Außenminister Nikos Kotzias tritt zurück - Tsipras übernimmt

Nikos Kotzias. Bild: W. Aswestopoulos

Der Koalitionsstreit in Athen über Mazedonien nimmt immer skurrilere Formen an

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Vordergründig geht es darum, dass sich Verteidigungsminister Panos Kammenos gegen den Kompromiss im Namensstreit, dem Vertrag von Prespes, mit der nördlichen Nachbarrepublik sträubt. Am Dienstag eskalierte der Streit während einer eilig einberufenen Kabinettssitzung. Es kam zum verbalen Schlagabtausch zwischen Kammenos und Außenminister Nikos Kotzias. Zur Überraschung auch der Anhänger von SYRIZA stützt Premierminister Alexis Tsipras nicht seinen Parteifreund, sondern den Koalitionspartner. Kotzias zog die Konsequenzen und trat mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurück. Tsipras übernahm selbst das Außenministerium.

Rund um den Rücktritt entwickelt sich eine Geschichte mit Filz, politischen Ränkespielen und geopolitischen Machtinteressen. Im Zentrum des Plots steht nicht Tsipras, sondern vielmehr sein Koalitionspartner Kammenos. Der lautstarke und gewichtige Politiker bestimmt die Agenda.

Der Vertrag von Prespes

Gleichzeitig steht Tsipras' Amtskollege Zoran Zaev in Skopje vor dem Scheitern seines Engagements in der Mazedonien-Frage. Er müsste, um seinen Teil des Vertrags von Prespes zu erfüllen, die Verfassung seines Landes ändern. Erst dann, so der bisherige Status der Verhandlungen, kann der dann endgültig Nord-Mazedonien genannte Staat Mitglied des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses und der Europäischen Union werden. Für die Verfassungsänderung braucht Zaev 80 der 120 Abgeordneten des Parlaments in der Hauptstadt Skopje. Ein von ihm ausgerufenes Referendum zur Ratifizierung des Vertrags scheiterte kürzlich an der geringen Wahlbeteiligung.

Nahezu alle führenden Vertreter der EU und der NATO hatten zuvor die EJR Mazedonien besucht, um für das Referendum zu werben. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ebenso wie der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz versucht, nicht nur die Bevölkerung im Land, sondern auch die Oppositionspartei VRMO, die Schwesterpartei der CDU und der ÖVP, für den Vertrag von Prespes zu gewinnen. Vor der kritischen Diskussion im Parlament riefen US-amerikanische Würdenträger die VRMO-Abgeordneten auf, ihrem Gewissen und nicht der Parteilinie zu folgen, und den Vertrag samt Verfassungsänderung zu ratifizieren. Offenbar blieben alle Überredungsversuche fruchtlos. Denn die VRMO-Fraktion verließ während der Aussprache über die Verfassungsänderung geschlossen das Plenum. Scheitert Zaev mit seinem Vorstoß, dann gibt es Neuwahlen.

Kammenos und seine Alternative

Der Vertrag von Prespes stört nicht nur die VRMO und viele Bewohner der geographischen Region Mazedonien auf beiden Seiten der Grenze, er ist auch für Tsipras' Koalitionspartner Kammenos unannehmbar. Kammenos droht, die Beendigung der Regierungskoalition und somit den Regierungssturz in Athen zu vollziehen, wenn der vom bisherigen Außenminister Kotzias aufs Heftigste verteidigte Kompromiss ins Athener Parlament kommt. Offenbar ist es dem Rechtspopulisten bei dieser "roten Linie" ernst.

Wie anders ist es zu erklären, dass er ausgerechnet eine USA-Reise für die Werbung zu "seinem Alternativplan" nutzte? Die USA sind beim Vertrag von Prespes auch in Person des in Athen residierenden amerikanischen Botschafters Geoffrey R. Pyatt die treibende Kraft. Pyatt, der auch in seiner vorherigen Station in der Ukraine maßgeblich an der geopolitischen Entwicklung beteiligt war, besucht in Athen ein Ministerium nach dem anderen. Vor allem mit Kammenos zeigt sich der Diplomat bei vielen Anlässen in der Öffentlichkeit. Pyatt persönlich warb auch in Skopje für den strittigen Vertrag.

Kammenos hingegen zeigt gegenüber Pyatt durchaus freundschaftliche Gefühle, er selbst macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für den US-Präsidenten Donald Trump. Andererseits ist Kammenos auch ein Fan des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der wiederum gehört zu den erklärten Gegnern des Vertrags von Prespes und hegt gegenüber Pyatt keinerlei Sympathie.

Anlässlich des Besuchs Kammenos‘ in den USA wurde publik, dass die Amerikaner mit Billigung der griechischen Regierung in Griechenland Russen und den Russen positiv gegenüberstehende griechische Funktionäre, Politiker und Unternehmer beschatteten und abhörten. So wurde bekannt, dass der griechisch-russische Oligarch Ivan Savvidis mit Kapitaleinsatz gegen den Vertrag von Prespes vorgeht. Savvidis, früher selbst Abgeordneter für Putins Partei in der russischen Duma, hat nach Angaben der Amerikaner mit Bestechungsgeldern Stimmen gegen den Vertrag und gegen das Referendum gesammelt. Savvidis gehört aber auch zu jenen, die von Kammenos politischem Wirken profitieren.

So brachte Kammenos ausgerechnet am Tag des Rücktritts Kotzias' die Schenkung militärischer Immobilien in Thessaloniki an den Fußballclub PAOK Thessaloniki ins Parlament. Savvidis ist Präsident und Mehrheitsaktionär des Vereins.

Panos Kammenos. Bild: W. Aswestopoulos

Zudem hat Kammenos eine enge Nähe zum Erzbischof von Athen und ganz Griechenland Ieronymos. Dieser wiederum äußerte vor wenigen Tagen: "Wir lieben Bartholomäos und Tsipras aber wir lieben noch mehr unsere Kirche." Mit Bartholomäos ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel Bartholomäos gemeint. Dieser hat die orthodoxe Kirche der Ukraine als autokephal und somit als vom Moskauer Patriarchat unabhängig anerkannt. Moskau goutierte dies nicht und antwortete mit einem Kirchenbann, der Vorstufe des Schismas.

Bartholomäos und dessen Kirchenpolitik nahe stehend ist Kotzias. Auf der Gegenseite stehen die Erzbischöfe in Athen und Nikosia, die Moskau favorisieren. Kammenos hatte schon bei anderen Gelegenheiten geschworen, er würde die Regierung jederzeit stürzen, wenn Kircheninteressen in Gefahr wären. In diesem Zusammenhang hat er bereits den damaligen Bildungsminister Nikos Filis aus dem Amt jagen lassen, als dieser einen vom Kirchendiktat unabhängigen Religionsunterricht an den Schulen in Griechenland einführen wollte.

Rund um Kotzias Wirken hatten die eigentlich engen diplomatischen Beziehungen zwischen Athen und Moskau, die selbst in Zeiten des Kalten Krieges bestanden, erheblich gelitten. Kotzias Sekretär wurde in Moskau offiziell zur Persona non grata erklärt, inoffiziell galt es auch für den Außenminister selbst. Denn dieser hatte russische Diplomaten wegen der Einmischung in die Organisation von Demonstrationen gegen den Vertrag von Prespes ausweisen lassen.

Im Winter soll es nun zu einer Wiederannäherung der beiden Länder kommen, Tsipras reist nach Moskau. Vorbote und Vorbereiter seines Besuchs ist Kammenos, der eine Woche vor Tsipras nach Moskau fliegt. Kotzias blieb bei dieser Aktion außen vor.

Die Demontage in den USA

Dieser Affront gegen Kotzias wurde in Athen zunächst kaum beachtet. Allerdings zündete Kammenos die nächste Stufe der Eskalation anlässlich seines Aufenthalts in den Staaten. Er verkündete von dort, dass er den USA mehrere neue Orte für Militärbasen in Griechenland zugesichert habe. Kammenos erklärte die USA als den seiner Meinung nach einzigen verlässlichen Partner und er schwadronierte öffentlich über eine Alternative zum Vertrag von Prespes. Kurz, der Verteidigungsminister nutzte die Gelegenheit, sich als der wahre Außenminister Athens aufzuspielen.

Kammenos Plan B für die Mazedonien-Frage und die NATO sieht unter anderen vor, dass Griechenland, die EJR Mazedonien, Bulgarien, Albanien und später auch Serbien ein Verteidigungsbündnis als "Achse der Stabilität auf dem Balkan" bilden und dieses in die NATO eingebunden wird. So möchte Kammenos seinen "Schwur", er werde die EJR Mazedonien oder Nord-Mazedonien nicht mit einem Namensbestandteil "Mazedonien" in die NATO aufnehmen lassen, umgehen. Stolz ließ Kammenos die gegenüber dem US-Verteidigungsminister James Mattis gemachten Zusicherungen und Vorschläge auf der offiziellen Internetpräsenz des Verteidigungsministeriums posten, nicht ohne deren Wiederholung vor der Presse mit einzubinden.

Für Freunde der griechischen antiken Mythen sind solche Tricks nicht neu. Hatte doch einst Gottvater Zeus geschworen, er würde Prometheus, als Strafe für dessen Geschenk des Feuers an die Menschen, für ewig in Ketten an den Kaukasus binden. Allerdings kannte Prometheus als Einziger eine Gefahr für Zeus. Thetis, eine von Zeus umschwärmte Göttin würde einen Sohn gebären, der erheblich stärker als sein Vater werden würde, erklärte Prometheus Zeus. Dieser ließ daraufhin von Thetis ab und König Peleus wurde deren Gatte. Dessen Sohn mit Thetis war der legendäre homerische Held Achilles. Um seinen Schwur nicht zu brechen, ließ Zeus aus den Ketten des nun frei gelassenen Prometheus einen Ring schmieden und darin einen Stein des Kaukasus einfassen. Kammenos als Fan der Antike kennt solche Geschichten - seine eigenen Anhänger kennen sie größtenteils auch. Nicht wenige davon sehen in der Anwendung solcher hinterlistigen Umgehungstaktiken für Schwüre eine elegante Lösung.

In der Heimat kamen die Reden und Äußerungen Kammenos bei seinem offiziellen Staatsbesuch in den USA außer bei seinen Anhängern nicht besonders gut an. Die gesamte SYRIZA nahe stehende Presse kritisierte den Koalitionspartner, teilweise mit heftigen Kommentaren. Nikos Filis, seines Zeichens Parlamentarier von SYRIZA, früherer Chefredakteur der Parteizeitung Avgi und Opfer Kammenos, meinte gar, dass so eine griechische "Version des Salvini" Griechenland schaden würde. Die SYRIZA-Politiker sahen sich im Recht. Schließlich waren die Vorstöße von Kammenos in den USA nicht mit Premier Tsipras abgesprochen. Fraktionschef Nikos Xydakis sinnierte gar öffentlich über einen Wechsel des Koalitionspartners. Zu den Kritikern Kammenos gesellte sich zudem Tsipras engster Freund, der Minister für Digitales, Nikos Pappas.

Kotzias selbst gab keinen Kommentar ab. Sein Vizeminister Georgios Katrougalos erklärte stattdessen, dass keiner der Vorschläge Kammenos hinsichtlich des Namensstreits jemals in einer Kabinettssitzung diskutiert worden wären. Kammenos hingegen ging in die Offensive. Er warf der SYRIZA nahe stehenden Presse vor, sie würde "im Auftrag von Machtzentren handeln" und er würde die Initiatoren schnell bloß stellen.