Oswald Spengler und die Feuchtgebiete

Zwar läuft die Kulturindustrie auf Hochtouren, aber immer öfter im Leerlauf

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Kulturkritik und Kulturpessimismus - wie scharf lässt sich das trennen? Und wie verlaufen eigentlich die neuen gesellschaftlichen Schützengräben - zwischen Festnetztelefonierern und Smartphonejunkis? Eine mediologische Geländeuntersuchung zwischen Inhalt und Form in fünf Folgen zu dem um sich greifenden Gefühl der Belanglosigkeit von Kulturprodukten, das man auch bemerkt, wenn nur einmal die Begriffe "Kultur" und "belanglos" googelt.

Das ist jetzt ganz dünnes Eis. Eigentlich steht man damit schon im Wasser. Oder in den Fußstapfen von Oswald Spengler. Oder womöglich neben der AfD. Zumindest mit der These eins. Aber ganz langsam und von vorne an.

Gefühle sind - wie sollte es anders sein - subjektiv. Hier geht es um das Problem, die eigene Subjektivität in Beziehung zu setzen mit dem objektiven Rest, also der Gesellschaft. Weil beides sich gleichzeitig ändert, ist es nicht einfach zu urteilen. Woher kommt es denn nun, dieses Gefühl? Dass sich bei der Begegnung mit aktuellen kulturellen Produkten in Film oder Literatur vor allem eines einstellt: die Anmutung von Belanglosigkeit. Begleitet von dem Empfinden eines Verlustes: Dass es Dinge gibt (gab), die wichtig sind.

Man muss nicht schon wieder Guy Debords "Gesellschaft des Spektakels" (1967) zitieren, um auf ein seltsames gesellschaftliches Phänomen hinzuweisen. Es gibt ein immer Mehr an Büchern, Filmen, Comedians, Talkshows und ein immer Weniger an echter Berührung. Das ist so, als würde man langsam vor dem Tisch verhungern, der sich unter der Fülle an Speisen durchbiegt.

Gefühle entstehen, wenn sich die Dinge ändern: "Emotionen werden erzeugt, wenn wir von dem Reizniveau, an das wir uns mit der Zeit gewöhnt haben, abweichen", schreibt der Philosophieprofessor Aaron Ben Ze'ev. Und wenn wir uns daran halten, das eigene Gefühl unter die Beobachtung des Intellekts zu stellen, also reflexiv damit umzugehen, bekommen wir auch vielleicht heraus, was daran über das Subjektive hinausgehend das Gesellschaftliche seinen Anteil hat.

Hypothese eins: Zeitgenössische Kulturprodukte langweilen, weil es nicht wirklich Neues (Wahrhaftiges) gibt

Das ist natürlich schon starker Tobak, da es angesichts der Vielzahl an Buchneuerscheinungen und produzierten Filmen gar nicht möglich ist, einen Überblick zu behalten, geschweige denn wirklich Kenntnis zu haben. Und hochnäsig gegenüber all den Kreativen, die sich abmühen. Und man ist dann ganz schnell beim Spenglerschen Untergang des Abendlandes.

Der ab 1910 von einem leistungslosen Vermögen (Erbe) lebende Lehrer wähnte sich ja in einer Untergangsphase der Kultur und sah überall nur Niedergang: im Theater, in der Literatur, in der Musik, eben in dem "ganzen Stilplunder des heutigen Kunstgewerbes samt Malerei und Architektur". Wohin Oswald Spengler (1880 - 1936) auch blickte, sah er höchstens Mittelmaß, ergriff ihn Ekel. Die Zivilisation setze "anstelle des Denkertums früher Zeiten die intellektuelle männliche Prostitution in Rede und Schrift", der Mensch der Zivilisation sei "der formlos durch alle Großstädte flutende Pöbel", die "wurzellose städtische Masse", der "moderne Zeitungsleser".

Spengler ist konsequenter Kulturpessimist, es gibt keinen Ausweg, keine Alternative zum Untergang. "Optimismus ist Feigheit", schreibt er in "Der Mensch und die Technik" (1931). Und: "Wir sind in diese Zeit geboren und müssen tapfer den Weg zu Ende gehen, der uns bestimmt ist. Es gibt keinen anderen." Spenglers Biograph Anton Mirko Koktanek weist darauf hin, dass Spenglers verengter Blick alles Neue seiner Zeit strikt ignoriert, von der Literatur (Stefan Zweig) über die Malerei (Kandinsky) bis zur Musik (Schostakowitsch). Koktanek: "In schmerzlichem Narzißmus spiegelt er sich nur in sich selbst, hört nur das Echo aus einer öden Welt."

Das wollen wir natürlich nicht wiederholen und deshalb die zweite These.

These 2: Es gibt zwar Neues, doch dies bleibt im Verborgenen, da es darüber keinen gesellschaftlichen Diskurs gibt

Damit richtet sich der Blick auf die Institutionen dieses Diskurses wie Film-, Literatur- oder Theaterkritiken. Man kann - was noch ausführlicher zu zeigen sein wird - schon vorab sagen, dass sich diese Diskurse ebenso wie ihre Institutionen (die gedruckte Zeitung) in der Krise befinden, allen voran die Filmkritik. Und auch hier wieder das Problem, den Zusammenhang zwischen zwei Variablen zu sehen: Ist die Krise der Kritik schlicht eine Krise des kritisierten Gegenstandes oder einfach selbstgemacht?

Aber stimmt das denn überhaupt mit der Krise? Handelt es sich nicht vielmehr um einen Strukturwandel der Öffentlichkeit, wie Thorsten Jantscheck, Kulturredakteur beim Deutschlandradio, meint: "Literatur wird viel stärker als noch vor 20 Jahren als zeitdiagnostisches Medium gelesen, jenseits überzeitlicher Geltungsansprüche oder emphatischer Wahrheitsbegriffe, die von der Gutenberg- zur Adornogalaxis geführt haben, in welcher einem Celan-Gedicht der Sinnzusammenhang des Großen und Ganzen abzulauschen war. Und in der Schriftsteller in den Medien als großintellektuelle Deutungsinstanzen par excellence auftraten, egal ob es um den Nato-Doppelbeschluss oder um Naturkatastrophen ging."

Zeitdiagnostisches Medium? Es ist schon auch schwierig, nur allein mit den "Feuchtgebieten" (Charlotte Roche) durch das Leben zu kommen. Jantscheck singt hier das altbekannte Lied der Postmoderne, wonach die hergebrachten "Narrative" mit Wahrheitsanspruch sich verflüchtigt hätten, jetzt geht alles und steht alles gleichberechtigt nebeneinander - kosmopolitische taz-Leser nicken hier zustimmen und klappen den Laptop zu, während AfD-Wähler noch ein paar Hass-Postings in die Tasten hämmern.

These 3: Das Neue kommt nicht in Gestalt der Inhalte, sondern in der Form daher

Das ist dann ganz McLuhan: Das Medium ist die Botschaft. Die Kätzchenfotos sind nett wie immer, aber jetzt auch auf Instagram oder was sonst so gerade aus den Tiefen des Internets auftaucht. Das, was wirklich zählt, nämlich die Begegnung mit dem Anderen, dem "Du" von Martin Buber, wird ersetzt und verhüllt durch die Mechanik der Algorithmen.

Es ist ihr Leerlauf, der eine unendliche Zahl an Bildern liefert und damit die tiefe Langeweile erzeugt. Bei dieser These sind wir Mediologen ganz im Sinne Regis Debrays und fragen danach, was die Form für den Inhalt bedeutet.

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