Zum Inhalt springen

Proteste gegen geplante Urheberrechtsreform Europapolitiker von E-Mail-Flut überrascht

Zumindest online ist der Protest gegen Teile der geplanten EU-Urheberrechtsreform stark. Nutzer versuchen, Abgeordneten das Versprechen einer Gegenstimme abzuringen - mit Verweis auf die Europawahl.

Ein Video über die geplante Urheberrechtsreform, das über den Twitter-Account des Europäischen Parlaments verbreitet wurde, hat diese Woche zu ungewöhnlich vielen Reaktionen geführt, jedenfalls in Deutschland.

1300 Antworten bekam die deutsche Version des Tweets , der auch in anderen Sprachen über die Accounts der jeweiligen Länder verbreitet wurde. Zur Einordnung: Alle anderen deutschen Tweets des EU-Parlaments aus dem Februar hatten zwischen null und 118 Antworten.

In diesem Fall dürfte es die einseitige Darstellung der Folgen von Artikel 13 der Reform gewesen sein, die so viele Menschen dazu veranlasste, den Tweet zu kommentieren. Der Artikel würde Plattformbetreiber wie YouTube direkt haftbar für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer machen. Inhalte, für die sie vom jeweiligen Rechteinhaber keine Lizenz bekommen, müssten sie vor dem Hochladen durch ihre Nutzer identifizieren und blockieren (mehr zu den absehbaren Problemen bei der Umsetzung dieser Vorgaben steht hier).

Aber die EU-Parlamentarier, die Ende März final über die Reform abstimmen sollen, bekommen auch auf anderen Kanälen mit, dass es unter ihren Wählern reichlich Widerstand gibt - und nicht erst seit dieser Woche.

11.000 E-Mails zum Thema

Der Abgeordnete Sven Giegold von den Grünen etwa sagte der Nachrichtenagentur dpa, er habe mittlerweile rund 11.000 E-Mails zu dem Thema bekommen, fast die Hälfte davon auf Deutsch. Dazu kamen zum Beispiel Nachrichten auf Englisch, Spanisch oder Französisch. Zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP, das vor einigen Jahren für heftigen Protest in Teilen der Bevölkerung gesorgt hatte, hatte er nach eigenen Angaben gut 3000 Mails erhalten. Gegen TTIP waren allerdings auch Zehntausende auf die Straße gegangen.

Diese Größenordnung hat der Offline-Protest gegen die Urheberrechtsreform noch nicht erreicht. Die bisherigen, spontanen Demonstrationen in Köln hatten allenfalls vierstellige Teilnehmerzahlen. Am kommenden Samstag soll es in Berlin den nächsten Protest geben, am 23. März wird dann in mehreren europäischen (bisher aber weit überwiegend deutschen) Städten demonstriert.

"Noch nie gesehen, dass sich junge Leute so engagieren"

Auch die SPD-Abgeordnete Martina Werner sagte, sie habe unzählige E-Mails zur Reform erhalten. Artikel 13 sei im anlaufenden Wahlkampf das ganz große Thema für Leute unter 30. "Ich habe noch nie gesehen, dass sich junge Leute so engagieren", sagte die Energieexpertin. Die vielen E-Mails, die sie erreichten, wirkten nicht wie Massensendungen. Vielmehr hätten sie die jungen Leute offenbar selbst verfasst. Für eine Antwort von Werner bedankten sich viele von ihnen.

Axel Voss (CDU), der zuständige Berichterstatter im Parlament und wichtigste Befürworter nicht zuletzt von Artikel 13, kritisiert allerdings den Umgangston: "Die Schärfe der Argumentation stellt alles bisher da gewesene aus vielen Jahren EU-Gesetzgebung in den Schatten", sagte er. In einem Interview  hatte er zuletzt beispielhaft genannt, wie er angegriffen und bedroht wird. Manche wünschten ihm und seiner Familie demnach sogar den Tod.

Wer sich nicht sicher ist, wie er Abgeordnete am besten anspricht, bekommt unter anderem vom SPD-nahen Verein D64 eine Formulierungshilfe. Auf BotBrief.eu  ist ein Musterbrief zu finden, der sich individuell anpassen lässt.

"Wir werden nur Politiker*innen wählen, die gegen Artikel 13 stimmen"

Zusätzlichen Druck übt die Kampagne "Pledge 2019"  aus. Mehrere Bürgerrechtsorganisationen, darunter der Chaos Computer Club und die Digitale Gesellschaft, rufen Bürger dazu auf, von ihren EU-Abgeordneten das Versprechen einzufordern, im Plenum Artikel 13 abzulehnen.

Die Ansage dazu ist auf die im Mai anstehende Europawahl gemünzt und lautet: "Wir werden nur Politiker*innen wählen, die gegen Artikel 13 stimmen". Bisher haben 67 Abgeordnete (von insgesamt 751) das Versprechen abgegeben.

Auch die Befürworter der Reform und von Artikel 13 machen weiter öffentlichen Druck. Unter anderem die Gema, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, die Gewerkschaft Verdi und der Deutsche Musikverleger-Verband fordern die Abgeordneten auf, für die neue Urheberrechtsrichtlinie zu stimmen. Sie und weitere Organisationen sind in der "Initiative Urheberrecht" versammelt.

Sie nimmt für sich Anspruch, "Hunderttausende" Künstler, Kreative, Journalisten und Unternehmen zu vertreten und appelliert in einem offenen Brief "an die Mitglieder des Europäischen Parlaments: Stimmen Sie der Richtlinie zu".

Außerdem veröffentlichten am Freitag 49 Chefredakteure deutscher Zeitungen einen Appell  an die Abgeordneten, in dem es heißt: "Es ist höchste Zeit, diese wichtige Richtlinie zu verabschieden und Klarheit zu schaffen".

pbe