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Streit über Haushalt EU will an Italien ein Exempel statuieren

Die EU-Kommission macht ernst: Sie hat den Haushaltsplan Italiens abgelehnt - ein bisher beispielloser Vorgang. Die populistische Regierung in Rom will nicht einlenken, der Konflikt droht zu eskalieren.
Giuseppe Conte und Matteo Salvini

Giuseppe Conte und Matteo Salvini

Foto: REMO CASILLI/ REUTERS

Am Ende konnte die Kommission wohl kaum noch anders. Sie hat Italiens Haushaltsplan, der den Schuldenberg des Landes weiter wachsen ließe, abgelehnt. Es ist ein historischer Moment: Zum ersten Mal überhaupt sah sich die Brüsseler Behörde zu diesem Schritt genötigt.

Überraschend kam er freilich nicht. Denn Italiens populistische Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung hat nicht nur einen Etatentwurf vorgelegt, der laut einer ersten Einschätzung der Kommission "beispiellos" von den Kriterien des EU-Stabilitätspakts abweicht. Sie hat dies auch mit einer klaren politischen Botschaft in Richtung Brüssel verbunden, die sich etwa so zusammenfassen lässt: Was ihr denkt, interessiert uns nicht.

Bei der Kommission ist diese Botschaft offenbar angekommen. "Italien bricht offen und bewusst seine Zusagen", sagte EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis am Dienstag in Straßburg. Europa aber sei auf Zusammenarbeit gebaut - und auf das Vertrauen, dass jeder die Regeln beachtet. "Wenn dieses Vertrauen erodiert, schädigt das alle Mitgliedsländer", sagte Dombrovskis.

EU könnte hohe Strafen aussprechen

Italiens Regierung will die Neuverschuldung im kommenden Jahr auf 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung steigern, um Wahlkampfversprechen wie höhere Pensionen und Steuersenkungen zu finanzieren. Die Vorgängerregierung hatte mit der Kommission eine Neuverschuldung von 0,8 Prozent vereinbart. Zudem basieren die 2,4 Prozent auf äußerst optimistischen Konjunkturprognosen Roms. Experten sind skeptischer. Behalten sie recht, könnte Italien der Obergrenze von drei Prozent nahekommen.

Noch problematischer aber ist der Schuldenstand, der 131 Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt - 71 Prozentpunkte mehr, als die EU-Regeln erlauben. Nur Griechenland ist in der Eurozone noch höher verschuldet.

Italien hat jetzt drei Wochen Zeit, einen geänderten Entwurf in Brüssel einzureichen. Die Kommission hat dann abermals drei Wochen, um ihn zu prüfen. Kommt sie dann zu dem Ergebnis, dass der Haushalt immer noch gegen die EU-Regeln verstößt, kann sie ein Verfahren wegen einer "signifikanten Abweichung" eröffnen und Italien dazu verdonnern, 0,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung zurückzulegen.

Sollte Italien seinen Kurs nicht ändern, könnte die EU ein noch schärferes Schwert ziehen: ein Verfahren wegen "exzessiven Defizits", das eine Strafe von bis zu 0,5 Prozent des BIP vorsieht. Das wären nach aktuellem Stand rund neun Milliarden Euro. Schlägt die Kommission diesen Schritt dem Rat der Mitgliedstaaten vor, ist er dort nur noch von einer qualifizierten Mehrheit zu stoppen.

Rom gibt sich konfliktbereit

Dass es zu einer solchen Eskalation kommt, ist nicht völlig ausgeschlossen, denn Italiens Regierung gibt sich unbeugsam. "Es ändert sich nichts", sagte Vizeregierungschef Matteo Salvini am Dienstag bei einem Besuch in Bukarest laut der Nachrichtenagentur Ansa. Die EU-Kommission würde nicht eine Regierung, "sondern ein Volk attackieren". Man werde den Italienern "keinen einzigen Cent" aus den Taschen nehmen.

Das Vorgehen der Kommission ist deshalb folgerichtig, meint Guntram Wolff, Direktor des einflussreichen Brüsseler Thinktanks Bruegel. "Sie muss zeigen, dass ein Land nicht einfach die Regeln ignorieren und obendrein sagen kann, dass es ihm egal ist, was alle anderen denken." Ein weiterer Grund sei, "dass Italien Italien ist", so Wolff. "Wenn ein Euroland dieser Größe sich in eine nicht tragfähige Richtung entwickelt, haben alle ein Problem."

Zustimmung erhält die Kommission fraktionsübergreifend aus dem EU-Parlament. "Die Entscheidung der Kommission ist grundsätzlich richtig", sagt der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold. Zwar könne eine Erhöhung der Staatsausgaben grundsätzlich sinnvoll sein. Aber Italiens Regierung gehe unilateral vor und wolle das Geld zudem für die falschen Zwecke ausgeben. "Anstatt die Wirtschaft zu stärken, will sie Wahlkampfgeschenke verteilen", so Giegold. Das sei ökonomisch sinnlos: Die Finanzmärkte würden Italiens Alleingang derart heftig bestrafen, dass die Wohltaten gleich wieder von höheren Kreditzinsen aufgefressen werden.

Warnung vor zu scharfen Tönen

Die zuletzt stark gestiegenen Geldbeschaffungskosten für Italien machen Ökonomen Sorgen: Sollte sich die derzeit gute Wirtschaftslage künftig verschlechtern, könnte Italien in Schieflage geraten. Dann sei der gesamte Euro "in großer Gefahr", warnt Daniel Caspary (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. "Die populistische Regierung in Italien wird lernen müssen, sich an EU-Regeln zu halten."

Noch schärfer äußerte sich der CSU-Europapolitiker Markus Ferber. Italiens Haushaltsentwurf sei ein "Affront", Rom habe "die EU bewusst provoziert". "Wenn Rom nicht nachbessert", so Ferber, "muss es zügig zu einem Defizitverfahren und scharfen Sanktionen kommen."

Jens Geier, Chef der deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament, kritisiert derartige Töne. "Jeder dieser Sätze wird ins Italienische übersetzt und an Salvini weitergereicht", so Geier. Damit verschaffe man dem Lega-Chef ein "propagandistisches Aufmarschgebiet". Zwar dürfe man ausgerechnet der aktuellen Regierung Italiens keinen massiven Regelbruch durchgehen lassen. Wende man die Regeln aber ohne Fingerspitzengefühl an, so Geier, "erweist man der europäischen Sache womöglich einen Bärendienst".