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Jair Bolsonaro Was Brasiliens ultrarechter Präsident mit dem Internet vorhat

Jair Bolsonaro ist auch dank seiner Digitalstrategie an die Macht gekommen. Weil Brasiliens neuer Präsident auch Desinformationskampagnen, Hetze und Diffamierung unterstützt hat, sind Netzexperten besorgt.
Jair Bolsonaro

Jair Bolsonaro

Foto: Reuters Photographer/ REUTERS

Brasiliens neuer, ultrarechter Präsident Jair Bolsonaro beherrscht die Spielregeln des Internets: Er wendet sich per Livestream an die Bürger, seine Hetze gegen Frauen, Schwarze, Homosexuelle und Linke geht in sozialen Netzwerken viral - und kritische Journalisten blockiert er auf Twitter. Auch dank seiner Digitalkampagne   hat es der einstige Außenseiter ins Präsidentenamt geschafft.

Seit seinem Amtsantritt Anfang Januar verändert Jair Bolsonaro Südamerikas größtes Land radikal. Doch was bedeutet das für die Digitalpolitik?

Konkrete Strategien hat die Regierung nicht vorgelegt, dennoch gibt es erste Indizien. Bolsonaro ist Verfechter der digitalen Meinungsfreiheit - vor allem zu Gunsten der Rechten. "Präsident Bolsonaro hat Plattformen kritisiert, die rechte Accounts mit dem Argument entfernt haben, dass sie die Nutzerbedingungen verletzen", sagt der brasilianische Jurist und Digitalexperte Ronaldo Lemos, Direktor des Instituts für Technologie und Gesellschaft (ITS).

Hetzkampagnen gegen Kritiker

Bolsonaro habe sich auf die Seite dieser Aktivisten gestellt und sich beschwert, dass die Seiten nicht hätten entfernt werden dürfen: "Seine Strategie ist, für eine maximale Meinungsfreiheit einzutreten - im Vertrauen darauf, dass seine Unterstützer die öffentliche Debatte über die Politik des Präsidenten in sozialen Netzwerken und auf anderen Plattformen gewinnen, so wie im Wahlkampf", so Lemos.

Kritiker des Präsidenten werden von Bolsonaro und von seinen Unterstützern in sozialen Netzwerken diffamiert. Anhänger haben etwa dazu aufgerufen, linksgerichtete Lehrer zu melden oder mit dem Handy zu filmen, wenn sie Bolsonaro kritisieren. Desinformationskampagnen, vor allem auf WhatsApp , spielten bereits im Wahlkampf eine große Rolle.

Tai Nalon, Mitgründerin der Fact-Checking-Initiative Aos Fatos, beobachtet eine "Institutionalisierung von Desinformationskampagnen". Soziale Netzwerke würden für politische Verlautbarungen sowie Attacken auf Institutionen wie Medien oder Journalisten genutzt. Wie US-Präsident Donald Trump kündigt Bolsonaro etwa regelmäßig via Twitter seine Pläne an - und begründet sie teils mit aus dem Kontext gerissenen oder falschen Daten.

"Bolsonaro greift zum Beispiel ständig Sozialleistungen für die Familien von Häftlingen an, um zu zeigen, dass er die öffentlichen Kassen entlasten will", sagt Nalon. "Finanziell fällt dieser Posten für den Staat aber kaum ins Gewicht." Strategien gegen Hate Speech und Desinformation sowie eine stärkere Regulierung sozialer Netzwerke dürften in Bolsonaros Amtszeit eine untergeordnete Rolle spielen.

Mehr Überwachung

Die sicherheitspolitisch geprägte Ausrichtung der neuen Regierung könnte dagegen dem Ausbau der Überwachung Vorschub leisten. Bolsonaro, selbst Ex-Fallschirmjäger, Hauptmann der Reserve und Anhänger der brasilianischen Militärdiktatur, hat alle Schlüsselposten mit Militärs besetzt.

"Es gibt einen klaren Hinweis darauf, dass die öffentliche Sicherheit für die neue Regierung eine zentrale Priorität darstellt und dass Technologie und digitale Tools zur Informationsgewinnung in der Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden", sagt Digitalexperte Ronaldo Lemos. Den bisherigen Antrittsreden sei zu entnehmen, dass die Geheimdienste gestärkt und ihre Befugnisse ausgeweitet werden. "Allerdings gibt es bisher keine Hinweise darauf, welche Technologien wie eingesetzt werden", so Lemos.

Bereits als Begleiterscheinung zur Fußball-WM 2014 und den Olympischen Spielen 2016 wurde die Überwachung von den Vorgängerregierungen ausgebaut. Immer mehr Kameras oder Drohnen wurden im öffentlichen Raum eingesetzt. Sicherheitskräfte sammelten in einer Datenbank Informationen über Protestteilnehmer und spähten linke Aktivisten in sozialen Netzwerken und sogar auf Tinder aus.

Schnelles Internet auch für abgelegene Gebiete

Nicht alle Pläne sind derart umstritten. Der neue Minister für Wissenschaft und Technologie, Marcos Cesar Pontes, Brasiliens einziger Astronaut und Oberstleutnant der brasilianischen Luftwaffe, legte in seiner Antrittsrede den Fokus auf den technischen Fortschritt. "Pontes hat zum Beispiel erwähnt, dass er Wissenschaftler und Forscher unterstützen wird, den Import von wissenschaftlichen Geräten, Komponenten und Rohstoffen erleichtern und die Steuern dafür senken will, die in Brasilien oft hoch sind", sagte Digitalexperte Lemos.

Der Breitbandausbau soll angegangen werden, auch in abgelegenen Gebieten. "Bisher spiegeln seine Positionen einige zentrale Forderungen der brasilianischen Wissenschaft wider", so Lemos.

Die neue Regierung trägt auch Brasiliens 2018 verabschiedetes Allgemeines Datenschutzgesetz (Lei Geral de Proteção de Dados Pessoais) , das den Umgang von öffentlichen Institutionen und Privatunternehmen mit Daten von Brasilianern regelt, bisher mit. Zudem wurde der Plan, wie vorgesehen eine Regierungsstelle für den Datenschutz einzurichten, formell von der Bolsonaro-Administration angenommen - wie diese aussehen und besetzt werden soll und ob sie tatsächlich eine unabhängige Kontrolle garantiert, muss sich zeigen.

Laura Tresca, Direktorin der brasilianischen NGO Artigo 19, zufolge treten allerdings Konflikte zwischen Sicherheitspolitik und Datenschutz auf - wie etwa durch das Ende Dezember in der Übergangsphase zur Bolsonaro-Regierung erlassene Dekret 9637, das Richtlinien zur Nationalen Informationssicherheit betrifft.

"Das Dekret bringt Widersprüche mit dem Allgemeinen Datenschutzgesetz, das in Brasilien in Kraft ist, und schafft Möglichkeiten, die Überwachung im Land auszuweiten", so Tresca. "Es ist essenziell, dass die Zivilgesellschaft Veränderungen jetzt sehr genau beobachtet."