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Stefan Kuzmany

Millionär Merz Geld spielt eine Rolle

Wie viele Privatflugzeuge dürfen es sein? Eins? Zwei? Drei? Oder doch lieber gar keins? Die Debatte um den Wohlstand des CDU-Kandidaten Friedrich Merz ist zwar ganz lustig - aber sie lenkt ab.
Friedrich Merz (CDU)

Friedrich Merz (CDU)

Foto: Jens B¸ttner/ picture alliance/dpa

Meine liebe alte Tante H. hat in letzter Zeit leider ziemlich abgebaut, sie ist meist bettlägerig und verliert zunehmend das Interesse am Weltgeschehen. Aber manchmal erlebt sie doch noch einen kleinen Lichtblick. Zuletzt hat man ihr berichtet, dass das Anwesen von Thomas Gottschalk in Malibu abgebrannt ist. "Das freut mich", sprach Tante H.

Wohl keine Einzelmeinung. Sei es aus Neid oder schlichter Missgunst: Wohlhabend zu sein, das bringt einem hierzulande kaum Sympathien ein. Und wer auch noch den Eindruck erweckt, er genieße seinen Reichtum, der darf auf keine Gnade hoffen.

Bloß nicht reich wirken

Das weiß auch Friedrich Merz. Und weil der Mann CDU-Vorsitzender und dann wohl bald auch Bundeskanzler werden will, versucht er sich gerade an einer sehr deutschen Gratwanderung. Denn einerseits, davon berichtet Merz selbst gern, ist es ihm nicht schlecht ergangen in den Jahren seiner politischen Abstinenz. Er hat als Anwalt mit Aufsichtsrats- und Beraterposten bestens verdient. Das soll gern jeder wissen, denn es signalisiert ökonomische Kompetenz. Andererseits jedoch muss Merz, um bei Tante H. nicht in Ungnade zu fallen, bei allem Erfolg gefälligst ganz normal und bodenständig geblieben sein. Und jedenfalls nicht stinkend reich.

Für die Rolle des bescheidenen Kapitalisten unternimmt Friedrich Merz gerade putzige rhetorische Verrenkungen. Alle redeten ständig über seine Posten in der Finanzbranche, aber niemand über seine Tätigkeit für einen mittelständischen Toilettenpapierhersteller, beklagt er sich bei Anne Will. Bei der "Bild"-Zeitung haben sie ihn gefragt, was er für eine "gute Flasche Wein" ausgebe. Merz: "Das fängt bei 4,50 Euro an." Offensichtlich will er Peer Steinbrück unterbieten, der 2012 als designierter Kanzlerkandidat der SPD geäußert hatte, keinen Pinot Grigio unter fünf Euro kaufen zu wollen - und dafür zum Großkotz der Nation abgestempelt wurde. Das soll dem netten Merz von nebenan nicht geschehen: Extra vermerkt wird, dass er mit der U-Bahn zum Interview angereist ist. Dass er Millionär ist, wollte Merz tagelang nicht über die Lippen kommen. Er ordnete sich stattdessen in der "gehobenen Mittelschicht" ein - worüber diese nur lachen konnte.

Soll er seine Million haben

Vielfach ist Merz für seine falsche Bescheidenheit verspottet und gescholten worden. Geschenkt. Ihm seine Million vorzuwerfen oder die Tatsache anrüchig zu finden, dass er Privatflugzeuge besitzt, ist ebenso sinnlos wie die Aufregung über die teure Uhr der Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli. Selbstverständlich muss man nicht arm sein, um gegen Armut einzutreten, wie Gregor Gysi einmal gesagt hat. Und ebenso selbstverständlich darf der CDU-Kandidat Friedrich Merz Millionär sein. Warum denn auch nicht? Wenn er sein Geld legal erworben und ordentlich versteuert hat, kann es auch gern etwas mehr sein.

Interessanter ist da schon die Frage, was die Unternehmen, für die Merz in den vergangenen Jahren tätig war, unter seiner Aufsicht angestellt haben. Die deutsche Zentrale des Vermögensverwalters Blackrock ist gerade erst wegen anrüchiger Cum-Ex-Geschäfte durchsucht worden. Merz verweist darauf, dass mögliches Fehlverhalten in der Zeit vor seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender vorgefallen wäre. Er beteuert, dass ihm Steuertricksereien nicht nur fremd, sondern auch zuwider seien. Wahrscheinlich stimmt das sogar.

In diesen Wochen drehen Investigativjournalisten im ganzen Land jeden Stein um, um eine Merz'sche Verwicklung in krumme Geschäfte aufzudecken. Sie haben bisher keine gefunden. Weil es keine gibt? Es ist wohl alles legal, was Friedrich Merz in den letzten Jahren getan hat. Und genau deshalb wäre es nicht gut, wenn er Kanzler würde. Denn Friedrich Merz würde einfach damit weitermachen, die ganz legalen Interessen des globalen Finanzkapitalismus zu vertreten - nur eben in neuer Funktion.

Eine Gefahr für die Marktwirtschaft

Ende Oktober, kurz nachdem er erklärt hatte, sich um den CDU-Vorsitz zu bewerben, hielt Merz eine kleine Ansprache in der Bundespressekonferenz. Sie hätte allgemeiner und unverbindlicher kaum ausfallen können: Aufbruch, Erneuerung, Mitte, sichere Zukunft für die Kinder und Enkelkinder - keine Vokabel aus dem Handbuch der politischen Gemeinplätze fehlte, bis hin zum schönen Paradoxon, man müsse "zuhören" und "verstehen, was die Menschen im Land bewegt", dürfe sie aber nicht "mit Floskeln abspeisen".

Einigermaßen konkret wurde er nur an zwei Stellen in der Fragerunde danach: Wenn wir in einigen Jahren auf die Finanzkrise zurückblicken, sagte Merz, dann werden wir feststellen, dass sie die Spaltung der Gesellschaft noch vertieft habe: "Die Folgen können wir heute erst ahnen."

Sehr viele haben damals verloren, einige wenige gewonnen. Einer der größten Profiteure war der Vermögensverwalter Blackrock. Merz redet die Firma, deren deutscher Aufsichtsratschef er noch immer ist, auffallend klein: Das sei zwar der größte Vermögensverwalter der Welt, aber eben nur ein Treuhänder des Vermögens seiner Kunden, darunter "Hunderttausende Menschen in Deutschland". Ein braver Sachwalter des Sparstrumpfs von Tante H. gewissermaßen.

Tatsächlich ist Blackrock eines der mächtigsten Unternehmen der Welt. Es verwaltet die unvorstellbare Summe von 6400 Milliarden Dollar und ist an mehr als 17.000 Unternehmen beteiligt. Blackrock ist bei außergewöhnlich vielen relevanten Konzernen Großaktionär - und diese Übermacht wird von Ökonomen als Gefahr für die Marktwirtschaft betrachtet: Wenn Blackrock und einige wenige weitere Vermögensverwalter nicht nur an einem Unternehmen einer Branche, sondern an allen der Branche beteiligt sind, sinkt ihr Interesse an einem Wettbewerb dieser eigentlich konkurrierenden Unternehmen. Es ist für die Großaktionäre nur ein Nullsummenspiel, wenn sich diese gegenseitig Marktanteile abnehmen. Es gibt Untersuchungen, die zum Ergebnis haben, dass dort, wo Blackrock und Konsorten den Markt dominieren, die Preise für die Kunden steigen. Der Wettbewerbsexperte Einer Elhauge von der Harvard Law School warnt in diesem Zusammenhang im "Tagesspiegel" vor der "größten Bedrohung des freien Wettbewerbs unserer Zeit".

Wem die Welt gehört

Blackrock ist bestens vernetzt in viele Regierungen und Institutionen - und dort vertraut man der Firma offenbar so sehr, dass man sie auch mit heiklen Aufgaben beauftragt. Für die Europäische Zentralbank zum Beispiel führte Blackrock sogenannte Stresstests für europäische Großbanken durch - an denen Blackrock wiederum teilweise als Aktionär beteiligt ist. Blackrock kontrolliert mit öffentlichem Auftrag Banken, die zum Teil Blackrock gehören, und die wiederum Blackrock-Fonds an ihre Kunden verkaufen.

Wenn die Rede ist vom globalen Finanzkapitalismus, der überall mitmischt, Regierungen beeinflusst und auf Wohlstand und Niedergang ganzer Volkswirtschaften mehr Einfluss hat als gewählte Politiker, dann kann man ihn auch gleich beim Namen nennen: Blackrock. Oder man sagt es so wie Friedrich Merz: "Da wird im Sinn der Kunden auch auf Rendite geschaut und damit identifiziere ich mich."

Und dann war da noch die zweite überraschend konkrete Äußerung Merzens beim Auftritt in der Bundespressekonferenz. "Deutschland hat eine viel zu kleine Zahl von Aktionären. Andere Länder sind da viel weiter als wir, und ich möchte auch dazu einen Beitrag leisten, dass wir weiterkommen", verkündete der Kandidat, den niemand nach Aktien gefragt hatte. Es klang wie eine Werbeeinblendung aus den Neunzigern. Hätte Merz dazu noch einen Spot mit "Robert T-Online"  vorgeführt, es wäre kein Stilbruch gewesen. Der größte Anbieter von Publikumsfonds im Land heißt übrigens Blackrock.

Hören wir auf, darüber zu reden, wie viel Friedrich Merz besitzt. Reden wir besser über das, was er uns andrehen möchte.