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Zum Tod von Johann Kresnik Er wusste wohin mit der Wut

"Wir brauchen eine Utopie, und für die mache ich Theater": Regisseur Johann Kresnik inszenierte sowohl mit dem Eifer der Wut als auch der Korrektheit. Wirklich versöhnt mit der Welt hat er sich nie. Ein Nachruf.
Johann Kresnik

Johann Kresnik

Foto: Martin Schutt/ DPA

Der Tänzer und Regisseur Johann Kresnik war die meiste Zeit seines Lebens bekannt als grimmiger Kämpfer, der stets deutlich und manchmal staunenswert ordinär seine Meinung kundtat. Er hat Geschichten voller Gewalt und Mord, voller Blut und Fäkalien erzählt. Und er war ein bisschen berüchtigt nicht bloß für die ultrastarken, gemeinen, verstörenden Bilder, die seinem Kopf entsprangen, sondern auch für einen harschen Umgangston in der Inszenierungsarbeit, in dem das Wort "Arschloch" durchaus vorkam.

Insofern fand ich es überraschend, mit welcher Freundlichkeit und Sanftmut Kresnik im ausgeruhten Gespräch aufzutreten verstand. Ich kannte ihn nicht persönlich, sondern nur viele seiner Aufführungen und seinen Ruf, als wir im Jahr 2008 am Tisch eines Cafés in Bonn für ein Interview beieinandersaßen. Mit ruhiger Stimme beschwerte er sich darüber, dass er von den Tanz- und Theaterkritikern häufig "Berserker" genannt werde. "Mir ist blinde Wut völlig fremd", sagte er. Dann sah er mich mit dem für ihn typischen festen Blick an und fügte lächelnd hinzu: "Meine Wut ist immer konkret."

Eine Darstellerin in "Ulrike Meinhof" hängte er am Fleischerhaken auf

Natürlich hat Johann Kresnik an diesem Tag bloß ein ausgiebig erprobtes Arbeits- und Lebensmotto zum tausendsten Mal ausgesprochen. Sowohl die Wut als auch die Konkretheit, mit der er seine Anliegen auf die Bühne brachte, machten die Kraft seiner Inszenierungen aus - und sie waren manchmal auch ihr Fluch.

An Fleischerhaken aufgehängt ließ er eine der Darstellerinnen in "Ulrike Meinhof" sterben, als er 1990 der linken Vordenkerin und RAF-Mittäterin in Bremen einen Tanztheater-Abend widmete, der bis heute vielen als Kresniks Meisterwerk gilt. Den "König Lear" sperrte der Regisseur Kresnik in seiner Adaption des Shakespearestücks 1991 gleich in ein Leichenschauhaus. Für die Malerin Frida Kahlo nutzte er in seiner Huldigung 1992 ein blutrotes Bett als zentrale Metapher, um von einer brutal eingesperrten Existenz zu erzählen.

Seinen Sturkopf verdankte der Künstlermensch Kresnik vermutlich der Kärntner Bauernwelt, in die er 1939 hineingeboren wurde. Drei Jahre war er alt, als Partisanen seinen Vater erschossen, der als Nazi-Kollaborateur galt. Kresnik wurde katholisch erzogen und bald zum Atheisten. 1957 trat er der Kommunistischen Partei Österreichs bei, der sein Stiefvater schon länger angehörte. Nach der Schule begann er eine Lehre als Werkzeugmacher, trat im Grazer Theater ein paarmal als Statist auf und machte sich nach einer Tanzausbildung nach Bremen auf. Dort änderte er seinen Vornamen für einige Jahre in Hans, arbeitete erst als Tänzer und von 1967 an auch als Regisseur. Als Vorlage für seine erste Bremer Choreographie nutzte er Texte von Schizophrenen.

1968 als eine Art Erweckung

Der Aufruhr des Jahres 1968, die Studentenproteste gegen die verkrustete deutsche Bürgerwelt und gegen den Krieg in Vietnam hat Kresnik öfter als eine Art Erweckung beschrieben, die seine Arbeit prägte. Unter dem Schlachtruf "Ballett kann kämpfen" entwickelte er in Bremen und Heidelberg ein stark auf Handlung fixiertes Tanztheater, das bald als Ergänzung und Gegenbild zu jenem einigermaßen revolutionären Stil gepriesen wurde, den Pina Bausch in Wuppertal etabliert hat.

Kresniks von ihm selbst so getauftes "choreographisches Theater" erzählte von den Schrecken kleinster Machtstrukturen ("Familiendialog"), vom Krebs ("Mars"), vom Leiden und der tückischen Strahlkraft großer Künstler ("Pasolini", "Sylvia Plath"), aber immer vor allem von der empörenden Ungerechtigkeit der herrschenden Verhältnisse. Im Jahr 1990 schrieb die Kritikerin Renate Klett über ihn im SPIEGEL: "Er ist, was es heute eigentlich nicht mehr gibt: ein Künstler mit Wut im Bauch, ein Berserker mit Aggressionslust und blutendem Herzen: Johann Kresnik, der letzte politische Kämpfer des deutschen Theaters."

Es war zugleich gerecht und eine Ironie der Theatergeschichte, dass Frank Castorf im Jahr 1993 den Regisseur Kresnik an die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz verpflichtete. Nach dem Berliner Einstand mit der schon berühmten "Ulrike Meinhof" zeigte Kresnik an der Volksbühne unter anderem "Rosa Luxemburg - Rote Rosen für Dich", ein Ernst-Jünger-Stück und ein "Gastmahl der Liebe" nach Pasolini. Über den Fall der Mauer und den Untergang der DDR sagte er: "Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass der Sozialismus für immer aus unserem Denken verschwunden sein soll. Mit dieser Vorstellung kann ich nicht leben. Wir brauchen eine Utopie, und für die mache ich Theater."

"Ich kann jederzeit ein Stück machen. Selbst aus einer deutschen Klorolle."

Gegen das vitale Gegenwartstheater, das Regisseure wie Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, René Pollesch und Frank Castorf an der Volksbühne etablierten, sah Kresniks Aufstapeln immer neuer Bild-Einfälle allerdings oft ein bisschen altmodisch aus. Nach dem allmählich auströpfelnden Volksbühnen-Engagement gelang Kresnik 1998 mit dem Werner-Fritsch-Stück "Allerseelen" in Hamburg ein später Geniestreich. Er ließ sich für ein paar Jahre in Bonn engagieren, zürnte gegen die Spießigkeit der dortigen Kulturpolitik und reiste dann als Regisseur durch die Welt.

Wie viele als Kunsterneuerer Angetretene und dann in den etablierten Institutionen erfolgreiche Menschen wurde Kresnik mit allerlei Preisen geehrt. Wirklich versöhnt mit der Welt hat er sich nie. Gegen alle Widerstände werde er weiter als Regisseur arbeiten, hat Kresnik mir 2008 bei unserem Gespräch in Bonn gesagt. "Ich kann jederzeit ein Stück machen. Selbst aus einer deutschen Klorolle." Er schwieg ein paar Sekunden, was ein bisschen kindisch wirkte. "Weil ich damit Deutschland erklären kann. Wie beschissen hier vieles ist!"