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Die Kirchen und die Naziverbrecher: Eine unheilige Allianz

Foto: Corbis/ Getty Images

Kirchen halfen Kriegsverbrechern Barmherzigkeit für Massenmörder

Sie trugen Schuld an Massakern und Deportationen - und fanden Beistand bei Bischöfen. Irritierend energisch verlangten christliche Würdenträger die Freilassung von Nazitätern.

Es sind etwa 30 vergilbte Briefe, handgeschrieben in blauer Tinte, verfasst zwischen 1951 und 1961. Sie liegen in einem römischen Kirchenarchiv und sind adressiert an Bischof Alois Hudal, seinerzeit Rektor von Santa Maria dell'Anima, der deutschen Pilgerkirche in der Ewigen Stadt. Autor der Zeilen: Herbert Kappler, ein rechtskräftig verurteilter NS-Kriegsverbrecher.

Kappler war Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) des Reichsführers SS. Im März 1944 hatte er in Rom das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen befehligt und mit ausgeführt. In einem stillgelegten Bergwerk am Stadtrand Roms waren 335 Italiener hingerichtet worden - die Rache der Deutschen für einen Partisanenanschlag.

Nach dem Krieg verurteilte ein römisches Militärgericht Kappler zu lebenslanger Haft. Bereits ab 1947 konnte der Massenmörder auf die Hilfe Hudals zählen. Der österreichische Bischof hatte im "Dritten Reich" mit den Nazis sympathisiert. Er betreute Kappler seelsorgerisch und setzte sich für dessen Amnestie ein.

Gleichzeitig war Hudal ein zentraler Aktivposten der sogenannten Rattenlinie, über die Hunderte NS-Täter nach Südamerika entkamen, darunter Hauptverantwortliche für den Holocaust wie Adolf Eichmann und Josef Mengele.

Der Kriegsverbrecher bedankte sich artig

Nach Gründung der Bundesrepublik 1949 fungierte der braune Bischof als wichtiger Ansprechpartner der Bonner Adenauer-Regierung. Im Fall Kappler kümmerte Hudal sich etwa um die Auszahlung der Honorare an die Anwälte des NS-Täters und erhielt die Gelder vom Bundesjustizministerium.

In seinen Briefen bat Kappler, den Bischof möge Adenauer auf die "vollständige Lösung der Frage der deutschen 'Kriegsverbrecher' in Italien gütigst hinweisen". Der NS-Täter behauptete, im Krieg nur Befehle befolgt zu haben. Er fühlte sich Hudal verbunden für die "aufopfernde Teilnahme" am "Kampf um Recht und Gerechtigkeit", den er aus dem Gefängnis zu führen glaubte. Später dankte er dem Bischof für dessen "hochherzige Vermittlerrolle", durch die "das Interesse Bonns an meinem 'Falle' wach gehalten" werde.

Das Interesse Bonns war in der Tat groß. Bis zu seiner Flucht aus einem römischen Militärhospital 1977 konnte Kappler stets auf Hilfe aus der Heimat zählen - auch von höchster politischer Ebene.

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Die Kirchen und die Naziverbrecher: Eine unheilige Allianz

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Die Kanzler Adenauer, Brandt, Schmidt und weitere Spitzenpolitiker engagierten sich für ihn und andere im Ausland inhaftierte NS-Verbrecher. Zu den bekanntesten Häftlingen neben Kappler zählten die "Vier von Breda", die als ehemalige SS-Schergen lebenslange Strafen in der niederländischen Stadt verbüßten: Willy Lages, Ferdinand aus der Fünten und Franz Fischer hatten die Deportation Zehntausender niederländischer Juden mitorganisiert, Joseph Kotalla hatte als stellvertretender Kommandeur des KZ Amersfoort Insassen sadistisch gequält.

Cognac und Konserven - "Liebesgaben" aus Bonn

Die Bundesregierungen zahlten Kappler und den "Vier von Breda" übermäßig hohe Anwaltskosten, dazu monatliche Taschengelder. Die Delinquenten erhielten sogar "Liebesgabenpakete" aus Bonn, mit Zigaretten, Cognac und Konserven.

Die aus heutiger Sicht irritierend intensiven Hilfeleistungen waren auch das Ergebnis der Lobbyarbeit westdeutscher Netzwerke, die unablässig die Freilassung der Häftlinge forderten. Zu den Akteuren zählten neben "alten Kameraden" auch Diplomaten des Auswärtigen Amts - und eben Kirchenvertreter.

Erst jetzt wird das ganze Ausmaß der kirchlichen Kriegsverbrecherhilfe deutlich: Auch die deutschen Bischöfe, allen voran der Kölner Kardinal Joseph Frings, setzten sich für die Freilassung von NS-Verbrechern ein.

Katholische Kirchenführer schmähten das Nürnberger Militärtribunal als alliiertes "Sondergericht", weil die Angeklagten nach einem in Deutschland unbekannten Recht verurteilt und dadurch "benachteiligt" worden seien. In katholischen Kreisen setzte man das Wort Kriegsverbrecher ab 1948 in Anführungszeichen.

Wut auf die vermeintliche "Siegerjustiz"

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) negierte die persönliche Schuld der Täter. So betreute die Rechtsschutzstelle des "Evangelischen Hilfswerks" 2500 im Ausland inhaftierte Deutsche, darunter zahlreiche NS-Täter. In EKD-Broschüren war von "angeblichen Kriegsverbrechern" die Rede; Kirchenführer stänkerten gegen vermeintliche "Siegerjustiz".

Die Gründe dafür waren vielfältig. Die Würdenträger pochten auf christliche Werte wie Vergebung, Nächstenliebe und Barmherzigkeit, die gleichermaßen für NS-Massenmörder zu gelten hätten. Ausschlaggebend war aber auch die nationalkonservative Gesinnung vieler Bischöfe, die Relativierung deutscher Schuld - und der Wunsch nach einem "Schlussstrich" unter die Vergangenheit.

Auf evangelischer Seite setzte sich der pfälzische Kirchenpräsident Hans Stempel, Jahrgang 1894, energisch für die Freilassung der im Ausland inhaftierten NS-Täter ein. Die Männer in Breda besuchte der inoffizielle "Beauftragte des Rates der EKD für die Seelsorge an den deutschen Kriegsverurteilten", wie die Kriegsverbrecher euphemistisch genannt wurden, erstmals 1951.

Fortan fuhr Stempel regelmäßig in die Niederlande und feierte dort Weihnachten mit den Inhaftierten, deren Verbrechen ihm genauestens bekannt waren. Er übermittelte ihre Beschwerden und Wünsche nach Bonn. Seine Amnestieforderungen trug Stempel dem niederländischen Justizminister persönlich vor. Ab 1952 war der Kirchenpräsident Mitglied im Vorstand der "Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e.V.", einer braunen Lobbyorganisation, die in erster Linie NS-Verbrecher unterstützte.

Überkonfessionelles Gnadengesuch

Um eine Amnestie zu erreichen, suchte Stempel den ökumenischen Austausch auf höchster Ebene. 1970 gelang ihm sein größter Coup: ein überkonfessionelles Gnadengesuch für Kappler, unterzeichnet von elf katholischen und evangelischen Bischöfen und Honoratioren.

Unter ihnen waren Kardinal Frings, der evangelische Bischof Hermann Dietzfelbinger aus München (zugleich EKD-Ratsvorsitzender) sowie der ehemalige Kirchenpräsident Martin Niemöller. Doch wie die Bundesregierungen mühten sich auch die deutschen Bischöfe letztlich vergebens um die Amnestie: Die Freilassung der NS-Täter scheiterte stets an öffentlichen Protesten in den Haftländern.

Ende der Siebzigerjahre befanden sich nur noch zwei NS-Kriegsverbrecher im westeuropäischen Gewahrsam. Willy Lages war bereits 1966 wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung in ein Hospital im Harz überstellt worden, Herbert Kappler war 1977 die Flucht gelungen. Zwei Jahre später starb KZ-Henker Kotalla in seiner Zelle in Breda.

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Bohr, Felix

Die Kriegsverbrecherlobby: Bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftierte NS-Täter

Verlag: Suhrkamp Verlag
Seitenzahl: 558
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16.05.2024 20.18 Uhr

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Den früheren SS-Schergen Fischer und aus der Fünten halfen Kirchenvertreter weiterhin. Im Frühjahr 1984 reiste Paderborns Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt in die Niederlande und besuchte nicht nur die beiden Häftlinge in Breda, sondern auch den niederländischen Justizminister Frits Korthals Altes.

Im Gespräch stellte der Minister überrascht fest, dass der Erzbischof die Einzelheiten der Verbrechen Fischers und aus der Füntens gar nicht kannte. Daher ließ er Degenhardt anschließend die deutschen Urteilsübersetzungen zukommen - und hörte nie wieder von ihm.

Danach nahmen die Diskussionen in den Niederlanden über die "Zwei von Breda" zu. Am 27. Januar 1989 wurden die Männer amnestiert und in die Bundesrepublik abgeschoben. Aus der Fünten starb knapp drei Monate später, Fischer bald darauf.

Inzwischen sind längst verstorbene Helfer wie Hans Stempel in die Kritik geraten. Im April 2017 begann im pfälzischen Landau eine Debatte um eine nach Stempel benannte Straße. Ein Bürger hatte auf die "Zwiespältigkeit im Lebenslauf" des Geistlichen aufmerksam gemacht.

Selbst die Evangelische Kirche der Pfalz räumte ein, die Rolle Stempels sei "ambivalent". Im Mai 2018 beauftragten die Kirchenoberen daher einen Historiker, das Wirken Stempels in einem dreijährigen Forschungsprojekt aufzuarbeiten. Vorher, so die Landauer Stadtoberen, wolle man nicht über eine mögliche Straßenumbenennung entscheiden.