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Kristin Haug

100 Jahre Acht-Stunden-Arbeitstag Sechs Stunden pro Tag reichen völlig aus

Seit hundert Jahren arbeiten wir acht Stunden täglich: Das ist längst nicht mehr zeitgemäß. Warum der Sechsstundentag die Lösung vieler Probleme wäre.

Wer bis 18 Uhr arbeiten muss und um 14.46 Uhr auf die Uhr schaut, denkt vielleicht schon langsam an den Feierabend. Aber der ist noch mehr als drei Stunden entfernt. Wer bis 16 Uhr fertig sein muss, würde jetzt einen Zahn zulegen, seltener zum Kaffeeautomaten gehen, sich weniger mit Kollegen unterhalten, weniger Nachrichten lesen - weil die Arbeitszeit kürzer wäre und er weniger Ablenkung bräuchte.

Studien  beweisen immer wieder, dass viele Menschen zwar acht Stunden lang körperlich am Arbeitsplatz anwesend sein, aber im Schnitt nur wenige Stunden konzentriert arbeiten können.

Vor 100 Jahren haben sich Unternehmer und Gewerkschaften zum ersten Mal auf die Einführung des Achtstundentages geeinigt. Damals galt diese Einigung als revolutionär. Doch heute ist sie schon längst nicht mehr zeitgemäß.

Damals war es noch normal, dass nur der Mann das Geld nach Hause brachte und sich die Frau um die Kinder kümmerte. Heute haben mehr Frauen eine qualifizierte Ausbildung, machen Karriere und haben besser bezahlte Jobs. Ein Achtstundentag passt nicht mehr zu den heutigen Lebensverhältnissen, weil viel mehr Frauen arbeiten und junge Eltern nicht mehr auf die Familie zurückgreifen können, wenn sie Hilfe bei der Betreuung von Kindern oder kranken Angehörigen brauchen.

Wer einen Sechsstundentag hätte, könnte seine Kinder aus der Kita abholen und mit ihnen auf den Spielplatz gehen, Sport machen oder lesen. Natürlich kann das jeder haben: Er könnte in Teilzeit arbeiten. Aber wer will schon 25 Prozent weniger Geld verdienen, weniger aufs Rentenkonto einzahlen und weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld bekommen?

Sechs Stunden Arbeit am Tag reichen aus. Dafür muss es vollen Lohn geben. Das finden Sie dreist? Ich halte die Forderung für gerechtfertigt, denn Menschen können in sechs Stunden genauso produktiv sein wie in acht Stunden. Dass Arbeitszeitreduzierung die Produktivität steigern kann, zeigte auch ein Versuch von Toyota. In einem Werk in Göteborg ließ der Autokonzern seine Angestellten nur sechs Stunden am Tag arbeiten.  Das Ergebnis war beeindruckend: Der Umsatz stieg. Die US-Firma "Tower Paddle Boards" führte vor drei Jahren den Fünfstundentag ein.  Hier stiegen die Umsätze um 40 Prozent.

Auch Morten Hansen, Professor an der University Berkeley, der die Arbeitsweisen von 5000 Managern untersucht hat,  sagt: "Smarte Arbeitnehmer arbeiten weniger, dafür konzentrierter und selektiver." Mitarbeiter, die nur sechs Stunden am Tag arbeiten, sind motivierter und zufriedener und werden weniger oft krank, wie ein Test in einem Altenheim in Göteborg ergab, in dem der Sechsstundentag eingeführt worden war.

Auch eine Studie  der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) belegt: Zu lange Arbeitstage gefährden die Gesundheit. "Psychisch und physisch gesund bleibt der Mensch vor allem dann, wenn er grundsätzlich mit seinem Leben zufrieden ist. Wer den Eindruck hat, dass sich alles der Arbeit unterordnen muss, wird auf Dauer unzufrieden, unproduktiv und letztendlich krank."

Großer Nachteil: Das Ganze ist teuer. Wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter nur sechs Stunden am Tag beschäftigen, brauchen sie mehr Personal, zumindest in den Branchen, wo eine gewisse Anzahl an Menschen immer vor Ort sein muss, wie etwa in der Pflege, in Kitas oder in Krankenhäusern.

Aber sollte es das den Unternehmen nicht wert sein? Wer seinen Mitarbeitern Sechsstundentage bei vollem Lohn anbietet, bekommt mehr Bewerbungen als andere Unternehmen und könnte so vor allem Fachkräfte abwerben. Auch die BAuA stellt fest: "Eine Arbeit gilt heute als erstrebenswert, wenn sie sich mit dem übrigen Leben und den eigenen Werten vereinbaren lässt. Arbeitsplätze, die das nicht leisten, keinen Raum für Familie, Freizeit, soziales und kulturelles Leben bieten, bleiben künftig oft unbesetzt."

Eine Firma aus Österreich hat das bereits durch: Weil sich niemand auf die ausgeschriebenen Stellen beworben hat, führte der Chef Anfang des Jahres den Sechsstundentag ein. Das funktionierte.

Es mussten zwar einige Abläufe optimiert werden, und das Unternehmen machte fünf Prozent Umsatzverlust, aber die Mitarbeitermotivation ist dem Chef wichtiger als der Verlust. Im Winter könnten die Leute nun bei Tageslicht nach Hause gehen, das wirke sich positiv auf die Gesundheit aus, sagte der Unternehmenschef dem "Hamburger Abendblatt".  

Mit einem Sechsstundentag würde man zudem der Gleichberechtigung einen ordentlichen Schub geben: Er würde Frauen aus der Teilzeit holen, denn von den knapp neun Millionen Beschäftigten mit sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjobs sind fast 80 Prozent weiblich. Frauen arbeiten mehr in Teilzeit, weil sie sich noch immer mehr für die Familie zuständig fühlen.

Würden sechs Stunden am Tag als Vollzeit gelten, müssten viele Frauen ihre Arbeitszeit vermutlich überhaupt nicht reduzieren. Und mit 100-Prozent-Stellen hätten sie auch mehr Chancen auf Führungspositionen, die selten in Teilzeit angeboten werden. Allein schon deshalb ist es längst überfällig, den Sechsstundentag einzuführen.

Also liebe Gewerkschaften, worauf wartet ihr noch?