Interview
Experte zur Schwägalp-Lawine: «Sie riss sich auf einer Breite von mehreren hundert Metern los»

Der Lawinenniedergang auf der Schwägalp war ein ausserordentliches Ereignis. Das sagt Benjamin Zweifel vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos. Er hält es für möglich, dass noch rechtlich untersucht wird, ob die Schwägalp vor dem Unglück hätte evakuiert werden müssen.

Daniel Walt
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Blick auf einen von der Lawine erfassten Bereich auf der Schwägalp

Blick auf einen von der Lawine erfassten Bereich auf der Schwägalp

Kapo AR

Benjamin Zweifel, welche Erkenntnisse haben Sie zum Lawinenabgang auf der Schwägalp?

Benjamin Zweifel: Die Lawine auf der Schwägalp war die mit Abstand imposanteste, die am Donnerstag niedergegangen ist. Und sie war ein ausserordentliches Ereignis. Denn obwohl die zweithöchste Gefahrenstufe 4 herrschte, erhielten wir am Donnerstag nur von wenigen Lawinen Kenntnis.

Im vom Lawinenabgang betroffenen Hotel machte schnell das Gerücht die Runde, es habe sich um eine Staublawine gehandelt...

Davon gehen wir ebenfalls aus. Da das Wetter am Freitagmorgen gut war, konnten bereits Flüge über das Unglücksgebiet gemacht werden. Die Bilder zeigen: Die Lawine ging auf einer Breite von mehreren hundert Metern auf einem Grat los. Die Schneemassen donnerten dann über die Säntis-Nordwestwand auf die Schwägalp. Der Schnee war trocken, von dem her gab es sicher eine grosse Staubentwicklung.

Benjamin Zweifel, Lawinenprognostiker am Institut für Schnee- und Lawinenforschung.

Benjamin Zweifel, Lawinenprognostiker am Institut für Schnee- und Lawinenforschung.

PD

Die Schwägalp ist nicht bekannt für häufige Lawinenabgänge. Von welchen Ereignissen haben Sie Kenntnis?

Im Jahr 1942 wurde bei einem Lawinenabgang die Talstation der Säntisbahn beschädigt, wobei sie sich damals noch nicht am heutigen Standort befand. Zwei weitere Lawinen gab es 1965 und 1986, allerdings weiter nordöstlich beziehungsweise westlich. Hier wurden jeweils Alphütten beschädigt.

Kamen bei diesen drei Lawinen Menschen zu Schaden?

Nein.

Die Lawinengefahr war den ganzen Donnerstag über gross – und am Abend dann derart eklatant, dass den Hotelgästen dringend zur Abreise geraten wurde. Zudem wurde die Suche nach möglicherweise Verschütteten unterbrochen. Hätte man aufgrund der Gesamtsituation schon früher handeln und die Schwägalp evakuieren müssen, bevor die Lawine niederging?

Das ist eine schwierige Frage. Auf der einen Seite beurteilen wir vom SLF die Lawinengefahr, die für eine Region gilt. Auf der anderen Seite wird die Lawinensituation lokal auch vor Ort beurteilt. Wann ein Gebiet evakuiert oder eine Strasse gesperrt werden muss, ist von den Sicherheitsdiensten vor Ort zu entscheiden.

Nochmals: Hätte das Gebiet vorzeitig evakuiert werden müssen?

Ich will mich diesbezüglich nicht auf die Äste hinauslassen. Möglicherweise wird diese Frage jetzt noch rechtlich untersucht.

Wie beurteilen Sie die Gefahr weiterer Lawinenabgänge im betroffenen Gebiet sowie generell im Alpstein?

Es hat mittlerweile aufgehört zu schneien, und der Wind hat nachgelassen. Von daher gehen wir von einem Rückgang der Gefahrenstufe aus für grosse, spontane Lawinen – solche also, die nicht durch eine Sprengung oder einen Skifahrer ausgelöst werden. Auch die Stufe 3, die wir in unserem Bulletin eine halbe Stunde nach dem Abgang auf der Schwägalp ausgegeben haben, bleibt für Schneesportler allerdings gefährlich. Und für Sonntag und Montag sind neue, möglicherweise intensive Schneefälle angekündigt – dann muss die Situation wieder neu beurteilt werden.