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Fotostrecke: "Can't Spell Truth Without Ruth"

Foto: Alex Wong/ Getty Images

US-Bundesrichterin Bader Ginsburg Die lebende Freiheitsstatue

Sie ist eine Ikone des liberalen Amerikas: Ruth Bader Ginsburg, Richterin am Obersten Gerichtshof. Ein Film würdigt sie - glorifiziert dabei aber die Zeit vor dem US-Rechtsruck. Jetzt im TV und in der ZDF-Mediathek.
Von Till Kadritzke

Als Ruth Bader Ginsburg 1993 an den Supreme Court berufen wurde, war sie geradezu berüchtigt für ihren kompromisslosen Einsatz gegen die rechtliche Diskriminierung von Frauen. Da war es fast erstaunlich, wie sie - eine von insgesamt drei Richterinnen am Obersten Gerichtshof der USA - in ihren ersten Amtsjahren immer wieder Kompromisse einging, stets interessiert an einem möglichst einstimmigen Urteil. In einer Fotomontage aus dieser Zeit, in der die neun Richterinnen und Richter nach ihrer politischen Gesinnung angeordnet sind, befindet sie sich nur knapp links der Mitte.

Der Film "RBG - Ein Leben für die Gerechtigkeit" porträtiert seine Protagonistin als eine Frau des Konsenses. Mittlerweile ist die 85-Jährige eine Ikone der liberalen USA, wird in Internet-Memes als Superheldin dargestellt, der Spruch "Can't Spell Truth Without Ruth" steht auf T-Shirts und Kaffeetassen. Dieser Aufstieg Ginsburgs zum popkulturellen Phänomen und liberal darling liegt, so betonen es Betsy West und Julie Cohen in ihrem Dokumentarfilm "RBG - Ein Leben für die Gerechtigkeit", weniger an einer Radikalisierung ihrer Ansichten als am veränderten politischen Klima und einem in den letzten zwei Jahrzehnten neu zusammengesetzten Gericht. Zunehmend formuliert die Frau des Konsenses nicht mehr die Mehrheitsurteile, sondern meldet einen Dissens an. In der aktuellsten Fassung der Gesinnungsgrafik sitzt sie nun fast ganz links.

"Sie war nicht dafür gemacht, die große Abweichlerin zu sein", erklärt eine Wegbegleiterin Ginsburgs im Film, "das war die Rolle, die die Geschichte für sie erdacht hat." Ein Satz, der die trotzige Reaktion des liberalen Mainstreams auf den Rechtsruck der vergangenen Jahre auf den Punkt bringt.

Die Geschichte ist demnach eine böse Kraft, die den progressiven Fortschritt stört. Mit ihrer Politik der "living constitution", einer Rechtsauslegung also, in der die Verfassung nicht wortwörtlich zu nehmen, sondern aus heutiger Sicht zu interpretieren ist, steht Ginsburg paradigmatisch für die liberale Fantasie einer Nation, die ihre gesellschaftliche Realität Schritt für Schritt den hehren Idealen der Gründerväter angleicht.

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Fotostrecke: "Can't Spell Truth Without Ruth"

Foto: Alex Wong/ Getty Images

Die Störenfriede der Geschichte sind in "RBG" auch konsequent in den Vorspann ausgelagert. Da sind aus dem Off einmal jene Stimmen zu hören, für die Ginsburg nicht Idol, sondern Feindbild ist, als "Hexe" und "nationale Schande" wird sie da bezeichnet. Danach lassen West und Cohen den Hass aber hinter sich und widmen sich mithilfe des üblichen Mixes aus Interviews und Archivaufnahmen der Biografie der Richterin.

Ginsburg selbst, aber auch Weggefährten, Familienangehörige und Biografinnen erzählen, wie sie als eine der ganz wenigen Frauen auf der Harvard Law School Bestnoten einheimste, während sie ein Kind großzog, einen krebskranken Mann pflegte und im Schnitt zwei Stunden schlief.


"RBG - Ein Leben für die Gerechtigkeit"
Originaltitel: "RBG"
USA 2018
Regie und Drehbuch: Julie Cohen, Betsy West
Darsteller: Ruth Bader Ginsburg, Bill Clinton, Sharron Frontiero
Produktion: CNN Films, Storyville Films
Verleih: Koch Films
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 0 Jahren
Start: 13. Dezember 2018


Der interessanteste Teil des Films widmet sich jenen Fällen, mit denen Ginsburg als Anwältin in den Siebzigern tatsächlich an einer Fortschrittsgeschichte mitschrieb, Urteile zur Gleichbehandlung am Arbeitsplatz und zum Recht auf Abtreibung erkämpfte, feministische Einsichten in die Rechtsprechung trug und mit ihrer überzeugenden Rhetorik den neun alten weißen Männern im Supreme Court immer wieder Dinge beibrachte, die wir heute als selbstverständlich erachten.

Je näher aber dieser unter anderem von CNN produzierte Film der Trump'schen Gegenwart auf die Pelle rückt, desto stärker wird das Erkämpfte als verlorenes Paradies fetischisiert. RBG ist dann nicht mehr Kämpferin, sondern Freiheitsstatue.

Bewundernd erzählen gleich mehrere Personen von Ginsbergs freundschaftlichem Verhältnis zu Antonin Scalia, dem konservativen Richter, der sich in seiner Rechtsprechung stets am originalen Verfassungstext orientierte und damit einen juristischen Gegenpol zu Ginsberg bildete. Eine merkwürdige Sehnsucht beatmet den Film dann, die Sehnsucht nach einer Zeit, in der Frau Progressiv und Herr Konservativ nach der Juristerei noch gemeinsam in die Oper gingen, in der es beiden noch um die Nation ging, um Kompromiss und Konsens.

So ist das Unbefriedigende nicht, dass dieser Film zu den bereits Bekehrten predigt, dass er in der eigenen Filterblase verbleibt, dass er mitunter wie ein Imagevideo daherkommt. Denn daraus macht er gar keinen Hehl.

Ernüchternd ist vielmehr, dass er in dieser Predigt keinen politischen Horizont erkennen kann, weil er lieber in den Rückspiegel blickt. Es ist diese Nostalgie des liberalen US-Mainstreams angesichts reaktionärer Zukunftsvisionen, die hier selbst den feierlichen Lobgesang auf eine eindrucksvolle Persönlichkeit mitunter wie ein verzweifeltes Requiem klingen lässt.


"RBG - Ein Leben für die Gerechtigkeit", ZDF Info, Mittwoch, 20:15 Uhr (und bis 12.7. in der ZDF-Mediathek )