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Justiz-Tagung So geht es weiter mit den Football Leaks

Staatsanwälte aus zehn EU-Staaten trafen sich in Den Haag, um die Ermittlungen rund um die Football Leaks zu koordinieren. Die mögliche Auslieferung des Whistleblowers Rui Pinto nach Portugal könnte ihre Ziele gefährden.
Real Madrid im vergangenen Jahr

Real Madrid im vergangenen Jahr

Foto: PAUL HANNA/ REUTERS

In einem Konferenzzimmer, tief im Bauch des Eurojust-Gebäudes, saßen am Dienstag sechs Ermittler und berieten über das größte Datenleck der Geschichte. Über sechs Stunden hatten sie zuvor im niederländischen Den Haag miteinander debattiert und sich die Köpfe über die großen Fragen der internationalen Rechtsprechung zerbrochen. Es ging um den Fall Football Leaks.

"Wir haben bereits 2016 eine Voruntersuchung im Zuge der Football Leaks begonnen", erklärte der französische Staatsanwalt Jean-Yves Lourgoilloux, tätig für das Parquet National Financier (PNF), eine auf Finanzbetrügereien spezialisierte Behörde - und durchaus bekannt für seine Härten bei der Aufklärung von Steuerbetrug. Die Ermittlungen haben einige konkrete Anhaltspunkte für Finanzverbrechen im Fußball, insbesondere rund um die Beraterszene ergeben.

Lourgoilloux und seine französischen Kollegen traten deshalb mit der Quelle von Football Leaks in Kontakt: Rui Pinto wollte zunächst nur anonym mit den Ermittlern kooperieren, er nannte sich John. John war auch die Quelle des SPIEGEL und lieferte ihm seit Anfang 2016 über 70 Millionen Dokumente. Der SPIEGEL teilte das Material mit dem Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations. So entstanden in den vergangenen drei Jahren über 800 Enthüllungsartikel im Fußball.

Football Leaks

Football Leaks

Foto: Rafael Buschmann

"Die Quelle hinter den Football Leaks hat sich an uns gewandt. Für uns war es wichtig, an die Originaldokumente zu kommen", sagte Lourgilloux. Die französischen Ermittler tauschten sich mit John monatelang aus, sie überlegten gemeinsam, wie sie ihre Zusammenarbeit intensivieren könnten, ohne den Informanten zu beschädigen. Zudem, so Lourgoilloux, stellten die Franzosen in den vergangenen zwei Jahren mehrere Rechtshilfeersuche an andere europäische Ermittlungsbehörden, um die Voruntersuchung voranzutreiben.

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Gemeinsam mit dem französischen Anwalt William Bourdon war Pinto im vergangenen November nach Paris gereist und sagte dort vor den französischen Staatsanwälten aus. Ein Zeugenschutzprogramm für ihn wurde diskutiert, seine Gefahrensituation wurde als bedrohlich eingestuft. Pinto erklärte sich bereit, mit den französischen Behörden zu kooperieren. "Wir haben ungefähr zwölf Millionen Dokumente von ihm erhalten", sagte Lourgilloux.

Der Staatsanwalt beschrieb, dass die Ermittler in den vergangenen Wochen daran arbeiteten, die Daten durchsuchbar zu machen. "Seit etwa einer Woche haben wir Zugang zu dem Material. Wir haben eine Stichwortliste erstellt und bemerkt, dass es für uns zahlreiche interessante Treffer gibt", sagte Lourgoilloux.

Bereits im Zuge der Voruntersuchung haben die Ermittler die Straftatbestände Geldwäsche, Hehlerei und gemeinsamen Betrug ausfindig gemacht. "Wir haben in den Daten zudem erkannt, dass es viele Überschneidungen mit anderen europäischen Ländern gibt", sagte Lourgoilloux.

Auch Deutschland soll Interesse am Datenmaterial haben

Er initiierte gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Eric Russo ein Eurojust-Meeting. Eurojust koordiniert europäische Ermittlungen auf der Ebene der Staatsanwaltschaften und erlaubt so den einzelnen Behörden, sich untereinander besser abzusprechen und sich nicht in ihrer Arbeit zu behindern. Zehn europäische Staaten haben mittlerweile ihr Interesse an dem Datenmaterial angemeldet. Darunter nach Informationen des SPIEGEL auch Deutschland. "Wir müssen es umfassend auswerten", sagte Lourgoilloux.

Eurojust scheint im Falle von Football Leaks aber nicht nur eine koordinative, sondern möglicherweise auch eine schlichtende Funktion einnehmen zu müssen. Denn Mitte Januar wurde Rui Pinto auf Betreiben der portugiesischen Justiz in Budapest verhaftet. Er steht seither unter Hausarrest und versucht eine Auslieferung nach Portugal zu verhindern.

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Auf dem Podium in Den Haag saß nur wenige Meter neben Lourgoilloux Antonio Cluny. Er ist der portugiesische Vertreter bei Eurojust. Als Cluny sprach, wurde deutlich, wie schwierig die internationale Ermittlungsarbeit auch in einem vereinten Europa ist. Wie gegenläufig auch die Interessen der jeweiligen Behörden sein können. Während die Franzosen und neun weitere europäische Staatsanwaltschaften Pintos Daten auswerten und damit Steuerhinterziehungen, Geldwäsche und Korruption aufdecken wollen, streben die portugiesischen Behörden danach, Pinto vor Gericht zu bringen. Laut des Haftbefehls wird ihm versuchte Erpressung sowie Cyberkriminalität vorgeworfen. Beides bestreitet Pinto .

Französischer Staatsanwalt fürchtet Pintos Auslieferung nach Portugal

"Unsere Ermittlungen gegen Pinto haben bereits 2015 begonnen. Man muss sie separat von den Football Leaks bewerten", sagte Cluny. Er wolle die beiden Verfahren grundsätzlich voneinander trennen.

Während er das sagte, schaute Lourgoilloux regungslos nach vorne. Der Franzose weiß, dass die Fälle eng miteinander verwoben sind. Die Anzeigensteller aus Portugal, die Firma Doyen, wurde im Zuge der Football-Leaks-Enthüllungen 2016 ausgeleuchtet. Die Firma gehört zu den dubiosesten Akteuren im europäischen Spitzenfußball, sie verdiente jahrelang horrende Renditen durch Beteiligungen an Spielern und Vereinen. Viele Gelder des Unternehmens wurden über Steueroasen gelenkt.

"Das heute war ein erstes Meeting. Wir werden weiterhin gemeinsam nach Lösungen suchen", sagte Cluny nach Beendigung der Pressekonferenz. Es war ihm anzumerken, dass dieser Fall politisch brisant ist. Zumal Pinto im Interview mit dem SPIEGEL erklärt hatte, dass er rund zehn Terabyte Daten besitze, also die doppelte Menge dessen, was er Journalisten bislang zur Verfügung gestellt hat. Darunter, so Pinto, auch Dokumente einer Bank, die ihren Sitz in einer Steueroase hat.

Steuerparadies Cayman Islands

Steuerparadies Cayman Islands

Foto: David Rogers/ Getty Images

"Mit diesem Meeting heute geht es uns darum, klar zu machen, wie wichtig das Thema Football Leaks ist. Viele der Länder, die mit uns am Tisch saßen, haben guten Willen gezeigt und wollen das Gleiche", sagte der stellvertretende Generalstaatsanwalt, Eric Bisschop. Der Belgier hat großes Interesse an Pintos Daten, da der belgische Fußball zuletzt von Korruptions- und Wettbetrugsskandalen erschüttert wurde.

Während Pinto weiterhin im Budapester Hausarrest darauf wartet, dass ein ungarisches Gericht über seine Auslieferung nach Portugal entscheidet, werden europäische Ermittler auch in den kommenden Wochen darüber debattieren, wie sie mit ihm umgehen sollen. Sollte Pinto nach Portugal ausgeliefert werden, könnten seine Daten dort vernichtet werden. Alle Dokumente, die nicht die Vorwürfe des internationalen Haftbefehls berühren, sind für die portugiesische Justiz nicht verwertbar.

"Sollte dies passieren, würden eine große Chance verstreichen", sagte Lourgoilloux. Der Franzose wirkte dabei nicht so, also wolle er dies einfach hinnehmen.