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Tastuntersuchungen Wie Blinde Brustkrebs erkennen

Weil sie einen feinen Tastsinn haben, können Sehbehinderte Ärzte bei der Brustkrebsfrüherkennung unterstützen. Eine Studie zeigt: Ihr Einsatz hat sich bewährt - den medizinischen Brustkrebs-Check ersetzen sie aber nicht.
Medizinische Tastuntersucherin (MTU) untersucht die Brust einer Patientin

Medizinische Tastuntersucherin (MTU) untersucht die Brust einer Patientin

Foto: Caroline Seidel/ dpa

Filiz Demir ist blind, doch mit ihren Händen kann sie erkennen, was Ärzte manchmal unter Zeitdruck übersehen: kleinste Veränderungen im Brustgewebe ihrer Patientinnen. Wenn sie mit ihren besonders sensiblen und geschulten Fingerspitzen eine Auffälligkeit ertastet, zieht sie eine Ärztin oder einen Arzt hinzu. Mittels Ultraschall oder Mammografie können die Mediziner feststellen, ob eine Brustkrebserkrankung vorliegt.

Der Duisburger Frauenarzt Frank Hoffmann hatte 2007 das Projekt "Discovering Hands" gegründet. Seitdem wurden mehrere Frauen zu sogenannten Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTUs) ausgebildet. Die Idee: Mit ihrem ausgeprägten Tastsinn könnten geschulte Sehbehinderte bereits kleinste Veränderungen im Brustgewebe erkennen - womöglich sogar früher als Ärzte.

MTUs erkannten Veränderungen genauso gut wie Ärzte

Die Methode ist nun erstmals auf ihre Wirksamkeit überprüft worden. Das Ergebnis: Die MTUs fanden bei der Brustkrebsvorsorge genauso oft Auffälligkeiten im Gewebe wie ein Arzt oder eine Ärztin. "Tun beide sich zusammen, können sie Auffälligkeiten in der Tastuntersuchung häufiger erkennen als der Arzt allein", sagt Michael Lux von der Frauenklinik der Universität Erlangen.

Er hat die Effektivität der Methode bei insgesamt 395 Frauen untersucht und die Ergebnisse im Fachmagazin "Breast Care"  veröffentlicht. Gerade bei Frauen ohne vorherige Brustoperation habe sich der Einsatz bewährt, so sein Fazit. In 82 Prozent dieser Fälle stellten MTUs abklärungsbedürftige Gewebeauffälligkeiten korrekt fest, ohne deutlichen Unterschied zu Ärzten. Wird die Treffergenauigkeit beider kombiniert, lag sie bei 89 Prozent.

"Größere Unsicherheit herrschte bei Patientinnen mit vorheriger Brustoperation", erklärt Lux. Diese nahmen im Erlanger Brustzentrum einen Großteil der Stichprobe ein. "Mit dem oftmals vernarbten Gewebe kamen die Tasterinnen nicht so gut klar wie die darauf spezialisierten Ärzte." Im Praxisalltag könnten sie jedoch eine sinnvolle Ergänzung sein. Denn viele Gynäkologen arbeiteten unter großem Zeit- und Kostendruck.

Kein Ersatz für ärztliche Untersuchung

Andere Ärzte sind von der Methode nicht überzeugt. MTUs erzielten mit einer halbstündigen Untersuchung ähnlich gute Ergebnisse wie der Arzt in nur einigen Minuten, sagt Sherko Kümmel, Direktor des Brustzentrums der Kliniken Essen-Mitte. Zwar sei er froh über die Aufmerksamkeit für das Thema Brustkrebsvorsorge, "es sollten aber keinesfalls falsche Hoffnungen geweckt werden, dass die Tastuntersucherinnen besser sind als das, was die Medizin bisher leistet".

"Wichtiger für eine Verbesserung der Vorsorge wäre es beispielsweise, den Ultraschall für weitere Risikogruppen, etwa bei Frauen mit sehr dichtem Drüsengewebe, zu finanzieren", fordert Kümmel. Solche Kosten übernehmen bisher nur einige Krankenkassen. Eine Mammografie gehört in der Regel erst für Patientinnen über 50 Jahren zum vorgeschriebenen Leistungskatalog.

70.000 Neuerkrankungen pro Jahr

Brustkrebs ist mit etwa 70.000 Neuerkrankungen jährlich die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland - und trifft auch Jüngere: Laut Zentrum für Krebsregisterdaten sind fast 30 Prozent der Betroffenen bei Diagnosestellung unter 55 Jahre alt, ein Alter, in dem andere Krebserkrankungen zahlenmäßig noch kaum eine Rolle spielen.

Auch sehr sensible Fingerspitzen könnten weder die Mammografie noch den Ultraschall ersetzen, sagt auch Tanja Fehm von der Universitätsklinik Düsseldorf und der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie. Sie hält die Arbeit der MTUs dennoch für eine wertvolle Zusatzleistung - "gerade für Patientinnen, die die oft schambesetzte Brustuntersuchung scheuen. Da ist es für manche leichter, wenn Blinde diese wichtige Aufgabe übernehmen."

Einen Hinweis darauf lieferte auch die aktuelle Studie: Fast alle Patientinnen gaben an, dass sie die Untersuchung als positiv empfanden und weiterempfehlen würden. Mediziner Lux hofft deshalb, dass die Tastuntersuchungen weitere Vorteile bringen. Beispielsweise wenn es dadurch gelingt, Frauen regelmäßiger zur Früherkennung zu bewegen.

Die 43-jährige Daniela Frankenthal geht jährlich zur Früherkennung. Sie vertraut schon länger auf die Methode der MTUs und lässt sich von Filiz Demir untersuchen. Demirs Hände wandern Zentimeter für Zentimeter die beiden Brüste von Frankenthal ab. Orientierung bieten der Blinden dabei zwei selbstklebende Papierstreifen. Eine solche Tastuntersuchung dauert mindestens 30 Minuten, die Kosten von 46,50 Euro übernehmen inzwischen 26 Krankenkassen bundesweit.

von Florentine Dame/dpa/koe