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Rechtsradikalismus

Steht die AfD vor der Spaltung?

André Poggenburg, der Menschen schon mal als "Kümmeltürken" und "Kameltreiber" beschimpft, geht und gründet eine noch rechtere Partei.
André Poggenburg verlässt die AfD und gründet den AdP
Poggenburg: imago Christian Schroedter || Montage: VICE

Ein bisschen erinnerte André Poggenburg, jahrelang einer der zuverlässigsten Provokateure vom ganz rechten Rand der AfD, in den letzten Monaten tatsächlich an ein Kleinkind, das sich einen Kochtopf über den Kopf stülpt und laut darauf rum trommelnd durch den Raum rennt. Nur um die Aufmerksamkeit seiner Eltern zu bekommen. Jetzt hat sich das Kind aus Trotz selbst vor die Tür gesetzt.

Nachdem der Bundesvorstand der AfD am Montag beschlossen hatte, Poggenburg eine zweijährige Ämtersperre erteilen zu wollen, ist er selbst aus der Partei ausgetreten. Die AfD werde nicht mehr als "wirklich patriotische Alternative wahrgenommen" sagte Poggenburg am Freitag der dpa. Poggenburg plant bereits das nächste Drama: Der einstige Landes- und Fraktionschef der AfD, mit dem die Rechtsradikalen 2016 bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt fast ein Viertel der Stimmen geholt haben, hat eine neue Partei gegründet – den AdP, den "Aufbruch deutscher Patrioten – Mitteldeutschland".

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Ein Logo hat der AdP auch schon, es zeigt die blaue Kornblume: ein Symbol aus Kaiserzeiten und bekannt als das Erkennungszeichen der deutschnationalen und antisemitischen Schönerer-Bewegung. Mit einer solchen Blume am Revers war Poggenburg Anfang Dezember auf einer rechtsradikalen Demo aufgetaucht. Wenig später verschickte er Neujahrsgrüße an die "Volksgemeinschaft". Joseph Goebbels hätte das gefallen: Seine Propaganda hatte einst die "Volksgemeinschaft" zu einem zentralen Begriff der Nazi-Propaganda gemacht.


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Es sind die jüngsten Einträge in einer Liste von rechtsradikalen und nationalistischen Skandalen, in der Zitate wie "Kümmeltürken", "Kameltreiber" und "Dieses Land hat den Deutschen zu gehören, wem denn sonst?" kaum noch auffallen. Es waren wohl zwei "Entgleisungen" zu viel. Neu war an Poggenburgs Auftreten zwar nichts. Aber die Lage der Partei hat sich verändert, nachdem der AfD in den letzten Monaten doch noch klar geworden ist, dass ihr eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz droht.

In so einer Situation scheint einer wie Poggenburg nicht mehr tragbar in der AfD, der anders als "Vogelschiss"-Gauland und "Denkmal der Schande"-Höcke nicht zu verstehen scheint, wie man Provokationen so formuliert, dass Grammatikjongleure und Paragraphendehner am Ende behaupten können: "Ist doch alles gar nicht so gemeint gewesen!".

Wie es mit AfD und AdP weitergehen dürfte

Steht die AfD deshalb vor der Spaltung? Im Sommer wechselten mehrere Parteimitglieder zur den rechtsextremen "Republikanern". Auch Abgänge zu CDU und Freien Wählern gab es bereits – und natürlich die der ehemaligen Parteisprecher Bernd Lucke und Frauke Petry. Zwei ebenfalls einschlägig bekannte und frisch ausgetretene Ex-AfDler aus Sachsen werden neben Poggenburg als Vorstandsmitglieder des AdP gelistet.

Schon Anfang Januar hatte Poggenburg eine gemeinsame Veranstaltung angekündigt mit den AfD-Mitgliedern Jessica Bießmann (die mit dem Hitler-Wein), Stefan Räpple (der, der neulich in Baden-Württemberg aus dem Landtag abgeführt werden musste) und Doris von Sayn-Wittgenstein (die, die offen für Geschichtsrevisionisten wirbt). Alle drei sind in der AfD selbst nicht mehr sonderlich beliebt.

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Es ist dennoch unwahrscheinlich, dass tatsächlich eine große Anzahl AfDler die Biege nach noch weiter rechts macht. Das dürfte weniger daran liegen, dass der AdP sich durch den Zusatz "Mitteldeutschland" vor allem auf das Mansfelder Land und sächsische Kleinstädte konzentrieren dürfte.

Vielmehr gibt es inhaltlich praktisch keine Unterschiede zwischen der AfD und Poggenburg: Der derzeitige Fraktionsvorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt, Oliver Kirchner, sagte der FAZ, er sei bis heute mit Poggenburg "politisch auf einer Linie". Noch in der AfD trat der für eine Zusammenarbeit zwischen AfD und der rechtsextremen Identitären Bewegung ein, störte vor zwei Jahren in Dessau das Gedenken an den in Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh und bedachte antifaschistische Projekte im Magdeburger Parlament mit obskur ausufernden Anfragen und Redebeiträgen.

Dass Poggenburg seinen Kampf gegen "Linksganoven", "Genderwahn" und Menschen, die sich für Inklusion aussprechen, nun mit kleinerem Budget weiterführen muss, liegt eher daran, dass seine Art, die Sachsen-Anhalt AfD zu führen, so chaotisch wie nur möglich war.

Kurz nachdem die Fraktion in den Landtag eingezogen war, überwarf sich Poggenburg mit drei Kollegen, darunter dem zwischenzeitlichen parlamentarischen Geschäftsführer. Dafür hatte er kein Problem damit, seine damalige Lebensgefährtin als Auszubildende in der Fraktion zu beschäftigen. Bei einem AfD-Parteitag im Dezember 2017 scheiterte Poggenburg auch deshalb mit dem Versuch, in den Bundesvorstand gewählt zu werden.

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Drei Monate später hatte er daheim in Sachsen-Anhalt die Unterstützung verloren und kündigte seinen Rücktritt als Landes- und Fraktionsvorsitzender an. Ruhe kehrte damit nicht ein: Im Oktober soll ein langjähriger Mitstreiter Poggenburgs einen weiteren auf einer Toilette geschlagen haben. Beide sitzen bis heute für die AfD im Landtag. Einem anderen lange Zeit treuen Abgeordneten drohte Poggenburg im November selbst eine Ämtersperre an. Die AfD selbst bezeichnete er auch schon als "Rattenloch".

Obwohl Poggenburgs Austritt deshalb einem Auffahrunfall in Zeitlupe ähnelt, hat er für die AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt jetzt ernsthafte Konsequenzen: Sie verliert die Möglichkeit, allein mit ihren Stimmen eine Enquete-Kommission oder einen Untersuchungsausschuss einzurichten.

Poggenburg, jetzt fraktionslos, und sein AdP dürften derweil den Weg aller bisherigen AfD-Abspaltungen gehen: Bei den nächsten Wahlen dürfte der AdP sich im grauen Balken der Sonstigen verstecken – sollten es die Rechten überhaupt schaffen, rechtzeitig genügend Unterschriften für eine Zulassung zu bekommen. Die AfD – besonders in Person von Poggenburgs alten extremrechten Kollegen, Björn Höcke und Andreas Kalbitz – hat hingegen weiterhin realistische Chancen, bei allen drei Landtagswahlen 2019 die stärkste Kraft zu werden.

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