-Autorin Marie Bröckling davor gewarnt, dass mit der "Gefährder"-Debatte in Deutschland eine neue Kategorie von Personen geschaffen worden sei, denen ein "abstraktes Risiko" zugerechnet werde - sie würden verurteilt, bevor sie eine Straftat begangen hätten.

Welche Folgen solche Zuschreibungen haben können, zeigt sich in den USA: Vor Kurzem hat ein Bundesrichter in den USA entschieden, dass die auch als "Terror Watchlist" bekannte Terrorist-Screening-Datenbank (TSDB) gegen die Verfassungsrechte von US-Bürgern verstößt  - ein zentrales Werkzeug von FBI und Heimatschutzministerium mit mehr als einer Million Einträgen. In der Urteilsbegründung heißt es, "das Risiko einer irrtümlichen Entziehung der Reise- und Reputationsfreiheit" sei hoch. Gegen als "bekannte und mutmaßliche Terroristen" eingestufte Personen wurden jahrelang Einreisesperren verhängt, sie wurden speziell überwacht und waren zum Teil stundenlangen Befragungen ausgesetzt.

Wenn Daten zu Terrorverdächtigen über Behörden sowie Landesgrenzen hinweg übermittelt werden, wird ihr Entstehungskontext zunehmend verschleiert. Mit dem Terrorist Screening Center (TSC) des FBI tauscht etwa auch das Bundeskriminalamt im Rahmen eines Pilotprojekts Daten zu "Personen mit Terrorismusbezug" aus.

Seltsame Digitalwelt: Privatsphäre auf Tinder

Dating-Apps wie Tinder oder OkCupid geben ein Stimmungsbild ab, wie ernst es viele Nutzer mit Privatsphäre und Datenschutz nehmen. Antwort: eher nicht so ernst. Ich bin immer wieder entsetzt, wie viele Nutzer und Nutzerinnen bei solchen Apps ihren echten Namen, Beruf und andere Indizien angeben, mit denen sie sich leicht ergoogeln lassen. Am besten noch mit umfangreicher Bildergalerie und verlinktem Instagram-Profil - dabei ist das Risiko, von unliebsamen Möchtegern-Lovern auch auf anderen Kanälen gestalkt zu werden , besonders für Frauen ziemlich hoch.


App der Woche: "Bastack Ball"
getestet von Tobias Kirchner

Foto: Woordy Entertainment

"Bastack Ball" ist ein typisches Spiel fürs Smartphone: Eine simple Idee trifft auf eine immer größer werdende Herausforderung. Ein Basketball muss im richtigen Moment zum Springen gebracht werden, während immer wieder von rechts Plattformen ins Bild kommen. Der Ball soll natürlich auf diesen landen, und so entsteht ein langsam größer werdender Turm. Das ist eigentlich auch schon alles. Was am Anfang noch leicht ist, wird im Spielverlauf schwieriger. Die Jagd nach der perfekten Kombi sorgt für Motivation und schnellen Spielspaß.

Gratis, von Woordy Entertainment, ohne In-App-Käufe: iOS , Android 


Fremdlink: Drei Tipps aus anderen Medien

  • "The Atlas of Surveillance " (Englisch, 20 Leseminuten): In Städten entlang der US-Grenze zu Mexiko wird mit Drohnen, Bodycams und Kfz-Scannern aufgerüstet. Die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) und Journalismus-Studenten der University of Nevada haben einen Atlas erstellt, der die umfassende Überwachung sichtbar macht - die Daten lassen sich auch herunterladen.
  • "So werden Frauen belästigt, die auf Facebook ein Zimmer suchen " (vier Leseminuten): Der Wohnungsmarkt ist so angespannt, dass Studentinnen sich in Facebook-Gruppen als Mitbewohnerinnen anpreisen wie bei einem Kontaktanzeigen-Wettbewerb, berichtet "Vice". Doch statt Wohnungsangeboten erhalten viele Anfragen für Dates, Beleidigungen und sexuelle Belästigung.

  • "Robot priests can bless you, advise you, and even perform your funeral " (Englisch, sechs Leseminuten)
    Von Robo-Priestern über Bots mit Heiligenschein bis hin zu digitalen Helfern im buddhistischen Tempel: "Vox" gibt einen spannenden Überblick, wo und in welcher Form Roboter und künstliche Intelligenz bereits Einzug in Kirchen, Tempel und Glauben Einzug gehalten haben - und wie künstliche Intelligenz selbst zum Gegenstand von quasireligiöser Verehrung wird.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche!

Sonja Peteranderl

Verlagsangebot

Foto: rawpixel on Unsplash


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