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Nato-Chef Jens Stoltenberg "Wir brauchen eine glaubhafte Abschreckung"

Nur 60 Tage geben die USA Russland, um ein neues Mittelstreckenprogramm zu verschrotten. Nato-Chef Stoltenberg über die brenzlige Situation für die Allianz und die gefährlichen Folgen für Europa.
Jens Stoltenberg

Jens Stoltenberg

Foto: YVES HERMAN/ REUTERS

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat im Streit mit Russland über den INF-Vertrag vor gefährlichen Überreaktionen der Militär-Allianz gewarnt. Ideen aus den USA für eine schnelle nukleare Aufrüstung Europas hält er für brandgefährlich.

"Natürlich brauchen wir eine glaubhafte Abschreckung", sagte Stoltenberg. "Gleichwohl spiegelt die Nato nicht Panzer für Panzer oder Rakete für Rakete, was Russland in seinen Beständen hat."

Stoltenberg appelliert damit an die Vernunft der Allianz. Bei der Nato wird hinter den Kulissen bereits heftig über die Frage diskutiert, wie das Bündnis auf die neue Lage reagieren muss. Dabei geben die USA einen recht harschen Ton vor.

Der Streit um das 1987 geschlossene INF-Abrüstungsabkommen zwischen Moskau und Washington, das die Entwicklung von nuklear bestückbaren Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von über 500 Kilometern verbietet, war vergangene Woche endgültig eskaliert.

Die USA werfen Russland seit Jahren vor, den INF-Vertrag mit einem neuen Mittelstreckenraketenprogramm zu brechen. Nun gab die Trump-Regierung dem russischen Präsidenten Putin 60 Tage Zeit, die Waffen zu zerstören, sonst steige Washington aus dem Vertrag aus.

Weitreichende Folgen befürchtet

Der Vertrag hatte über Jahrzehnte verhindert, dass die beiden Supermächte wie im Kalten Krieg riesige Nuklear-Arsenale rund um Europa herum aufstellen, die im Konfliktfall den ganzen Kontinent zerstören würden.

Die USA werten die neuen russischen Raketen, von der Nato mit der Kennung SSC-8 versehen, als Verschiebung des strategischen Gleichgewichts zugunsten Russlands und damit als eine ernsthafte militärische Bedrohung.

Bei der Nato trug man kürzlich erstaunlich offen Geheimdiensterkenntnisse vor, wonach Russland mehrere Bataillone der Armee mit jeweils 24 nuklearfähigen Marschflugkörpern des Typs ausgestattet habe. Die Startrampen seien mobil und aus der Luft nur schwer aufzuklären.

Nicht nur Pazifisten fürchten, dass der US-Ausstieg aus dem Vertrag weitreichende Folgen haben würde. Donald Trumps Sicherheitsberater hat bereits angewiesen, die USA müssten rasch neue eigene Mittelstreckenraketen entwickeln und diese in Europa aufstellen.

Stoltenberg indes mühte sich um einen moderaten Ton in der Debatte. "Es ist für mich viel zu früh, über die Lage in einer Welt ohne INF-Vertrag zu sprechen", sagte er in Brüssel. "Es ist eine sehr ernste und gefährliche Debatte, deswegen müssen wir ausgewogen reagieren."

Stoltenberg appelliert an Russland

Für die Nato könnte der Streit um das Abkommen zu einer politischen Zerreißprobe werden. Trotz immer neuer Beweise für den Bruch des Vertrags durch Russland hatte die Allianz bis vergangene Woche gebraucht, um Moskau klar zu beschuldigen.

Nun könnte der harsche Kurs der USA die Einigkeit erneut gefährden. Insider rechnen damit, dass Washington eine Stationierung von neuen Raketen bilateral mit einem oder mehreren Mitgliedern vereinbaren könnte, aber nicht mit der ganzen Allianz.

Stimmt einer der Nato-Partner einem solchen Deal zu, würden die unterschiedlichen Fraktionen im Bündnis auf hässliche Art sichtbar. So setzen Staaten wie Deutschland seit Jahren auf Dialog mit Russland, die Osteuropäer indes wollen klare Kante gegen Putin.

Stoltenberg wurde deswegen nicht müde, an Russland zu appellieren, doch zurück in den Vertrag zu kommen. In Brüssel sprach er von einer "letzten Chance", allerdings warnte er auch, dass für Russland die Zeit davonlaufe.

Doch wie optimistisch ist Stoltenberg, dass Moskau wieder an den Tisch kommt? "Wenn ich die Chancen jetzt auch noch selber herunterrede, reduziere ich sie ja sozusagen auf null", sagte der Nato-Chef. Echte Hoffnung klingt anders.

Das Gespräch mit Jens Stoltenberg fand im Brüsseler Nato-Hauptquartier statt, das Bundespresseamt hatte Journalisten dazu eingeladen.

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